Mit Sonnensegeln zur großen galaktischen Symphonie

Interview mit Gregory L. Matloff, Professor für Astronomie an der New York University, über interstellare Weltraummissionen

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Gregory L. Matloff von der New York University setzt für Reisen im Weltraum auf eine Technik, die sich bereits im Erprobungsstadium befindet: Sonnensegel. Die Grundidee ist hierbei, sich vom Strom der von der Sonne ständig ausgestrahlten Partikel vorantreiben zu lassen.

Herr Matloff, während es gegenwärtig noch völlig unabsehbar ist, wann bemannte Raumflüge zum Mond oder Mars unternommen werden, denken Sie bereits über interstellare Missionen nach. Wie realistisch ist das?

Gregory Matloff: Bis die ersten Menschen das Sonnensystem verlassen, wird noch sehr viel Zeit vergehen. Aber vier Roboter sind bereits unterwegs in den interstellaren Raum: Pioneer 10 und 11 sowie Voyager 1 und 2. Und die NASA wird relativ bald im nächsten Jahrhundert mindestens eine Mission starten, um den nahen interstellaren Raum zu erforschen. Mit etwas Glück werden wir den Kontakt mit der Sonde aufrecht erhalten, bis sie etwa ein Prozent der Entfernung zum nächsten Stern zurückgelegt hat. Die Überbrückung der kompletten Distanz zu anderen Sternen liegt jedoch im Moment noch jenseits unserer Möglichkeiten.

Wann könnte es soweit sein? In welchen zeitlichen Maßstäben denken Sie?

Gregory Matloff: Ich denke, im Lauf des nächsten Jahrhunderts sollte es möglich sein, eine kleine, unbemannte Sonde zum nächsten Stern zu schicken. Es könnte allerdings mehr als ein Menschenleben dauern, bis sie dort ankommt, und möglicherweise ist sie auch nicht in der Lage, anzuhalten. Bemannte interstellare Missionen liegen noch weiter in der Zukunft. Wie weit, lässt sich überhaupt nicht schätzen. Es mögen zweihundert Jahre sein, tausend Jahre oder noch mehr. Es wurde auch darüber spekuliert, dass interstellare Reisen möglicherweise nichts für erdgebundene, sterbliche Menschen sind. Es könnte sein, dass wir Cyborgs zu den Sternen schicken, ähnlich den Borgs aus "Star Trek", oder zumindest Menschen, die ohnehin ihr gesamtes Leben im Weltraum zugebracht haben und für die es keinen großen Unterschied macht, ob sie in einer Raumstation leben, die die Sonnen umkreist oder sich auf dem Weg zu einem anderen Sternsystem befindet.

Wäre es nicht sinnvoll, statt einer einzelnen Sonde gleich eine kleine Flotte auf die interstellare Reise zu schicken?

Gregory Matloff: In der Tat, bei solchen Missionen ist die Ökonomie ebenso wichtig wie die Redundanz. Also werden wir wahrscheinlich eine kleine Flotte unbemannter Sonden starten. Und bemannte Raumschiffe werden wenigstens zu zweit auf die Reise gehen. Auch Columbus war mit mehreren Schiffen unterwegs, als er als erster Europäer amerikanischen Boden betrat. Das ist eine sehr vernünftige Vorgehensweise.

Welche Antriebssysteme für interstellare Reisen werden gegenwärtig diskutiert?

Gregory Matloff: Am frühesten dürfte das Sonnensegel zur Verfügung stehen, eine dünne Metallfolie, die vom Sonnenlicht vorangetrieben wird. Daneben gibt es verschiedene nukleare Optionen. Wenn es gelingt, die damit verbundenen Umweltprobleme zu lösen, könnte die Kernspaltung Energie für interstellare Antriebe liefern. Noch weiter in der Zukunft liegt die Kernfusion, die wir heute noch nicht kontrollieren können. Aber wir machen Fortschritte. Das wäre sauberer als die Kernspaltung und würde mehr Energie liefern, zumindest theoretisch. Darüber hinaus - und damit werden wir sehr spekulativ - gibt es noch Antimaterie. Wenn sie auf gewöhnliche Materie trifft, löschen sich beide Materieformen gegenseitig aus und verwandeln sich in pure Energie. Antimaterie ist allerdings sehr schwierig zu lagern und extrem teuer: Schon eine kleine, mit Antimaterie betriebene Sonde würde die gesamte Erde in den Konkurs treiben. Es gibt auch den Vorschlag, ein interstellares Raumschiff mit einem Laser anzutreiben, der in der Nähe der Sonne stationiert ist und die Energie von dort zum Raumschiff strahlt, wo sie von einem großen Segel aufgefangen wird. Auf diese Weise ließen sich sehr große Geschwindigkeiten erreichen.

So etwas hat Buzz Aldrin in seinem Roman "Begegnung mit Tiber" vorgeschlagen.

Gregory Matloff: Richtig, Buzz Aldrin hat in dem Roman viele Ideen aufgegriffen - von mir, Bob Forward, Robert Zubrin und anderen. Aber Bob Forward war wahrscheinlich der erste, zumindest einer der ersten, der sich mit dem Konzept laserbetriebener interstellarer Raumschiffe beschäftigt hat. Die dafür nötigen Laser können wir heute noch nicht bauen. Aber wenn wir zunächst Raumschiffe mit Sonnensegeln konstruieren und damit experimentieren, wäre das ein guter erster Schritt.

Wären wir denn heute schon in der Lage, solche Segel zu bauen? Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie in Ihrem Vortrag Segeldurchmesser von mehreren hundert Kilometern veranschlagt.

Gregory Matloff: Das Schöne am Sonnensegel ist, dass man es in beliebigen Größen verwenden kann. Um ein Gramm Nutzlast zu transportieren, würde vielleicht ein Segel von der Größe dieser Tischplatte ausreichen. Es sind aber auch Segel mit hundert und mehr Kilometern Durchmesser denkbar, die ganze Städte durchs All befördern. So etwas werden wir in nächster Zeit nicht realisieren, wohl aber Sonnensegel von der Größe eines Fußballfeldes bis hin zu einem Kilometer Durchmesser.

Die Russen haben schon damit experimentiert. Aber ist das Experiment nicht gescheitert?

Gregory Matloff: Die Russen haben es bereits zwei mal erprobt. Ihr erstes Sonnensegel hat sich im Jahr 1993 perfekt entfaltet. Als sie es im vergangenen Februar erneut versuchten, gab es ein Problem bei der Steuerung. Irgend jemand in der Bodenkontrolle richtete eine Antenne aus, während das Segel sich entfaltete. Das wickelte sich daraufhin um die Antenne und wurde dabei zerstört. Eine Katastrophe, genauso überflüssig wie der Verlust des Mars Climate Orbiter durch simple Fehler bei der Umrechnung von Maßeinheiten.

Was für einen Grund gibt es, Sonden oder auch bemannte Raumschiffe zu anderen Sternen zu schicken?

Gregory Matloff: Nun, was die Sonden betrifft: Um herauszufinden, was dort ist. Wie verbreitet sind erdähnliche Planeten? Was für Lebensformen mögen wir dort finden, intelligent oder nicht? Sind wir einzigartig im Universum? Unter welchen Bedingungen kann Leben entstehen? Wie sind die Lebensaussichten für hoch entwickelte Zivilisationen? Haben wir noch hundert Jahre, oder wird es uns auch noch in einer Milliarde Jahren geben? Sind wir möglicherweise Teilnehmer an einem großen, galaktischen Spiel, einer galaktischen Symphonie, ohne davon zu wissen? Und bedenken Sie dies: Irgendwann, Milliarden Jahre in der Zukunft, wird unsere Sonne sterben. Wenn wir diese letzte Tragödie überleben wollen, müssen wir uns bis dahin andere Orte außerhalb des Sonnensystems zum leben gesucht haben. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann.

Der russische Schriftsteller Iwan Jefremow hat in den fünfziger Jahren in einem Roman die Idee des "Großen Rings" miteinander kommunizierender, galaktischer Zivilisationen entwickelt. Glauben Sie, die Menschheit könnte zu so einer galaktischen Zivilisation heran reifen?

Gregory Matloff: Ich glaube, die Menschheit hat ein großes Potential dafür. Viele Menschen haben allerdings auch große Angst davor. Sie sagen, wenn wir jemals ein Signal von einer außerirdischen Zivilisation empfangen, würde das die Menschheit ruinieren. Wir würden dann nichts mehr lernen oder selbst erarbeiten wollen. Dagegen würde ich einwenden, dass das Wissen für uns viele tausend Jahre lang die Gestalt offenbarten Wissens hatte. Bücher wie die Bibel oder das Gilgamesch-Epos haben der Menschheit nicht geschadet, und Wissen, das uns von einer fortgeschrittenen, außerirdischen Zivilisation offenbart wird, wird uns auch nicht daran hindern, Menschen zu bleiben und weiter zu lernen.