Mit Vollgas in die Stagflation
Seite 2: Die USA und Großbritannien - und die Aussichten
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Klar wird der Rezessionskurs auch, wenn man etwas in die Welt über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Die USA befinden sich definitiv schon in der Rezession, da die Wirtschaft schon in zwei aufeinander folgenden Quartalen geschrumpft ist. Diese Lage wird nun euphemistisch als "technische Rezession", wie in der Tagesschau, umschrieben:
Was einige Ökonomen und Top Banker unlängst schon prophezeit haben, ist nun eingetreten: die US Wirtschaft befindet sich in einer technischen Rezession.
Tagesschau
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im zweiten Quartal hochgerechnet aufs Jahr um 0,9 Prozent zurück und im Quartal zuvor waren es schon 1,6 Prozent.
Hier liegt man in der ARD sogar einmal richtig, denn es ist klar, dass die FED nun massiv mit starken Zinserhöhungen auf die Bremse tritt, um die Nachfrage angesichts eines knappen Angebots zu senken. Da die Inflationsrate im Juli sogar auf 9,1 Prozent gestiegen war, hatte die US-Notenbank FED den Leitzins erneut um 75 Basispunkte auf nun eine Zinsspanne von nun schon 2,25 und 2,5 Prozent angehoben.
Lange Zeit hatten auch Fed-Chef Jerome Powell und seine Kollegen die Inflation stark unterschätzt und viel zu spät gehandelt, weshalb die Rezession unvermeidbar geworden ist.
Powell spielt die Rezessionsgefahr aber herunter und verweist dabei auch auf die Stärke des Arbeitsmarkts. Man sei in der Nähe von Vollbeschäftigung. In der ersten Jahreshälfte seien im Schnitt monatlich jeweils etwa eine halbe Million neue Stellen geschaffen worden, weshalb sich die Wirtschaft nicht in einer Phase einer wirtschaftlichen Kontraktion befinde, meinen auch Experten.
Wie die Teuerungsrate, die in den USA etwas ehrlicher als in der Eurozone ist, wird das BIP-Wachstum auf das Jahr hochgerechnet, also annualisiert, weshalb es ebenfalls nicht mit den Zahlen hier vergleichbar ist.
Dramatischer ist die Lage im von vielen Krisen geschüttelten Großbritannien. Die Bank of England (BoE) meint, das Königreich werde in eine zähe Rezession abtauchen. Auch hier hat das real etwas mit der Zinspolitik zu tun, da die BoE als erste Notenbank mit Zinsschritten auf die hohe Inflation reagiert hat.
BoE-Gouverneur Andrew Bailey warnt vor einem herben Abschwung. Zum Jahresende werde die Wirtschaft schrumpfen. Der Vorgang werde sich das ganze Jahr 2023 hindurch fortsetzen und damit droht dem Königreich die längste Rezession seit der Finanzkrise ab 2008.
Die Inflation soll zum Jahresende sogar auf über 13 Prozent explodieren, womit auch Briten, Schotten, Wallisern und Nordiren massiv Kaufkraft geraubt wird. Auch Bailey kommt, wie die EZB-Chefin Lagarde, gerne mit dem russischen Angriff auf die Ukraine, welcher die Energiepreise nach oben getrieben habe.
Auch er vergisst dabei den Blick auf die Schweiz und ignoriert geflissentlich, dass sich die Ölpreise zum Beispiel 2008 an die Marke von 150 Dollar herangeschoben hatten. Die Energiepreise für Verbraucher stiegen aber bei weitem nicht so hoch wie jetzt, weshalb nun die Inflation explodiert, wofür auch massive Spekulation verantwortlich ist. In Großbritannien spielen aber auch Wechselkursprobleme und die Brexit-Folgen eine wichtige Rolle bei Inflations- und Rezessionsdruck.
Immer weiter Schulden machen?
Die Ausblendung problematischer Aspekte der Realität findet sich nicht nur bei der EZB, sondern auch bei Ökonomen, die nahelegen, dass man einfach ohne Konsequenzen immer weiter Schulden machen könne. Offenbar soll die EZB inflationstreibend immer weiter Geld drucken und die Staaten aus der Notenpresse weiter finanzieren. Sagen tut Heiner Flassbeck das allerdings explizit nicht.
Natürlich hat er darin recht, wenn er in seinem Telepolis-Beitrag feststellt, dass es kontraproduktiv ist, wenn in einer Rezession gespart wird. Natürlich kann das die Rezession verschlimmern und auch die Schulden schließlich wieder erhöhen, vor allem wenn man das so verrückt wie einst in Griechenland betreibt.
Aber, nach Ansicht des Autoren dieses Beitrages, umkurvt Flassbecks Ansatz das Problem, dass es eben keine Lösung ist, immer weiter Geld zu drucken. Der Schuss geht, wie wir jetzt sehen, irgendwann nach hinten los, wenn man sich Zeit erkauft, sie aber nicht für strukturelle Änderungen nutzt. "Italien hat in den vergangenen dreißig Jahren vonseiten des Staates mehr gespart als irgendein anderes Land in Europa", stellt Flassbeck fest.
Doch erklärt er, dass dies nicht an mangelndem politischem Willen oder zu geringen "politischen Anreizen" geschehen ist, sondern dass dies einzig und allein der Tatsache geschuldet sei, "dass die Konstellation der übrigen Salden in der italienischen Volkswirtschaft erfolgreiches Sparen des Staates unmöglich gemacht hat".
Nicht erwähnt wird in dieser Sichtweise, dass auch in Italien eine Schattenwirtschaft blüht, Steuerhinterziehung und Mafia-Strukturen eine bedeutsame Rolle spielen, um gar nicht von der politischen Dauerkrise zu sprechen. Dazu kommt, dass auch in Italien die Firmen viel zu niedrige Steuern bezahlen oder Steuern über Steuerparadiese vermeiden.
Wurde dagegen etwa effektiv vorgegangen? Wurden die Einnahmen erhöht, ohne auf absurde Kürzungen bei der immer gleichen Klientel zu setzen, wie es auch der neoliberale Mario Draghi getan hat? Seine Übergewinnsteuer von 25 Prozent auf Spekulationsgewinne von Energieriesen bedeutet doch nichts anderes, als dass die sich 75 Prozent inflationstreibend einstecken können.
Die Inflation enteignet derweil aber die breite Bevölkerung nun so stark, wie lange nicht mehr, um von Seiten der EZB die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu verkleinern. Den Kurs hatte eben auch Draghi als ehemaliger EZB-Chef eingeschlagen.
Wenn man glaubt, dass die Enteignung, die weiter über die Inflation an Fahrt aufnimmt, nicht den "gesellschaftlichen Zusammenhalt ernsthaft bedroht", auf den Flassbeck wegen der Rezessionsgefahren abstellt, liegt man nach Ansicht des Autors auch reichlich schief. Es fehlen völlig die Ansätze, wie dieser Enteignung begegnet werden soll, die die einfache Bevölkerung nun so hart trifft, dass sogar viele Menschen im reichen Deutschland vermutlich im Winter nicht mehr die Wohnung werden heizen können.
Dabei ist klar, wo das viele Geld ist, dass man schöpfen könnte. Schließlich sind die Reichen auch in den letzten beiden Krisen immer reicher geworden, ganz besonders über die Notenbankpolitik. Und: Höhere Löhne, welche die Wirtschaft stabilisieren, bedeuten letztlich auch höhere Einnahmen der Steuer und Sozialkassen.
Portugal hatte das vorgemacht und sich auf einem speziellen Weg aus der Rettungsmisere freigekämpft Und, das sei hier auch gesagt, es ist schlicht Wahnsinn, immer weiter Wachstum generieren zu wollen, koste es was es wolle, um eine Rezession umschiffen zu wollen. Es sollte doch, die Klimakrise macht das deutlich, endlich bei allen angekommen sein, dass unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich ist.
So ist nur die Frage der Zeit, wann die wirklich große Rezession kommt; der Kapitalismus kollabiert, wenn fast sämtliche Ressourcen aufgebraucht sind oder das Klima definitiv gekippt ist. Auch das wird geflissentlich orientiert. Wie bei der Geldschwemme gilt auch hier, je länger man diese Probleme verschleppt, desto härter werden letztlich die Konsequenzen.