Mit Zizek im Darkroom

Der slowenische Philosoph grabscht nach Habermas' Kerneuropa-Vision und eiert von Lenin zu Westerwelle

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Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Der postmoderne Meisterdenker Slavoj Zizek kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein naheliegender Gedanke "dekonstruiert", also unbrauchbar gemacht werden soll. So lobte der Vorzeige-Balkanese Ende 2001 auf einem Essener Symposium ausgerechnet Lenin zu Tode, obwohl er kurz zuvor noch Toni Negris Empire , ein schwülstiges Dementi der Imperialismus-Analyse des Bolschewiken, als "kommunistisches Manifest des 21. Jahrhunderts" abgefeiert hatte. Als Zizek seine unredigierbaren Assoziationsketten dann auch noch von Suhrkamp zwischen zwei Buchdeckel pressen ließ, war der Abschreckungseffekt maximal. Wenn so einer Die Revolution steht bevor plakatiert, möchte man mit derselben eigentlich nichts mehr zu tun haben. Klappe zu, Lenin tot.

Dasselbe blüht nun Jürgen Habermas. Der Frankfurter Philosoph wirbt seit dem Irak-Krieg zwar nicht für die Revolution, aber für die Abkoppelung der EU von der US-amerikanischen Kriegsmaschine, was immerhin ein Anfang werden könnte, wenn es denn ernst gemeint wäre (vgl. Habermas sucht Kerneuropa). Rekapitulieren wir: Mitte April verkündet Habermas, dass "die normative Autorität Amerikas in Trümmern" liege und er, anders als noch 1999, die kriegerische Durchsetzung der Menschenrechte ohne UN-Mandat für falsch halte. Ende Mai pries er die Millionendemonstrationen des 15. Februar als "Geburt einer europäischen Öffentlichkeit", die Anstoß zur Bildung eines "avantgardistischen Kerneuropa" sein müsste, das seinerseits eine "Sogwirkung" auf den Rest des Kontinents haben würde.

Habermas' Vision hat ihren Charme, weil sie das zu schaffende Europa nicht kulturkämpferisch (und damit tendenziell rassistisch) von der Neuen Welt, dem Slawismus oder Islamismus absetzt. Seine Wunsch-EU ist nicht christlich, wie es Stoiber und Berlusconi wollen, sondern etwas "Konstruiertes von Anfang an". Jeder zwischen Dublin und Wladiwostok, zwischen Grönland und Anatolien kann bei diesem Konstrukt mitmachen, der sich zu folgenden Prinzipien bekennt:

Säkularisierung, Staat vor Markt, Solidarität vor Leistung, Technikskepsis, Bewusstsein für die Paradoxien des Fortschritts, Abkehr vom Recht des Stärkeren, Friedensorientierung aufgrund geschichtlicher Verlusterfahrung

so die Zusammenfassung eines Interviewers, der Habermas nicht widerspricht

An diese Utopie hängt sich nun Zizek in der letzten Ausgabe von Springers Welt am Sonntag an.

Wollen wir tatsächlich in einer Welt leben, in der die Freiheit der Wahl nur mehr zwischen dem American way of life und einem aufstrebenden autoritären Kapitalismus chinesischer Provenienz besteht? Wenn die Antwort auf diese Frage Nein ist, kann nur Europa die Alternative sein.

Das "Konzept europäischer Modernität" stehe im Widerspruch sowohl zum Dschihad wie zu McWorld, die nur "zwei Seiten ein und derselben Medaille" darstellten. Das hört sich noch ganz vernünftig an, wenn es auch Habermas konziser gesagt hat, und ohne die gänzlich überflüssige Spitze gegen Peking.

Auch mit Paris steht Zizek auf Kriegsfuß: "Der von der französischen Linken und rechten Nationalisten gleichermaßen geführte Kampf gegen jede Form von "Amerikanisierung" ist vor allem ein Ausdruck mangelnder Bereitschaft, ... den Verlust der herausragenden Stellung der Grande Nation zu akzeptieren." Wer unter der Überschrift "Vom Chauvinismus der Kerneuropäer" auch noch ein paar kritische Sätze über die imperialen Ambitionen Deutschlands erwartet hätte, wird enttäuscht. Das ist kein Zufall, denn Zizek kritisiert gleichzeitig den "ethisch-politischen Offenbarungseid der (europäischen) Gemeinschaft während der Jugoslawien-Krise zu Beginn der 1990er-Jahre". Damit repetiert er den Vorwurf, die EU hätte dem serbischen Teufel frühzeitiger und entschlossener entgegentreten müssen - ein Vorwurf, den seinerzeit neben Zizek auch die deutschen Kriegstreiber erhoben hatten, und zwar, so schließt sich der Kreis, vor allem gegenüber Paris. Die gemeinsame Außen- und Militärpolitik Kerneuropas, wie sie leider auch Habermas fordert, hätte bei Leuten wie Zizek und Cohn-Bendit schon 1992 mit einer Bombardierung von Pale und Belgrad geendet.

Schließlich raunt das Orakel, wir könnten "Europa gerade dadurch verlieren ..., dass wir versuchen, es zu verteidigen". Vielmehr müsse der Kontinent sich "zunächst einer radikalen Selbstkritik unterziehen", "muss sich Europa neu erfinden", man müsse "das Projekt der Linken sorgfältig ... überdenken". Gebannt wartet der Leser, was nun kommt, aber er wartet vergeblich. Von Lenin, dem vor Jahresfrist noch hochgelobten, keine Spur, statt dessen Westerwelle pur: "An alten Rezepturen wie der Idee vom Wohlfahrtsstaat" festzuhalten sei anachronistisch, ein "Sich-Klammern an überlebten Vorstellungen". Wo Habermas, schlimm genug, auf die Forderung einer egalitären Wirtschaftspolitik als Bedingung für ein anderes Europa verzichtet, wird er von Zizek noch verschlimmbessert.

Vielleicht müsste man auf den in Essen lehrenden Slowenen den Witz anwenden, den er gerne über Lenin erzählt: Marx, Engels und Lenin werden gefragt, ob sie lieber eine Ehefrau hätten oder eine Geliebte. Marx, der als eher dröge eingeschätzt wird, entscheidet sich für die Ehefrau. Der Bohemien Engels für die Geliebte. Lenin wünscht sich sowohl als auch. Seine Begründung: Dann könne er der Geliebten erzählen, er sei bei der Gattin, und dieser, er besuche die Geliebte. In Wahrheit aber täte er nur immer das eine: Lernen, lernen, lernen. Zizek, so müsste man fortfahren, hält weder von einer Ehefrau noch von einer Geliebten noch vom Lernen etwas, sondern bevorzugt mit seinem Lehrmeister Foucault den Darkroom. Dort muss man von nichts und niemandem eine Ahnung und kann trotzdem seinen Spaß haben.