Militärischer BUMMER

Seite 2: III. Computer-Krieg

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Doch so eloquent auch immer brillante Redner wie Alexander von Gernler, der Vizepräsident der Gesellschaft für Informatik (GI), auf dem FIFF-Kongress in Bremen die Falle beschreiben, in die Freiheit, Recht und Demokratie geraten angesichts frei drehender "Digitalisierungsoffensiven", oder wie beeindruckend präzise und mit enormem Hintergrundwissen aus parlamentarischen Anhörungen ausgestattet der Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger über die geplante Bewaffnung des Weltraums berichtet - die "digitale Aufrüstung" bleibt ein Thema, das so komplex, derart abstrakt ist, dass es sich schwer entlang seiner großen thematischen Linien erzählen lässt.

Leichter fällt diese Aufgabe, wenn Personen im Mittelpunkt der Erzählung stehen - wie man gut an Jürgen Wagners voller schwarzem Humor vorgetragenen Recherche zu Thierry Bretons Vorleben als Künstler sehen kann. Wagner, der gerade zusammen mit Claudia Haydt das Buch Die Militarisierung der EU. Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Großmacht herausgebracht hat, begab sich dazu in die Untiefen des Pulp Fiction und legte eine pointierte literaturwissenschaftliche Analyse des literarischen Frühwerks von Breton vor.

Breton ist ein Mann, der es schon rein frisurmäßig leicht mit Trump aufnehmen kann. Und das scheint nötig. Die Ängste, die USA als Bündnispartner zu verlieren, treiben wohl NATO und EU derart um, dass sie mit Breton einen Wirtschaftsboss zum "EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen" bestallt haben, der als Musterbeispiel gelten darf für den Ausverkauf der guten alten, demokratisch kontrollierten Verteidigungspolitik.

Er fordert die Umwandlung der europäischen Armeen zu Profit-Centern der Risikokapitalanleger. Dafür ist ihre Neu-Ausrichtung auf Angriff notwendig. Dafür muss die Industrieförderung in Aufrüstung umdefiniert werden. Dafür müssen Feindbilder aus der Zeit des Kalten Krieges wieder aufgewärmt werden. Keiner kann das besser, wie Jürgen Wagner in seinem amüsanten Vortrag in Tübingen zeigt, als Breton.

Breton ist nämlich Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane, darunter die holzschnitthafte, antikommunistische Schmonzette "Computer-Krieg", auf Deutsch 1986 bei Bastei Lübbe erschienen und gebraucht für 25 Cent zu einem exakt angemessenen Preis erhältlich.

Schon der 30-jährige Breton hatte sich also mit dem Stoff befasst, der ihn 2019 zum Industriekommissar für die digitale Aufrüstung prädestiniert.

Bei seinen Star-Wars-Phantasmen sekundiert ihm die französische Verteidigungsministerin Florence Parly. Sie arbeitet mit aller Kraft am Ausbringen von Hochleistungslasern in den Weltraum. Man erfährt, dass im Rahmen des taktischen, KI-basierten Weltraum-Targetingsystem TITAN erstmals auch Schallwaffen aus dem All getestet werden sollen. Parlys schmissiger Aufruf unter dem trockenen Titel "Strategie Spatiale Defense" schließt mit sozialistisch anmutender Verve: "Lang lebe die Luft- und Weltraumarmee!"

Die gezielte Förderung technischer Superiorität mit den Mitteln der Kunst ist allerdings keine Erfindung des französischen Unternehmers und Ex-Finanzministers Breton.

Bereits in den späten 1940er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten die USA unter der Koordination der Air Force eine Truppe aus Kreativen und Querdenkern zusammengetrommelt. Damit aus dem Brainstorming etwas Praktisches resultiert, wurde dem "Project Forecast" gleich ein stolzes Budget zur Technologieentwicklung beigeordnet. Man wollte verhindern, dass noch einmal etwas wie der Faschismus beinahe weltweiten Erfolg haben könne.

Was wäre dafür geeigneter als Superwaffen, wie schon Nicola Tesla sie erfunden haben wollte: interkontinental wirkende Todesstrahlen und dergleichen Wirkmittel, wie sie in futuristischen Romanen bereits als voll funktionsfähig beschrieben wurden. Einer jener Groschenheftautoren, der Korea-Kriegs-Veteran und Autor des 1970er Jahre Kultbuches "Strategy of Technology", Jerry Pournelle, kann als unmittelbares Breton-Vorbild gelten.

Noch ähnlicher zu Breton verläuft allerdings die Karriere des Sci-Fi Autoren-Paares Jack und Janet Morris, die begleitend zu den "Peace Keeping Missions" der US Armee rassistisch gefärbte Schundromane veröffentlichen, daraufhin zu Forschungsleitern im US Global Strategy Council bestellt werden und zur Befriedigung der dort erkundeten militärischen Bedürfnisse ihre Firma "M2 Technologies" gründen.

Es sollte Gegenstand künftiger militärkritischer Forschung sein, diese historischen Beispiele einmal genau zu untersuchen, um besser prognostizieren zu können, welche imperialen, antidemokratischen Phantasien und Praktiken hieraus erwachsen.

Heute, ein Jahrhundert nach Nicola Tesla, sind die hard- und softwaretechnischen Voraussetzungen für Superwaffen wie Hochleistungslaser leider gegeben und die EU geht es konkret an, solche Wahnsinnsprojekte ins Werk zu setzen.

Auch die Bundeswehr hat einen Mann zu bieten, der auf dem IMI Kongress vorgestellt wird und dem es sicher leichtfiele, mit Breton Hand in Hand zu arbeiten: "Mr. Digitalisierung" Frank Leidenberger vom Kommando Heer. Ihn stellt Martin Kirsch in seinem Vortrag "Auf dem Weg in die Kriegswirtschaft?" vor. Leidenberger ist ein vehementer Verfechter des zuvor beschriebenen Beschleunigungsgebotes.

In der dienstlichen Verklausulierung firmiert die geplante Umgehung der Beschaffungsbürokratie als "einsatzbedingter Sofortbedarf". Handlungsfähigkeit geht vor Vorschriften.

Leidenbergers Thesenpapiere "Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?", "Digitalisierung von Landoperationen", insbesondere aber das dritte Thesenpapier, "Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte", einsehbar unter Augen geradeaus, haben im vergangenen Jahr viel Staub auf großer Bühne aufgewirbelt. Sie alle tauchen über die drei Tage beim IMI-Kongress wie ein roter Faden immer wieder auf.

Ginge es nach Leidenberger, so würde man bei der Bundeswehr eine ganz "neue Kultur leben". Diese besteht zunächst offenbar hauptsächlich darin, die Beschaffungspraxis für neues Gerät von dem Hindernis zu großer Rechtssicherheit zu befreien.

"Maximale Rechtssicherheit" sei, so Leidenberger, eine "Komplexitätsfalle" und führe am Ende nur dazu, dass die Bundeswehr auf einem Schrotthaufen sitze. Die Armee brauche mehr "Beinfreiheit" für den erwarteten (oder herbeigeredeten?) Krieg gegen Russland. Man spricht im Zusammenhang mit den Plänen der Leidenberger-Clique in der Armee, der sog. "Afghanistan-Connection", bereits vom "lauwarmen Krieg".

Die aus einer offenbar als überkommen empfundenen Zeit herrührende Verpflichtung zu Transparenz und Begünstigungsvermeidung beim Einsatz öffentlicher Mittel müsse endlich überwunden werden, um künftige Soldaten, die er als "digital natives" beschreibt und die "die rasanten Technikzyklen der zivilen Kommunikationsunternehmen" gewöhnt sind, nicht zu verprellen. Der Stamm in Oliv trommelt angeblich schon unruhig auf den Laptopdeckeln.

"The Need for Speed" (Leidenberger) sei daher, so muss man das wohl verstehen, über demokratisch beschlossene Regularien zu stellen, in denen sich die "oft überforderten" Einkäufer der BW-Ausrüstung in ihrem endlosen "Ringen um unanfechtbare Ausschreibungen und die Vergabe von Hauptaufträgen" verheddern - mit dem Ergebnis, dass die geplante deutsche Cyberarmee weiter mit bleischweren Geräten aus den 1980er Jahren funken muss.

Das wäre ja äußerst peinlich, wenn "wir" damit den Chinesen gegenübersitzen, die schon 5G-basierte Brillen für 1,90 € das Stück auf den Nasen tragen!

Angesichts der geplanten Verbesserung der "Ausrüstung", die auf dem IMI-Kongress als deutlich erkennbare "Aufrüstung" verstanden wurde, zieht Tobias Pflüger den Vergleich zu anderen technischen Großprojekten: "BER und Stuttgart 21 - das gibt es bei der Bundeswehr monatlich". Mit einem Wort: "Beschaffungskriminalität".

IV. KI-Waffen und der Sputnik-Schock

Im Gartner Hype Cycle for Technologies, einer Vorhersage-Kurve, mit der aussichtsreiche Technologien im Stil einer Rating-Agentur bewertet werden, sind 18 der 20 auf dem steil aufsteigenden Hang vor dem "peak of inflated expectations" stehenden Technologien KI-basiert oder ohne KI nicht denkbar. Da es sich bei Gartners Kurve um ein Prognosetool für Investoren handelt, ist absehbar, wohin der Schnellzug fährt.

Frei nach dem Muster des Elon-Musk-Bonmots soll deswegen nun ganz fix selbstlernende "Software mit Panzerketten" unten dran entstehen. Das englische Wort "fix" ist mit der US-amerikanischen Drohnen-Einsatzpolitik zu unrühmlicher Bekanntheit gekommen: die 3F-Strategie ("find, fix and finish") lässt mühelos erraten, wie wenig künstlich die Intelligenz am Ende operiert. Drohnen sind das erste wirklich große Beispiel für bereits einsatzfähige, weitgehend autonome Waffen. Beim IMI waren in einer Videopräsentation ganze Geschwader von Airbus-Fliegern zu sehen, die im "flocking" über der Ostsee einem Leitvogel hinterher donnern.

Die von Veronika Thiel (AlgorithmWatch) beim FIFF vorgestellten "Ethischen Richtlinien in der Algorithmenentwicklung", ihr Hinweis auf "corporate social responsibility" und das Grundgesetz, in dem es heißt, alle Aktivitäten hätten dem Gemeinwohl zu dienen, wirken angesichts solcher Demonstrationen von "Airpower" wie einer Sonntagsrede entnommen. Stumpfere Werkzeuge sind kaum vorstellbar gegen den eleganten Schliff, mit dem Konzerne wie Airbus kollisionsfrei durch die engen Schluchten zwischen den Regeln jagen.

Überhaupt scheint Ethik inzwischen komplett durch Paranoia ersetzt zu sein. Das Mitglied der Atlantik-Brücke Denise Feldner, ein "Kopf" bei KAIROS Partners, die sich als "Navigatoren bei der Unternehmenstransformation" verstehen, wird in Tübingen als diejenige vorgestellt, die warnend Wladimir Putin zitiert: "Die Nation, die KI beherrscht, wird die Welt beherrschen". Damit uns kein zweiter Sputnik-Schock ins Haus steht, fordert Feldner schon jetzt: "Der verbreitete Wunsch nach Stabilität muss überwunden" werden.

Und, man höre und staune: an der KI zeigten sich "Vorteile autoritärer Systeme".

Wir kommen dem Kern der Sache näher: Große Zeiten ziehen herauf! So ist man dann auch wenig verwundert, kurz darauf im Vortrag von Marius Pletsch von der NGO "Stop Killer Robots!" zu hören, dass die deutschen Dienstgrade in einem von der Bundeswehr erdachten Szenario mit Nachnamen "Fuchs" und "Wolf" heißen: wie "Rommel" und "Hitler"? Keine Frage: das sind die richtigen Leute, die es braucht um die "Walküren-Drohne" von Kratos Defense zu lenken.

Eine Art Techno-Faschismus sehen auch diverse Initiativen auf uns zukommen, die am Rande der Kongresse Flugblätter verteilen. Es geht um "5G-Mikrowellen", ohne die es keine KI geben kann und deren Opfer nun wir alle werden, die wir unter der Sonne der strahlenden Satelliten leben müssen, totalüberwacht und bis zum Verschmoren aufgeheizt. Eines der Flugblätter konstatiert: "Wir haben es bei 5G-Technologien mit einem sozio-technischen System zu tun, das in alle Segmente der Gesellschaft eindringt" oder knapper: "Übrig bleibt Demokratie als blosse Fassade."

Liest man die etwas getrieben geschriebenen, vielfach faksimilierten Statements, versteht man unmittelbar, was diese Technologien mit uns anstellen. Wenn wir nicht von Francoise Parlys Tesla-Strahlen direkt verkokelt werden, verenden wir sicher in Kürze an Hirnschmelze.

Zeit einen positiven Ausblick zu wagen!

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