Mit Kleinstaaterei den Neoliberalismus überwinden?
Seite 3: Die neoliberale Weltordnung ist am Ende
- Mit Kleinstaaterei den Neoliberalismus überwinden?
- Mit "Kleinstaaterei" gegen die Globalisierung
- Die neoliberale Weltordnung ist am Ende
- Russland und China - die neuen Feindbilder des "Westens"
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"Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus" lautet der Untertitel des hier besprochenen Buches. Wir befinden uns also nach Streeck bereits am Ausgang einer historischen Phase des Kapitalismus, die Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre mit den Wahlsiegen zunächst von Margaret Thatcher in Großbritannien und dann von Ronald Reagan in den USA begonnen hatte. Doch wie wahrscheinlich ist das Ende des Neoliberalismus wirklich? Wie steht es um dessen Lebensfähigkeit?
Er wäre womöglich heute längst Geschichte, wäre nicht Ende der 1980er-Jahre die ganze Welt grundlegend erschüttert worden, wodurch der globale Neoliberalismus erst zu dem wurde, was wir heute unter ihm verstehen. Dieses epochale Ereignis stellte der Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Systems der europäischen sozialistischen Staaten dar.
Der Kalte Krieg endete mit dem nahezu vollständigen Triumph des "Westens". Dieser Sieg des Imperialismus wäre sogar vollständig und damit total ausgefallen, hätte im April 1989 auch auf dem Pekinger Tian'anmen Platz die sogenannte "Demokratiebewegung" Erfolg gehabt.
Der Neoliberalismus ist daher nicht einfach nur eine besondere Wirtschaftsverfassung, die mal so eben durch eine andere, etwa eine sozialstaatliche eingetauscht werden könnte, er ist vielmehr die gegenwärtige Lebensform des heutigen Imperialismus, der nur deshalb seine aggressiven und destruktiven Potentiale derart ungehemmt ausleben kann, weil er seit der Weltenwende 1989/91 keinen ernsthaften Gegner mehr zu fürchten hat.
Wolfgang Streeck diskutiert diese Zusammenhänge leider nicht. Für ihn hat sich die imperialistische Führungsrolle der USA bereits erledigt:
"Die USA, egal unter welcher Führung, müssen sich um sich selbst kümmern; mit dem Ende der New World Order hat die Welt aufgehört, ihre Auster zu sein (…)." (504)
Er spricht in der Vergangenheitsform von einer "poststaatlichen kosmopolitischen Weltregierung": "Wie jedes Imperium, so unterlag auch dieses einer Tendenz zur Überdehnung mit entsprechenden Einbußen an Effektivität und Legitimität auch im Inneren seines Zentralstaats (den USA, A.W.)". (54 f.)
Die zentrale Bedeutung sozialer Protestbewegungen
Nach Streeck konnte der "Neoliberalismus zu einem vorläufigen Stillstand gebracht" (57) werden. Und die EU sei ein "gescheiterter Superstaat" (331). Verantwortlich dafür sei eine "Gegenbewegung von unten" (56). Wie eine solche "Gegenbewegung" für ihn aussieht, beschreibt der Autor am Beispiel der heutigen, vor allem von Jugendlichen getragenen Klimabewegung; sie sei fähig "kulturelle Revolutionen" auszulösen:
"Soziale Bewegungen versorgen Gesellschaften mit Ideen über und Identitäten mit sich selbst; sie finden auf der Gesellschafts-, nicht auf der Staatenebene statt, aber wenn sie stark genug werden, setzen sie staatlichem Handeln Ziele und Grenzen; sie provozieren eine emotionale Normativität, eine auf andere übertragbare, ansteckende Leidenschaft, die besser als alles andere den Einsatz von vielen für ein gemeinschaftliches Ziel stiften und antreiben kann." (484)
Auf diese Weise entwickele sich ein gesellschaftlicher Konsens:
"Was man als unmoralisch empfindet, tut man nicht, egal ob andere es tun: massengehaltene tote Tiere essen, Sklaven kaufen und verkaufen (sic!), mit dem Flugzeug in den Urlaub reisen, vielleicht bald: Autos mit Verbrennungsmotor fahren." (484f.)
Es handele sich dabei um eine Selbstverpflichtung zu "umweltpolitischer Tugendhaftigkeit" (484).
Streeck geht davon aus, dass solche sozialen Bewegungen in kleineren Staaten erfolgreicher sind: "Hier nun kommen Staatenarchitektur und Skalenpolitik ins Spiel. Es spricht einiges dafür, dass die Ausbreitung moralischer Erneuerungsbewegungen durch verteilte Kleinstaatlichkeit begünstigt wird. (…) In einem Staatensystem mit verteilter Kleinstaatlichkeit ist ihre Chance, in den Besitz staatlicher Macht zu gelangen größer, als wenn sie sich in dem System als Ganzem auf einmal durchsetzen müssten." (485 f.)
Es darf jedoch bezweifelt werden, dass klima- und globalisierungskritische Bewegungen "von unten" den Neoliberalismus auch nur "zu einem vorläufigen Stillstand" (57) bringen können. Bereits 1999 waren aus Anlass der Ministerkonferenz der Welthandelskonferenz (WHO) mehr als 50.000 Menschen in die US-amerikanische Stadt Seattle gekommen, um gegen Globalisierung und Freihandel zu protestieren.
Im Juni 2001 kamen in Genua noch weit mehr Menschen aus Anlass des G-8-Gipfels zusammen. Die europäischen Linksparteien sahen in diesen Protesten bereits die Wiedergeburt einer weltweiten Linken. Fausto Bertinotti, seinerzeit Vorsitzender der italienischen Partei Refondazione Comunista und der Europäischen Linkspartei, sprach von der Anti-Globalisierungsbewegung als "der Bewegung der Bewegungen".
Nur wenige Wochen nach den Protesten in Genua wurden am 11. September 2001 das World Trade Center und das Pentagon angegriffen. Die US-Regierung nutzte die ihr damit gebotene Gelegenheit, um einen "Krieg gegen den Terror" auszurufen. Innerhalb von nur Tagen gelang es ihr, die ganze westliche Welt hinter sich zu versammeln. Zum ersten und bisher einzigen Mal in der Geschichte der NATO wurde der Bündnisfall ausgerufen.
Im Oktober 2001 begann unter Führung der USA die militärische Intervention in Afghanistan an der sich nicht weniger als 24 Staaten beteiligten. Kaum jemand sprach damals noch über die Verwerflichkeit der Globalisierung. Der "Westen" zeigte einmal mehr, zunächst in Afghanistan und dann auch im Irak, Libyen und in Syrien, dass seine globale Weltordnung und damit auch der Neoliberalismus auf militärische Gewalt gegründet sind. Die stählerne Faust war und ist stets präsent.
2011 kam es, angesichts der katastrophalen Folgen der Weltfinanzkrise zu neuen Protesten gegen die US-geführte globale Weltordnung. Unter dem Slogan "Occupy Wallstreet" formierte sich eine Kritikbewegung, zunächst in Nordamerika, dann auch in Westeuropa. Bereits nach wenigen Wochen war aber auch dieser Spuk wieder vorbei. Nicht wenige der Aktivisten ließen sich als Angehörige der neuen Mittelschicht im Zuge der neoliberalen ideologischen Gegenoffensive von den "Vorteilen der Globalisierung" überzeugen.
Auch die heutigen Aktivisten der neuen Klimabewegung gehören dieser neuen Mittelschicht an. Politisch setzen sie in Deutschland ganz auf die Grünen, auf eine Partei, die sowohl globalisierungsaffin als auch entschieden proeuropäisch ist. Und da es Aktivisten stets um nicht weniger als die Rettung der gesamten Welt geht, nehmen sie natürlich auf die Interessen von Nationalstaaten keinerlei Rücksichten.
Die spin-doctors der EU haben längst begriffen, dass ihnen mit dieser Klimabewegung ein neues, junges und europabegeistertes Publikum zuwächst.
Genau auf sie zielt denn auch der "Green New Deal" der Europäischen Kommission. Es ist daher ein Rätsel, wie man ausgerechnet diese Bewegung für fähig halten kann, der Globalisierung ein Ende zu setzen.
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