Mit Doppelstandards in den nächsten Weltkrieg

Seite 3: Gefahr eines Weltkriegs

Die Dramatik der heutigen Situation wird durch zwei überaus eindrucksvolle Wortbeiträge der Weltkriegs-Zeitzeugen Klaus von Dohnanyi und Oskar Lafontaine verdeutlicht. Die Gedanken dieser beiden Humanisten sollten Pflichtprogramm für alle sein, die heute in unserem Land Verantwortung übernehmen.

Denn es ist unübersehbar, dass in Deutschland Politiker, welche die Schrecken eines Krieges und die Not der Nachkriegszeit noch am eigenen Leib verspürten, Platz gemacht haben für eine Generation, die den Krieg nur aus dem Fernseher kennt.

Ukrainebesuchern wie Marie Agnes Strack-Zimmerman (FDP), Anton Hofreiter (Grün) und Michael Roth (SPD) ist das Wort Krieg zu einer Formel verkommen, die ein Geschehen fernab von Deutschland beschreibt. Das Gefühl, dass das Inferno eines Weltkriegs blitzschnell unser Land erfassen kann, ist ihnen offensichtlich fremd.

Unter der fatalen Führerschaft der USA überbieten sich die Länder des westlichen Bündnissystems mit Geld- und Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Erfahrung lehrt, dass durch mehr Waffen das Blutvergießen nicht beendet, sondern verlängert wird, und zwar auf beiden Seiten.

Doch die bemerkenswerte Spendierfreudigkeit hat ein Gutes, sie gibt unmissverständlich Antwort auf die Frage, wessen Interessen der Krieg in der Ukraine wirklich dient. Die USA wollen ihrem erklärten Ziel, die Weltherrschaft zu erringen (Präsidentenberater Brzezinski, "Die einzige Weltmacht") einen Schritt näherkommen.

Es geht derzeit nicht um die Ukraine, sondern was wir sehen, ist ein Stellvertreterkrieg, der auf ukrainischem Boden ausgefochten wird. Präsident Biden hat hierfür vom Kongress 33 Milliarden Dollar erbeten, bewilligt wurden ihm sogar 40 Milliarden – natürlich für den Frieden. Deutschland marschiert bündnisergeben mit. Über Nacht wurden 100 Milliarden für Aufrüstung locker gemacht – zusätzlich zu dem von den USA durchgesetzten "Zwei-Prozent-Ziel".

Gratwanderung

Selbstverständlich darf sich die angegriffene Ukraine mit aller Vehemenz verteidigen und hierfür auch "schwere Waffen" von anderen Staaten fordern. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Staaten rechtlich und politisch verpflichtet sind, den Forderungen nachzukommen, zumal dann nicht, wenn die Gefahr eines Nuklearkrieges besteht. Letzteres kann hier nicht bestritten werden. Offensichtlich ist der Konsens, dass der Weltfrieden über allem steht, verloren gegangen.

Völkerrechtlich hochumstritten ist die Frage, ab wann die Unterstützung einer Kriegspartei die Schwelle überschreitet, ab der ein Unterstützer selbst zur Kriegspartei wird. Hierauf gibt es rechtlich keine überzeugende Antwort. Und selbst wenn es sie gäbe, würde es nicht viel helfen. Denn auch der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass sich Aggressoren nicht an Rechtsnormen orientieren, sondern ausschließlich an Bedrohungsgefühlen.

Erstaunlicherweise haben diese Fragen im öffentlichen Diskurs bisher nur eine geringe Rolle gespielt. Diese Nachlässigkeit ist lebensgefährlich. Sie verwundert vor allem bei den Politikern, die nicht müde werden, die Reizbarkeit und hohe Aggressivität von Putin zu betonen. Zu dessen Beruhigung trägt sicher nicht bei, dass Finnland und Schweden nun mit aller Macht in die Nato drängen.

Letzte Frage: Schlittern wir Europäer wieder wie "Schlafwandler" in einen Weltkrieg? (Prof. Christopher Clark, 2010, "Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog"). Noch nie seit 1945 war die Gefahr eines dritten – und wahrscheinlich letzten – Weltkriegs so groß wie heute. Gemessen daran zeigen die politisch Verantwortlichen in Europa und in Amerika eine erstaunliche Gelassenheit.

Wir sollten aufwachen.


Und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen!

Peter Vonnahme war bis zu seiner Penionierung Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Er ist Mitglied der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA). Von 1995 bis 2001 war er Mitglied des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung (NRV).