Mit der Polizei gegen die Grünen protestieren

Proteste gegen die Rodungsarbeiten am 3.11.20. Bild: Alexander Franz/Alles Dörfer bleiben/CC BY-NC-SA-2.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom nützlichen Corona-Virus, 42 Jahre alten Klimawandelwissen, tropischen Wirbelstürmen und Trumps Wissenschaftspolitik

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Die Corona-Pandemie strebt zwar in Deutschland und seinen Nachbarstaaten einem neuen Höhepunkt entgegen, alle Bars, Kinos, Restaurants und Theater müssen schließen, doch einigen scheint das gerade recht zu kommen. Zum Beispiel zur Ausdehnung der Arbeitszeit auf einen 12-Stunden-Tag, wie in Niedersachsen für das Krankenhauspersonal vorgesehen, ganz so als hätte die Arbeiterbewegung nicht in der Novemberrevolution den Acht-Stunden-Tag erkämpft. Das Ganze auch noch ohne Regelungen für Entschädigung und Ausgleich.

Oder zum Fortsetzen ihres Zerstörungswerks, gegen das es sich unter Corona-Bedingungen schlechter protestieren lässt. RWE ließ am Dienstagmorgen unter massivem Polizeischutz im Rheinland eine alte Allee fällen, so ziemlich das Letzte, was die Menschen in Keyenberg (Erkelenz) noch von den vorrückenden Baggern des Tagebaus Garzweiler trennt. Entsprechend gab es auch am Dienstag wieder Proteste der Anwohner. Unter anderem wurde eine ökumenische Prozession von der Polizei aufgelöst und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach deren Angaben auf Twitter festgenommen.

Weiter gerodet wird auch im hessischen Dannenröder Forst, wo die schwarz-grüne Landesregierung eine breite Schneise durch einen intakten Mischwald und ein Wasserschutzgebiet schlagen lässt, um die Autobahn A49 zwischen Gießen und Kassel zu verlängern.

Telepolis hatte kürzlich bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es für den Grünen Verkehrsminister durchaus noch Mittel gäbe, die Rodungen zu stoppen, sofern denn der politische Willen vorhanden wäre. Umweltschützer wollten dem Grünen Bundesverband, wie berichtet, mit einem Besuch nachhelfen.

Das hessische Verkehrsministerium mochte die Vorwürfe allerdings nicht auf sich sitzen lassen und nannte zu Wochenbeginn das fragliche, von Greenpeace in Auftrag gegebene Gutachten "unzureichend fundiert". Die behauptete Handlungsmöglichkeit sei nicht gegeben und allein der Bund als Bauherr könne ein "nachträgliches Änderungsverfahren", um das es gehe, anregen.

Bauherr ist konkret Bundesverkehrsminister Andy Scheuer (CSU), ein großer Freund der Autobahnen und ein ebenso großer Gegner eines Tempolimits. Böse Zungen behaupten, dass das seine Kernkompetenzen sind, die seine Partei bewogen, ihn auf den Ministersessel zu setzen. Andere scheint es tätsächlich nicht zu geben.

Die Bayern-Union kann jedoch ansonsten im lokalen Spezialfall auch anders, wie vor einem Jahr das Beispiel der bayerischen A94 zeigte. Dort war die örtliche CSU erst feuriger Befürworter des Autobahnbaus, um nach der Fertigstellung mehr Lärmschutz und ein Tempolimit zu fordern, wie der Bayerische Rundfunk berichtete.

Wie dem auch sei, im Dannenröder Wald gehen die Dauerproteste derweil weiter. Über 1000 Polizisten sind zum Teil in 16-Stundenschichten damit beschäftigt, die Rodungen durchzusetzen.

Kein Wunder, dass einige der Beamten, wenn sie dicht aufeinander leben müssen, Angst vor einer Covid-19-Infektion haben, wie ein Gewerkschaftsvertreter der Berliner Tageszeitung vor knapp zwei Wochen berichtete. Inzwischen ist der Kreis Marburg-Biedenkopf, in dem sich das ganze abspielt, bundesweit die Region mit der - gemessen an der Bevölkerung - höchsten Zahl von Neuinfizierten pro Woche. In den letzten sieben Tagen bis Dienstag wurden dort rund 277 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner registriert.

Da fragen sich nicht nur die Autobahngegner vor Ort, wie unter solchen Bedingungen der Polizeieinsatz noch zu rechtfertigen ist. Das Klimaschutznetzwerk Parents for Future spricht in einer Stellungnahme von einem "absolut nicht systemrelevanten" Polizeieinsatz, der angesichts der am Montag gestarteten strengeren Corona-Beschränkungen sofort beendet werden müsse.

Das ist schon reichlich absurd, dass ich als Klima-Aktivist auf einmal die Forderungen der GdP (Gewerkschaft der Polizei) unterstütze und gleichzeitig gegen die Grünen protestiere.

Martin Bauhof, Parents for Future München

Im Jahr 2020 noch neue Autobahnen zu bauen, sei angesichts der fortschreitenden Klimakrise (…) unglaublich", findet Anke Kupka von den Parents for Future Gütersloh. Schon heute sei Deutschland eines der Länder mit dem dichtesten Straßenverkehrsnetz der Welt. Es sei außerdem wissenschaftlich nachgewiesen, dass neue Straßen zu mehr Autoverkehr führten.

Die neue Autobahn wird parallel zu einer Eisenbahnverbindung gebaut, die Gießen und Kassel seit etlichen Jahrzehnten verbindet. Auch eine Autobahnverbindung gibt es bereits zwischen den beiden Städten, die laut Google Maps 141 Kilometer lang ist. Die neue Autobahn wird um knapp 30 Kilometer kürzer sein.

Das Elternnetzwerk zollt gleichzeitig den jungen Klimaschützern Respekt, "die seit Wochen Bäume besetzen und damit die Rodungen für den Weiterbau der A49 massiv behindern". Ihre "Ernsthaftigkeit, Mut, Ausdauer und Sachverstand" sei beeindruckend.

Die meisten der heute bei den Parents for Future Aktiven waren vermutlich selbst noch Kinder und manche vielleicht noch nicht geboren, als vor nicht ganz 42 Jahren im Februar 1979 in Genf die erste Weltklimakonferenz zusammentrat. ZDF-Meteorologe Özden Terli erinnerte am Montag auf Twitter mit einem Auszug aus der seinerzeitigen Tagesschau an das Ereignis.

In der Nachrichtensendung, die bereits einige wesentlichen Aspekte der damals noch sehr hypothetischen Klimakrise benannte, kommt Hermann Flohn zu Wort, seinerzeit einer der herausragenden Köpfe der Klimaforschung in Westdeutschland. Flohn warnte unter anderem davor, dass das völlige Verschwinden des arktischen Meereises auf der Nordhalbkugel zu einer Verlagerung der Klimazonen um "etwa 500, 800 Kilometer nach Norden" führen würde. Dadurch würde unter anderem die Mittelmeerregion austrocknen.

Die Anfänge davon sind längst zu beobachten, wenn neue Arten sowohl auf dem Land als auch in den Küstengewässern nach Norden wandern oder die Trockenheit auf der Iberischen Halbinsel drastisch zugenommen hat.

Das arktische Meereis hatte in diesem September die zweitniedrigste Ausdehnung seit Beginn der Satellitenmessungen und etliche Jahrhunderte darüber hinaus. Erst Anfang November, nach rund drei Monaten, beginnt sich die Nord-Ost-Passage, der Seeweg entlang der russischen Küsten, wieder zu schließen, der bis vor etwa zehn Jahren auch im Spätsommer, wenn das Eis seinen niedrigsten Stand erreicht, stets versperrt blieb.

Tropenstürme vom Fließband

Zu den Folgen des drastischen Klimawandels, den die Erde in den letzten vier Jahrzehnten bereits erlebt hat - die Durchschnittstemperatur ist seit Ende der 1970er um knapp ein Grad Celsius gestiegen - gehört auch ein Anstieg der Oberflächentemperatur der Ozeane. Das ist kaum verwunderlich, denn etwas über 90 Prozent der Wärmeenergie, die durch die Treibhausgase im Erdsystem zusätzlich gespeichert wird, landet in den Ozeanen.

Dadurch erwärmen sich vor allem zunächst deren obere Schichten und die Oberfläche, was wiederum mehr Energie für Tiefdruckgebiete und tropische Wirbelstürme bedeutet. Die diesjährige besonders aktive atlantische Hurrikan-Saison könnte bereits eine Folge davon sein.

Ende November geht sie zu Ende und steht kurz davor, die Saison mit den meisten benannten Stürmen seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden. Die sonst übliche Liste mit 21 Vornamen ist bereits abgearbeitet, sodass auf das griechische Alphabet zurückgegriffen werden musste.

Vergangene Woche war man mit Hurrikan "Zeta" bereits beim sechsten Buchstaben angekommen. Der Sturm traf am Donnerstag auf die US-Golfküste und sorgte in Louisiana, Mississippi, Alabama und Georgia für reichlich Zerstörungen. 2,6 Millionen Menschen waren zeitweise ohne Strom, berichtet die britische Zeitung The Guardian.

Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass es in den gefährdeten Gebieten wie auch sonst vielerorts in den USA meist nur Freiluftleitungen gibt, wie man auf diesen Bildern von den Reparaturarbeiten sehen kann.

Bild: Nasa

Am Wochenende hatte sich über der Karibik mit "Eta" bereits der nächste Sturm entwickelt und war am Dienstag auf Nicaraguas Ostküste als Hurrikan der zweithöchsten Stufe getroffen. Betroffen seien rund 100.000 Menschen in Dörfern der Indigenen im Nordosten des Landes gewesen, berichtet das spanischsprachige Programm des britischen Senders BBC. Die mittlere Windstärke habe bis zu 240 Kilometer in der Stunde betragen. Über Zerstörungen war zunächst nichts bekannt.

Auch die Philippinen haben mit schweren Tropenstürmen zu kämpfen. Am Sonntag wurde der Süden von Luzon, die nördlichste der Hauptinseln des Archipels, von "Goni" getroffen. Mit ebenfalls 240 Kilometern in der Stunde an mittlerer Geschwindigkeit in Zentrumsnähe galt er zu dieser Zeit sogar als Super-Taifun, wie man an den Daten des meteorologischen Observatoriums in Hongkong sehen kann.

Derzeit hat sich der Sturm etwas abgeschwächt und bewegt sich auf die Küste Vietnams zu. Nur wenige 100 Kilometer weiter nördlich und etwas zurück hat sich zudem mit "Atsani" ein weiterer Tropensturm gebildet, dessen Bahn in etwa parallel zu der von "Goni" verläuft. Während "Goni" weiter abschwächt, wird von "Atsani" das Gegenteil erwartet, sodass er voraussichtlich die vietnamesische Küste als Taifun treffen wird.

Bild: Nasa

Australiens Abhängigkeiten

Seit Jahrzehnten versorgt Australien die Welt mit Bodenschätzen aller Art, darunter insbesondere aus Kohle und Flüssigerdgas. Doch dieses Geschäftsmodell laufe aus schreibt der Klimareporter.

Über die Hälfte der australischen Exporte machen die Bodenschätze aus. Dass dies nicht nachhaltig sein kann, könnte sich eigentlich jeder an einer Hand abzählen, doch jetzt wird die konservative Regierung in Camberra mit der Nase drauf gestoßen. Die drei wichtigsten Abnehmer australischer Kohle - China, Japan und Südkorea - haben nämlich angekündigt, bis 2050 bzw. 2060 ihre Volkswirtschaften vollständig auf Treibhaus neutrale Energieträger umstellen zu wollen.

Ähnliches gilt auch für die sechs australischen Bundesstaaten, wie der Autor anmerkt. Nur die Bundesregung scheint es noch nicht mitbekommen zu haben. Ein gewaltiger Schritt in Richtung Umstieg könnte derweil ein neuer, im Northern Territory geplanter Solarpark sein, der alle bisher gekannten Dimensionen sprengen wird.

Der Fachinformationsdienst IWR schreibt, dass im tropischen Norden des Kontinents ein Solarprojekt mit zehn Gigawatt elektrischer Leistung entstehen soll. Das entspräche der Leistung von rund sieben modernen Atomkraftwerken.

Ein Teil des Stroms soll über eine 4500 Kilometer lange Hochspannungsgleichstromleitung nach Indonesien und Singapur exportiert werden, was sicherlich nachhaltiger als der Export von Rohstoffen ist. Möglich werde der Vorstoß in diese neuen Größenordnungen durch den weiteren Verfall der Preise für Solaranlagen, schreibt der IWR.

Und dann noch...

Und wieder gab es so manches Thema, das in dieser Wochenschau nicht behandelt werden konnte. Über den lustigsten Flughafen der Welt hatten wir ja bereits an anderer Stelle berichtet. Mit den laufenden Verhandlungen über die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden wir uns hoffentlich in den nächsten Tagen beschäftigen.

Ein anderes wichtiges Thema für weitere Berichte wäre die Auseinandersetzung um Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven (Niedersachsen) und Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Außerdem wäre noch zu berichten, dass eine dänische Studie kaum tote Vögel unter Windkraftanlagen finden konnte.

Schließlich sollte immer wieder daran erinnert werden, dass in verschiedenen Ecken Brasiliens nicht nur die Wälder weiter brennen, sondern dass die dortige Agrarlobby, die Verursacherin und Nutznießerin der Brände, auch nicht vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Morden zurückschreckt, um ihre Interessen durchzusetzen.

Zu guter Letzt wäre da noch Ryan Maue, dem neuen Chef der US-Behörde für Ozean und Atmosphäre (NOAA, National Ocean Atmosphere Administration), zu erzählen. Die Trump-Regierung hatte ihn im September auf den Posten gehievt, auf dem er nun eine der für die Klimaforschung wichtigsten US-Behörden kontrollieren wird.

Zuvor war er auf Twitter vor allem durch heftige Beschimpfungen von Journalisten und Klimawissenschaftlern aufgefallen, die alle ungekämmt, ungewaschen, links und Aktivisten seien. Inzwischen sind seine alten Tweets verschwunden, doch eine US-Journalistin hat viele von ihnen als Screenshots gesichert, sodass jeder sehen kann, welches Personal Trump an die Spitze der wissenschaftlichen Regierungsagenturen befördert.