Mit Doppelstandards in den nächsten Weltkrieg
Seite 2: Doppelte Standards
Wer eine bessere Welt will, muss aufhören, mit zweierlei Maß zu messen. Denn Doppelmoral führt nicht nur zum Verlust der Glaubwürdigkeit, sie ist auch idealer Nährboden für neue Gewalt. Wer über den Tellerrand hinausblickt, kann unschwer feststellen, dass große Teile der Welt "den Westen" bezichtigen, mit Doppelstandrads zu messen.
Die Kritisierten weisen den Vorwurf entrüstet zurück. Denn nach ihrem Selbstverständnis sind sie die Guten, die nur ein Ziel verfolgen, nämlich die Welt zu Demokratie und Wohlstand zu führen.
Schon der schlichte Hinweis, dass der Vorwurf des Völkerrechtsbruchs nicht nur für Putins Krieg gilt, sondern auch für die Kriege der USA und ihrer Kriegsvasallen (z. B. die Kriege in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen), wird sofort vom Tisch gewischt. Das sei schäbiger Whataboutism und diene nur der Verniedlichung des russischen Angriffskrieges.
Dieser Vorwurf ist unredlich. Auch in diesem Artikel wird mehrfach festgestellt, dass der russische Krieg in der Ukraine rechtswidrig ist. Weshalb sollte es dann verboten sein, jemanden, der die Mordtaten von Butscha beklagt, an die Gräuel von Abu Ghraib, Guantánamo, Dubrovnik und an die US-amerikanischen Drohnenmorde zu erinnern?
Auch wenn diese Kapitalverbrechen zeitlich zurückliegen, bleiben sie im historischen Gedächtnis und dienen der sachgerechten Einordnung des aktuellen Kriegsgeschehens. Das Völkerrecht ist universell. Es galt damals und es gilt heute.
Warum sollte man nicht erwähnen dürfen, dass die Kriege unter US-amerikanischer Führung weitaus mehr Tote, Verstümmelte und Flüchtlinge zur Folge hatten als Russlands Krieg in der Ukraine? Zahlen lügen nicht.
Und warum soll sich nur Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen und nicht auch seine Kollegen Clinton, Bush und Obama? Auch sie haben das Völkerrecht gebrochen. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass entweder alle angeklagt werden oder keiner. Wahrscheinlich wird keiner von ihnen vor dem Gerichtshof stehen.
Putin würde sich vermutlich eher selbst richten, als vor einem als gegnerisch empfundenen Gericht zu erscheinen. Die anderen Genannten sind Leuchttürme der westlichen Wertegemeinschaft, somit sind sie die "Guten". Das imprägniert sie gegen gerichtliche Untersuchungen.
Unverständlich ist auch, weshalb – anders als im Fall Russlands – niemals Sanktionen gegen die USA und ihre Vasallen gefordert, geschweige denn verhängt worden sind. Große Teile der Welt hätten sicher nichts dagegen gehabt.
Dieses Messen mit zweierlei Maßstäben hat dem Westen im Rest der Welt viel Glaubwürdigkeit gekostet. Deswegen sind die Reaktionen vieler Länder auf die westliche Forderung, die Sanktionen gegen Russland zu unterstützen, so verhalten.
Wahnsinn
Es scheint, dass Deutschland seinen politischen Kompass verloren hat. Die Abstrafung Russlands ist heute wichtiger als Klima, Umwelt und Frieden zusammen. Erklärtes Ziel der deutschen Außenpolitik ist, Russland zu "ruinieren" (so die olivgrüne Außenministerin Annalena Baerbock). Das ist eine Äußerung zwischen Verantwortungslosigkeit und hellem Wahnsinn. Welchen Sinn soll es haben, ein Land zu zerstören, das Putin überdauern und auf immer unser Nachbar bleiben wird?
Die Bellizistin Baerbock fordert außerdem einen Importstopp für russische Energie "auf null – und zwar für immer". Zum Ausgleich für wegfallendes "böses" Russengas macht Baerbocks kongenialer Parteifreund Habeck gesäßtiefe Bücklinge vor arabischen Scheichs, um die zu erwartende Energielücke durch "gutes" Gas von notorischen Demokratieverächtern zu schließen. Einfach genial!
Zudem arbeiten unsere Umweltexperten an langfristigen Lieferverträgen für klimaschädlicheres LNG-Gas aus den USA. Die hierfür erforderlichen Terminals werden im Hauruckverfahren ohne Umweltprüfung in den Nationalpark Wattenmeer gerammt.
Verstörend, aber wahr: Die "Überlebensfrage Klimaschutz" wird dem Ziel der Ruinierung Russlands geopfert – unter grüner Verantwortung.
Hysterie
Die kriegsbegleitende Hysterie hat mittlerweile absurde Züge angenommen. Aktuelle Beispiele:
Der Bundespräsident entschuldigte sich kürzlich für seine russlandfreundliche Politik als Außenminister. Seit wann sind Diplomatie und Freundlichkeit ein Vergehen, für das man um Verzeihung bitten muss?
Ex-Kanzler Schröder soll aus der SPD geschmissen werden, weil er für die russische Firma Gazprom tätig war. Vergessen ist, wie froh seinerzeit alle (!) waren, dass dem Kanzler Schröder gelungen ist, dank seiner guten Beziehungen zu Putin für billiges und krisensicheres Gas aus Russland zu sorgen. Jetzt soll ihm dafür sogar noch sein Ex-Kanzler-Büro gestrichen werden. Wie heuchlerisch!
Spiegelbildlich zur Russophobie hat sich eine Ukrainehysterie entwickelt. Beim kürzlichen European Song Contest von 40 Staaten landete der ukrainische Musikbeitrag auf dem Siegerpodest. Die Medien hatten das Ergebnis vorausgesagt. Fachleute sind sich einig, dass der Sieg nicht der Qualität des Beitrags, sondern allein dem Ukraine-Hype geschuldet war. Wenn das Schule macht, dann steht auch schon der nächste Fußball-Weltmeister fest.
Solche Possenspiele sind eher belustigend. Aber sie haben einen ernsten Hintergrund. Sie nähren nämlich den Verdacht, dass Selenskyjs Waffenlieferung-Trommelfeuer das Denkvermögen großer Teile der europäischen Zivilgesellschaft beschädigt hat.