Militärforschung: "Wissenschaftler müssen Verantwortung übernehmen"
Dietrich Schulze über die größer werdende Bedeutung der Militärforschung an deutschen Universitäten und den wachsenden Widerstand dagegen
Ein Gespräch mit Dr.-Ing. Dietrich Schulze, der in der bundesweiten Bewegung für friedliche und zivile Forschung aktiv sowie Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit ist. Er war von 1966-2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1984-2005 Betriebsratsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe.
Machen sich die Hochschulen heute durch ihre Forschungen zu Handlangern deutscher Interventionspolitik?
Dietrich Schulze: Die Militarisierung von Forschung und Lehre nimmt ohne Zweifel zu. Gemeinsam mit Rüstungsunternehmen werden an den Universitäten neue Drohnen- und Waffentechniken entwickelt. Für aktuelle und zukünftige deutsche Auslandseinsätze wird die wehrmedizinische Forschung voran getrieben. Die Universität Potsdam bietet seit 2007 in Zusammenarbeit mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr gar einen Master-Studiengang Military-Studies an. Die Militärforschung steht dabei klar in Analogie zur aktuellen Militärpolitik: Die Bundeswehr soll weltweit zum Einsatz gebracht werden, die Universitäten erforschen dafür das Rüstzeug.
Sie sind in einer bundesweiten Initiative gegen Militärforschung aktiv. Wie sieht diese aus?
Dietrich Schulze: Es ist bemerkenswert zu sehen, wie der Widerstand gegen Rüstungsforschung in letzter Zeit in allen Disziplinen von Maschinenbau über Medizin bis hin zu den Gesellschaftswissenschaften zunimmt. Immer mehr Studierende, Studierendenvertretungen, Mitarbeiter und Dozenten beschäftigen sich mit der Militärforschung an ihren Instituten und setzen sich für eine zivile Forschung ein.
Konkret gibt es mittlerweile ein dezentrales Netzwerk von an den einzelnen Universitäten verorteten Initiativen gegen Kriegs- und Rüstungsforschung. Dieses Bündnis Hochschulen für den Frieden - Ja zur Zivilklausel trifft sich alle paar Monate zum gegenseitigen Austausch, zur gegenseitigen Unterstützung und zur gemeinsamen Aktionsplanung - bei einem Treffen im Februar im nordhessischen Kassel waren Studierenden und Mitarbeiter von über einem Dutzend Universitäten vertreten. Tendenz steigend! Das ist sehr ermutigend.
Einführung von "Zivilklauseln"
Konnten denn schon Erfolge erzielt werden?
Dietrich Schulze: Ziel der Initiativen ist die Verhinderung von Militärforschung - die Rüstungsindustrie soll keine Waffen mehr an den Hochschulen entwickeln und die Bundeswehr soll dort keine neuen Kriege mehr planen und dafür forschen. Die Initiativen versuchen daher so genannte Zivilklauseln in die Satzung ihrer Universität zu integrieren. Forschung, Lehre und Studium sollen nur noch nicht-militärischen Zwecken dienen. Es soll für friedliche und zivile Zwecke geforscht werden.
Der Weg zur Einbettung von Zivilklauseln in Uni-Satzungen ist aber lang. In Frankfurt am Main haben Studierende gemeinsam mit der Bildungsgewerkschaft GEW im Januar eine Urabstimmung unter den Studierenden durchführen lassen. Dabei haben sich über 76 Prozent für die Verankerung einer Zivilklausel in die Grundordnung der Goethe-Universität ausgesprochen. Auch an den Universitäten Karlsruhe und Köln gab es schon solche Abstimmungen, bei denen sich jeweils weit über 50 Prozent der Studierenden für friedliche und zivile Forschung an ihrer Uni ausgesprochen haben.
Einen weiteren Erfolg gab es Anfang des Jahres an der Uni Bremen: Dort besteht schon seit 1986 eine Zivilklausel, die aber gekippt und der Weg frei für militärische Weltraumforschung an der Uni gemacht werden sollte. Der Akademische Senat bestätigte die Zivilklausel aber mit 18 von 22 Stimmen bei drei Enthaltungen und einer Ablehnung. An Universitäten, die Militärforschung betreiben, müssen Zivilklauseln erkämpft werden; an Universitäten, die bereits eine Zivilklausel haben, muss diese verteidigt werden. Die bisherigen Erfolge sind hart erarbeitet worden.
Grenzen der Zivilklauseln
Die Zivilklausel-Initiativen sind direkt an den einzelnen Universitäten verortet. Wie verhält sich denn die "große" Politik zu diesem Thema?
Dietrich Schulze: Universitäten sind Sache der Bundesländer. Die CDU-regierten Länder wollen keine Diskussion über Militärforschung an ihren Universitäten. Das Thema wird schlicht ignoriert oder, wenn ignorieren nicht mehr geht, spricht man sich für militärische-Forschung und Lehre aus.
Interessanter ist die Situation in den von SPD und Grünen regierten Ländern: In Baden-Württemberg haben sich die beiden Parteien vor der letzten Wahl deutlich für Zivilklauseln ausgesprochen. Heute wollen beide davon nichts mehr wissen. Sie brechen damit ihre Wahlversprechen und verlieren an Glaubwürdigkeit. Nun, es war ein Regierungswechsel und kein "regime change". Demokratie geht von Unten aus. Wie schon gesagt geht es um die Initiativen vor Ort, die Hochschulen zu entmilitarisieren und um die Vernetzung der Entmilitarisierungspotentiale.
Von einigen Universitäten - das gilt auch für die schon erwähnte Universität Bremen - ist bekannt, dass sie trotz Zivilklausel militärische Forschung und Lehre betreiben. Die Klausel wird dann einfach ignoriert oder umgedeutet…
Dietrich Schulze: Der entscheidende Punkt ist die inneruniversitäre und öffentliche Diskussion um Forschung und Lehre. Die Zivilklausel ist kein Allheilmittel und genügt allein nicht, sie muss gelebt werden durch eine ständige Auseinandersetzung über das, was geforscht und gelehrt wird. Die Wissenschaftler und Hochschulangehörigen müssen Verantwortung für ihre Forschungen übernehmen und sich erklären. Sie müssen sich der Folgen ihrer Arbeit bewusst werden und ihre Forschung auch in der Öffentlichkeit vertreten.
An der Universität Tübingen kam es im Oktober vergangen Jahres zum Eklat um die Bedeutung der dort neu eingeführten Zivilklausel. Auch Sie waren darin verwickelt. Was ist passiert?
Dietrich Schulze: Das Politikwissenschaftliche Institut Türbingen hatte eine Ringvorlesung veranstaltet, in der die Interpretation der Tübinger Zivilklausel - Stichwort "friedliche Forschungszwecke" - so konzipiert worden ist, dass sie nicht in einem Widerspruch zum Militärischem stand und z.B. die Rechtfertigung zur Bestellung des Kriegsbefürworters Wolfgang Ischinger, Leiter der alljährlichen NATO-Konferenz in München, zum Honorarprofessor an der Uni Tübingen lieferte.
Ohne Information über dessen Ende 2010 erfolgte Bestellung wurde ich als Eröffnungsreferent eingeladen. Nachdem ich in einem Zeitungsartikel öffentlich die Ischinger-Professur wegen Widerspruchs zur Zivilklausel abgelehnt und vorgeschlagen hatte, die Vorlesung von Sabine Jaberg von der Führungsakademie der Bundeswehr in ein Streitgespräch mit dem Friedenswissenschaftler Rudolph Bauer aus Bremen umzuwandeln, wurde ich ausgeladen.
Als Gegengewicht konnte an der Uni ein Zivilklausel-Kongress durchgesetzt werden, der eine Tübinger Erklärung veröffentlichte. Für die Veranstalter der Ringvorlesung in Tübingen war das Abschlusspodium nicht zufriedenstellend. Die Auseinandersetzungen gegen eine olivgrüne Interpretation der Tübinger Zivilklausel gehen weiter.
Die Dual-Use-Problematik
Die Durchsetzungsfähigkeit von Zivilklauseln scheint Grenzen zu haben. Es gibt aber noch grundlegendere Probleme: Lässt sich militärische- überhaupt noch von ziviler-Forschung trennen?
Dietrich Schulze: Die Dual-Use-Problematik - die in diesem Fall mögliche Verwendung ziviler Forschungsergebnisse für militärische Zwecke - ist schon lange bekannt und es gibt Indikatoren, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob es sich um Militärforschung handelt oder nicht. Man muss etwa fragen: Wo kommt das Geld für das Forschungsprojekt her? Wer ist der Auftraggeber? Wem nützt das Forschungsergebnis? Und wofür kann das Forschungsergebnis überhaupt verwendet werden?
Ein weiterer Hinweis auf Militärforschung ist auch die Geheimhaltung: Natürlich wollen die Rüstungsunternehmen nicht, dass ihre an Universitäten erlangten wissenschaftlichen Erträge öffentlich werden. Diese Forschungsergebnisse sind daher meistens geheim - was ein Skandal ist. Immerhin wird Militärforschung heute nur zum Teil durch Drittmittel der Rüstungsunternehmen finanziert, der Rest sind Steuergelder. Dennoch bekommt die Öffentlichkeit nichts von der durch ihre Gelder ermöglichten Forschung zu Gesicht und kann davon nicht profitieren. Man kann also sehr wohl feststellen, ob ein Forschungsprojekt einem primär militärischen Zweck dient.
In Karlsruhe werden an der Universität etwa kognitive, intelligente Landfahrzeuge entwickelt. 10 Millionen Euro sollen in die Erforschung der Fahrzeug-Drohnen gesteckt werden. Die abgewählte baden-württembergische CDU-Landesregierung verneinte auf damalige Oppositionsanfrage jegliche militärischen Zwecke des Projekts, in der Steuerungsgruppe sitzen aber zwei ausgewiesene Rüstungswissenschaftler - einer kommt sogar direkt von der Bundeswehr-Universität in München.
"Forschungsfreiheit ist heute eine Lüge"
"Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei", heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Sie fordern aber ein Verbot von Militärforschung. Sind Sie wissenschaftsfeindlich?
Dietrich Schulze: Weiß Gott nicht! Ich habe ja selber jahrelang wissenschaftlich am Forschungszentrum Karlsruhe gearbeitet. Die auch im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit der Forschung bedeutet, dass die Universitätsangehörigen selber entscheiden können, worüber und mit wem sie forschen wollen. Tatsächlich ist das heute aber nicht mehr der Fall.
Heute wird aufgrund der chronischen Unterfinanzierung von Hochschulen oft nur noch in den Bereichen geforscht, in denen es Drittmittel aus der Wirtschaft gibt. So ist die Forschung heute von Financiers aus der Wirtschaft und daher eben auch von der Rüstungsindustrie abhängig. Dadurch wird doch gerade die Freiheit der Forschung eingeschränkt!
Forschungsfreiheit ist heute eine Lüge. Sie muss erkämpft werden, indem eine Vollfinanzierung der Universitäten gewährleistet wird. Das ist eine Frage der Finanzierung durch die Länder. Im Übrigen wurde Anfang 2009 zur Frage der Zulässigkeit von Zivilklauseln in Anbetracht der Forschungsfreiheit ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Professor Erhard Denninger veröffentlicht. Denninger kommt darin zu dem Schluss, dass Zivilklauseln in der Satzung von Universitäten zulässig sind.
Wie geht es weiter mit der "Zivilklausel-Bewegung"?
Dietrich Schulze: Anfang Mai soll es eine bundesweite Aktionswoche geben, bei der mit kreativen Aktionen an den einzelnen Unis mehr Aufmerksamkeit für das Thema gewonnen werden soll. An mehreren Hochschulen sind auch weitere Urabstimmungen unter den Studierenden in Planung. Außerdem soll es im Juni einen Zivilklausel-Kongress in Karlsruhe geben - es gab bereits zwei solche Tagungen in Braunschweig und Tübingen. Die Bewegung ist auf einem guten Weg. Man darf die Gegenbewegung aber nicht unterschätzen.