Mit Genuss gegen religiösen Fanatismus

Mohammed erhält seine erste Offenbarung von Gabriel am Berg Hirāʾ. Bild: Miniatur aus einer Handschrift von Raschīd ad-Dīns Weltchronik, 1307 / gemeinfrei

Der Protest gegen den Zwang in islamischen Staaten, während des Ramadans zu fasten, funktioniert ganz einfach: Öffentlich essen und trinken

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Überall auf der Welt begehen Menschen muslimischen Glaubens derzeit den Fastenmonat Ramadan. Das bedeutet, etwa vier Wochen lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex, aber auch auf Beleidigungen, Intrigen und Lügen zu verzichten. Den fundamental Gläubigen ist der Fastenmonat heilig, andere wiederum fasten nicht aus eigenem Willen, andere - auch Gläubige - gar nicht, oder nur am Wochenende. In manchen Staaten ist der Zwang zum Fasten gesetzlich geregelt, in anderen, z. B. Tunesien, wird er auch ohne gesetzliche Grundlage zunehmend unter Androhung harter Strafen durchgesetzt.

Dagegen gibt es seit einigen Jahren aktiven Widerstand: Essen und Trinken gegen den religiösen Fanatismus, der zunehmend bedrohliche Formen annimmt. Was nach fröhlichem Happening klingt, kann allerdings heftige Konsequenzen haben, sowohl seitens fanatisierter Gläubiger als auch durch den Staat.

Auch in unserem Land wird von den muslimischen Communities zunehmend Druck auf vermeintliche oder tatsächliche Gläubige ausgeübt, sich dem Ramadan anzuschließen. In den Schulen sind kollabierende Kinder ein wachsendes Problem, und vor kurzem wurde in Oldenburg ein Mann von einem anderen ermordet. Aller Wahrscheinlichkeit nach, weil er mitten am Tag ein Eis aß, was der Angreifer als Todsünde auffasste.

Die Nacht der Bestimmung

Es gibt unterschiedliche Arten - und Gründe - zu fasten. In unseren Breitengraden ist Heilfasten weit verbreitet, das angeblich dazu dienen soll, den Körper zu entschlacken. Über Nutz und Frommen dieses Unterfangens ist sich die Wissenschaft jedoch uneins, allerdings lässt sich mit Heilsäften, -pülverchen und -tees eine Menge Geld verdienen..

Auch die christliche Religion kennt eine Fastenzeit, die dauert sogar 40 Tage: die Passionszeit, die mit dem Osterfest endet. Auch in der Passionszeit gibt es bestimmte Regeln: Empfohlen wird, nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich zu nehmen. Verboten ist u.a. der Verzehr von Fleisch. Doch die braven Christenmenschen waren schon immer sehr erfinderisch: Das Fleisch wurde einfach vor dem Herrgott versteckt. Angeblich sollen so die Maultaschen entstanden sein, die deshalb auch den Namen Hergottsb'scheißerle tragen.

Üblicherweise folgen die meisten christlich orientierten Menschen den strengen Regeln des Fastens heute nicht mehr. Die christliche Fastenzeit gilt gemeinhin als Anreiz, 40 Tage auf etwas zu verzichten, was einem wichtig ist. Das wird individuell sehr unterschiedlich gehandhabt und kann ebenso Verzicht auf Fleisch bedeuten, als auch auf das Rauchen, Süßspeisen, mitunter auch Konsum, etc..

Ein Relikt aus Zeiten, in denen Kirchen auch hier das Sagen hatten, ist das Tanzverbot an Karfreitag, oder - noch gotteslästerlicher - das Verbot, an dem Tag den Film "Das Leben des Brian" öffentlich aufzuführen. Ein Gericht in NRW hat erst in diesem Jahr dieses Verbot bestätigt.

Der Fastenmonat Ramadan ist für Menschen strengen muslimischen Glaubens indes von immenser Bedeutung, denn in diesem Monat soll der Koran "gesandt" worden sein: Die heilige Schrift des Islams, gemäß des muslimischen Glaubens die wörtliche Offenbarung Gottes (arab. Allah) an den Propheten Mohammed.

Da dieser vermutlich weder lesen noch schreiben konnte, sprang ihm der Erzengel Gabriel mit einer "Verbalinspiration" zur Seite. Dieser Vorgang gilt als die "Nacht der Bestimmung" oder auch "die kraftvolle Nacht", wobei nicht ganz klar ist, wann diese genau stattgefunden hat. Der Koran besteht aus 114 Suren, die jeweils aus einer unterschiedlichen Anzahl von Versen. Die Suren 2 und 97 befassen sich mit dieser "kraftvollen Nacht":

Offenbart vor der Hidschra. Dieses Kapitel enthält 5 Verse. Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. 1. Wahrlich, Wir sandten ihn (den Koran) hernieder in der Nacht Al-Qadr. 2. Und was lehrt dich wissen, was die Nacht Al-Qadr ist? 3. Die Nacht Al-Qadr ist besser als tausend Monde. 4. In ihr steigen die Engel herab und der Geist nach dem Gebot ihres Herrn - mit jeder Sache.

Koran: Sure 97

Da diese Unklarheit bis heute nicht eindeutig beseitigt werden konnte, gilt gemeinhin die Nacht zum 27. Ramadan-Tag, aber auch an anderen ungeraden Tagen der letzten zehn Tage des Fastenmonats als die gültige.

Zusätzlich zum Koran mit seinen Suren und Versen gibt es die Hadithe, die Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed sowie der Aussprüche und Handlungen Dritter, die er stillschweigend gebilligt hat. Die Hadithe geben den Zusammenhang der angeblichen "Offenbarung" von Suren wieder, ohne den viele Koranstellen nicht verständlich wären, wie Giordano Brunello in seinem Blog Freiheit oder Scharia erklärt:

Es sind insbesondere die Hadithe und die von ihnen abgeleitete Sira (fromme, kanonische Prophetenbiographie), welche die Person des Propheten Mohammed zeichnen, den die Muslime zu kopieren und dessen Befehle sie zu befolgen haben.

Giordano Brunello

Mit dem Ramadan feiert die muslimische Welt also ihren Glauben, letztendlich sich selber, wie hierzulande z. B. Weihnachten gefeiert wird. Zumindest die männlichen Muslime, denn in den meisten muslimischen oder muslimisch-geprägten Staaten, aber auch in den Communities in unserer Nachbarschaft, ist es nicht üblich, dass Frauen und Männer gemeinsam speisen.

Den Frauen obliegt es, die opulenten Mahle, mit denen das Fasten täglich nach Einbruch der Dunkelheit "gebrochen" wird, vorzubereiten und anschließend deren Spuren zu beseitigen. Und zwar nachdem sie den ganzen Tag nicht gegessen und getrunken haben und während sie nebenher die Kinder beaufsichtigen, damit die Männer von diesen nicht gestört werden. Essen dürfen sie die Reste, die die Männer ihnen übrig lassen. Und wenn sie Glück haben, befolgt ihr Herr von Allahs Schöpfung nicht in jeder Nacht Sure 2, Vers 187 des Korans …

In den westlichen Ländern gibt es sicherlich bisweilen auch partnerschaftliche Vorbereitungen sowie ein gemeinsames Essen.

Mitgefangen - mitgehangen

Wer da ist, muss sich dem Ramadan anschließen. Das regelt ebenfalls Sure 2 des Korans: "Wer also da ist von Euch in diesem Monat, der möge ihn durchfasten; …"

Ausgenommen sind Schwangere, Kranke, die die Tage ihrer Krankheit nachfasten sollten, und Kinder. Ansonsten ist das Fasten während des Ramadans eine der obersten religiösen Pflichten von Musliminnen und Muslimen.

In einer Reihe islamischer Staaten ist das Nichteinhalten der Fastenzeit verboten. In Saudi-Arabien werden sogar Nichtmuslime bestraft, die im Ramadan während des Tages in der Öffentlichkeit essen, trinken oder rauchen. 2013 gab die saudische Regierung eine Warnung heraus, die auch für Touristen galt. Einheimischen wurde Gefängnisstrafe oder auspeitschen - oder beides - angedroht, Touristen müssten damit rechnen, des Landes verwiesen zu werde.

"Diese Entscheidung gilt für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie Muslime sind oder nicht, und stehen im Einklang mit den Bestimmungen Saudi-Arabiens, die die öffentliche Verletzung der Ramadan-Ethik streng verbieten und die Berücksichtigung der Gefühle der Muslime in diesem glücklichen Monat anregen", zitiert die US-amerikanische Nachrichtenagentur UPI.

Wie viele Verurteilungen oder Ausweisungen es tatsächlich gab, ist indes nicht bekannt. Bereits 2008 wurden in Algerien sechs Männer zu vier Jahren Haft und einer Geldstrafe von 1000 € verurteilt, weil sie die "Gefühle der Muslime in diesem glücklichen Monat" verletzten. Laut des Internetportals Women Living Under Muslim Laws (Frauen unter muslimischem Recht) wurden sie verhaftet, weil sie öffentlich während der Fastenzeit gegessen hatten. In den Golfstaaten, u.a. Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Saudi Arabien sei es illegal, während dieser Zeit in der Öffentlichkeit zu essen, trinken oder rauchen. Ansonsten drohen hohe Geldstrafen.

Essen aus Protest

Hungerstreik ist als Protestform hinlänglich bekannt. Doch der Widerstand gegen die zunehmende Rigidität, mit der die religiösen Gebote durchgesetzt werden, brachte die gegenteilige Aktionsform auf die Tagesordnung: Schmausen gegen den Fanatismus. Die genannten Fälle zeigen, dass es immer wieder mutige Menschen gibt, die sich den religiösen Geboten widersetzen. Und zwar, in dem sie schlicht essen und trinken, und dabei darauf achten, gesehen zu werden.

Das "Protest-Picknick" als Form des zivilen Ungehorsams tauchte bereits 2009 in Marokko auf. Mitglieder der Moroccan Alternative Movement for Individual Freedoms - Marokkanische Alternative Bewegung für Persönliche Freiheiten (MALI) planten ein öffentliches Picknick, um ein Gesetz zu verhindern, dass Nicht-Fasten unter Strafe stellt. Dieses sollte in einem kleinen Ort zwischen Rabat und Casablanca stattfinden.

Mittels sozialer Netzwerke wurde für das öffentlich Mahl geworben. Das brachte allerdings nicht nur potentielle Teilnehmende auf den Weg, sondern auch die Polizei, die die Zusammenkunft rigide unterband. Einigen Studentinnen und Studenten sowie der Journalistin Zeineb el-Rhazoui wurde mit Haft gedroht. Letztere erhielt via Internet Todesdrohungen erzürnter Muslime.

"Ein Gläschen gegen den Ramadan" genehmigten sich laut Cicero 2013 Jugendliche in Tunesien. Auf Initiative einer jungen Frau posteten Dutzende junge Menschen Fotos von sich in sozialen Netzwerken, auf denen zu sehen war, wie sie essen, rauchen - oder gar Alkohol trinken. Der Prediger Adel Almi, der widerspenstige Frauen gern gesteinigt sähe, rief "anlässlich des bevorstehenden Ramadan die Tunesier in der Zeitung As-Sabah dazu auf, jeden zu fotografieren, der beim Essen, Trinken oder Rauchen ertappt werde.

Auch das Baden am Strand gehöre sich nicht während des Fastenmonats. Die Fotos solle man anschließend auf Netzwerken wie Facebook veröffentlichen - Adel Almi will das Internet zum öffentlichen Pranger für Ramadan-Sünder machen".

Doch es bedurfte des Denunziantentums gar nicht, die Jugendlichen lieferten die Fotos selbst:

Am 9. Juli ging die Seite online, nach 24 Stunden hatte sie bereits über 6000 Fans. Mittlerweile folgen über 10.000 Menschen der Seite, nahezu stündlich kommen neue Unterstützer hinzu, im Minutentakt werden neue Bilder veröffentlicht.

Cicero

Kürzlich blockierten 15 Personen die Straßenbahn in Casablanca. Aus Protest gegen die Sonderregelungen während des Ramadans: Die Bahn startet morgens eine Stunde später und abends, während des täglichen Fastenbrechens, unterbricht sie den Verkehr für eine Stunde.

In Tunesien wurden in der vergangenen Woche vier Männer zu je einem Monat Haft verurteilt, weil sie sich nicht an die Ramadan-Regeln gehalten haben. Allerdings gibt es in Tunesien kein Gesetz, das solch ein Verhalten unter Strafe stellt.

Das deutet daraufhin, dass die religiösen Regelungen rigider durchgesetzt werden. Das ist auch aus der Türkei zu hören. In Foren in sozialen Netzwerken ist zu lesen, dass sich Fälle häufen, in denen Nicht-Fastende beleidigt, bepöbelt und mitunter auch tätlich angegriffen werden.

Auch in Deutschland wächst der Druck

Wer nun denkt, ok, das ist alles weit weg, und es sind alles Länder mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung, und wir haben hier auch bestimmte, unumstößliche christliche Regeln, siehe Tanzverbot an Karfreitag, der irrt.

Auch in den muslimischen Communities in diesem Land wächst der Druck auf vermeintliche oder tatsächliche Gläubige, sich den islamischen Geboten entsprechend zu verhalten. Immer wieder kommt es deshalb z. B. in Asylunterkünften zu Handgreiflichkeiten.

In vielen Kommentaren in sozialen Netzwerken schildern Lehrerinnen und Lehrer, wie überfordert sie damit sind, dass immer mehr und immer jüngere Schulkinder sich offenbar zum Fasten entschließen - auf Druck der Eltern, oder freiwillig, weil sie "erwachsen" spielen wollen.

Die Rede ist von kollabierenden Kindern während des Unterrichts, von Kindern, die nicht am Sport- oder Schwimmunterricht teilnehmen können, weil sie zu ermattet sind, und von schwindender Konzentrationsfähigkeit, die u.a. zur Folge hat, dass die Kinder die wichtigen Klassenarbeiten zum Schuljahresende mit schlechten Noten abschließen.

In einem verzweifelt anmutenden Versuch der Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wurden 12 Regeln zur besseren Vereinbarung von religiösen und schulischen Pflichten aufgestellt. Diese werden den Eltern der betroffenen Kinder an die Hand gegeben. Ob aber eine Ansammlung von "sollte, könnte, dürfte" tatsächlich an dem Problem etwas ändert, daran sind Zweifel angebracht.

In der vergangenen Woche wurde in Oldenburg ein Mann auf offener Straße von einem anderen ermordet. Bei Opfer und Täter soll es sich um Syrer handeln. Hintergrund der Tat ist Medienberichten zufolge vermutlich religiöser Fanatismus. Das Opfer soll ein Eis gegessen haben.

Der Zentralrat der Ex-Muslime (ZdE) fordert angesichts der steigenden - gar tödlichen - Aggressivität, mit der auf die Einhaltung religiöser Regelungen gedrängt wird, "Schutz für Säkulare und Andersgläubige während des Ramadan in Deutschland":

"Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass in Deutschland das Grundgesetz beachtet und alle Menschen frei von religiösem Zwang entscheiden können, welchen Bräuchen sie folgen. Leider werden mittlerweile etliche Beispiele berichtet, die einen Zwang belegen, vor allem gegenüber Kindern", heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation: "Religion ist Privatsache und muss privat bleiben. Kein Mensch darf andere, besonders aber Kinder, unter Druck setzen, einen Tag lang nichts zu essen und zu trinken."

Dem ist nichts hinzuzufügen.