Mit heißer Nadel gestrickte UN-Mission

Sieben Tage nach dem Waffenstillstand im Libanon sind die Vorbereitungen für die Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen ins Stocken geraten

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Nachdem der Waffenstillstand zwischen Israel und den Kämpfern der Hisbollah fünf Tage lang unerwartet gut gehalten hatte, gab es am Samstag den ersten schweren Zwischenfall: Eine israelische Eliteeinheit landete in Baalbeck im Beka-Tal, „um den Waffenschmuggel aus Syrien in den Libanon zu unterbinden,“ so die Begründung des israelischen Militärs. Die Folgen könnten fatal sein: Die libanesische Regierung droht damit, die Truppenverlegung in den Süden zu stoppen, falls die Vereinten Nationen die israelische Operation nicht klar verurteilen sollten. Die UN befindet sich ohnehin schon in einer misslichen Lage: Die Vorbereitungen für den Blauhelm-Einsatz sind ins Stocken gekommen, weil kaum ein Land Soldaten für die heikle und mit heißer Nadel gestrickte Mission zur Verfügung stellen wollen. In Israel debattiert man derweil über die Kriegsführung der Regierung und darüber, ob ein Abzug aus dem Libanon wirklich eine gute Sache ist. Vor allem auf der Rechten ist man der Ansicht, dass Abzug gleich Niederlage ist und damit weiteren Angriffen auf Israelis Tür und Tor geöffnet werden. Sie verweisen dabei auf die Räumung des Gazastreifens vor einem Jahr: Sie sei schuld an der heutigen Situation.

Nach dem Waffenstillstand kehren israelische Soldaten am Donnerstag nach Israel zurück. Bild: Channel2

Am Tag sieben nach dem Beginn des Waffenstillstandes herrschte weiterhin gespannte Ruhe: Im Norden Israels kehrten die Menschen langsam wieder zum Alltag zurück, begutachteten Schäden und reparierten, was ohne Fachmann zu reparieren war. Im Süd-Libanon kehrten weiterhin Tausende in ihre Heimatstädte und -dörfer zurück und fanden dort oft eine böse Überraschung vor: Häuser, die nicht mehr bewohnbar sind, zum Beispiel. Oder dass Freunde, Verwandte, Nachbarn nie wieder da sein würden. Noch ein bisschen weiter südlich, direkt an der Grenze zu Israel, beäugten sich derweil israelische Soldaten und Kämpfer der Hisbollah misstrauisch, bereit, auf jede noch so kleine Provokation der anderen Seite mit einer Gewehrsalve oder Schlimmerem zu antworten.

Wie zum Beispiel diesem: Am Samstag war über der Stadt Baalbeck in der Beka-Ebene, einem rund 120 Kilometer langen Tal, dass rund 30 Kilometer östlich von Beirut beginnt und sich bis nach Syrien hinein erstreckt, eine Eliteeinheit der israelischen Armee abgesprungen – um Informationen über den Waffenschmuggel aus Syrien zu sammeln und um diesen zu unterbinden, lautet die offizielle Begründung des Militärs. Die Soldaten hätten „unerschütterliche Beweise“ dafür gefunden, dass auch weiterhin Waffen und Munition von Syrien und dem Iran an die Hisbollah geliefert werden, so ein Militärsprecher: „Die Organisation nutzt den Waffenstillstand dazu, um wieder aufzurüsten. Wir gehen davon aus, dass die Hisbollah ihre Operationen gegen Israel wieder aufnehmen wird, sobald dieser Prozess abgeschlossen ist.“ Die Hisbollah bestreitet dies: Man werde sich auf jeden Fall an die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen halten, so ein Sprecher der radikal-islamischen Bewegung, die zur Zeit noch die nahezu uneingeschränkte Hoheit über große Teile des libanesischen Südens hat.

Daran haben auch die bisher 200 Soldaten nichts geändert, die die libanesische Zentralregierung in den vergangenen Tagen in die Region verlegt hat: Mehrmals stellte die Militärführung klar, dass die Armee keinesfalls Schritte zur Entwaffnung der Hisbollah-Kämpfer unternehmen werde. Nach der israelischen Militäroperation am Samstag tauchte zudem kurzzeitig eine weitere Gefahr auf – dass Beirut überhaupt keine weiteren Soldaten schicken könnte. Die israelische Mission im Beka-Tal sei eine deutliche Verletzung der Waffenruhe gewesen, beschwerte sich Ministerpräsident Fuad Siniora und drohte damit, die Truppenverlegungen zu stoppen, falls die Vereinten Nationen die Operation nicht deutlich verurteilen sollte. So kam dann in der Sonntag Nacht prompt Entwarnung: UN-Generalsekretär Kofi Annan verurteilte die „Verletzung der Waffenruhe durch die israelische Seite“ in einer Pressemitteilung: Dadurch werde der „zerbrechliche Waffenstillstand“ gefährdet, zumal auch mehrmals israelische Flugzeuge in den libanesischen Luftraum eingedrungen seien.

Mehr als reine Rhetorik seien diese Worte, sagt ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen in New York: „Die Lage ist ohnehin schon so verfahren, dass der israelischen Seite die Konsequenzen solcher Handlungen ausgesprochen deutlich gemacht werden müssen, wenn wir wollen, dass der Frieden hält.“ Denn ob die Hisbollah die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen Israel plant oder nicht, könne im Moment niemand mit Bestimmtheit sagen: „Was man aber sagen kann, ist, dass solche Militäroperationen geradezu eine Steilvorlage dafür liefern, zumal wir auch nicht sagen können, ob aus der Blauhelm-Mission etwas wird.“

Denn die anfängliche Euphorie über den Waffenstillstand, der in der diplomatischen Arena hart erkämpft worden war, und über die Aussicht auf die baldige Entsendung von 15.000 Blauhelmen ist bei Diplomaten und UN-Mitarbeitern mittlerweile tiefer Ernüchterung gewichen: „Die Stimmung ist allgemein ziemlich bedrückt“, sagt der UN-Mitarbeiter.

Ein gepanzerter Personentransporter der UNIFIL. Bild: KSI-LeClerc

Dabei hatte am Anfang alles so gut ausgesehen: Zwar war das Ringen um den Wortlaut der späteren UN-Resolution 1701 lang und hart gewesen. Doch während darum gestritten wurde, stellten Dutzende von Regierungen, allen voran Frankreich, eine Beteiligung an der Blauhelm-Mission zur Aufstockung der seit 1978 existierenden UNIFIL-Mission im Süd-Libanon in Aussicht. Davon, und von den Hoffnungen auf eine Entsendung der Truppen innerhalb von maximal zehn Tagen, ist heute allerdings nicht mehr viel übrig geblieben: Frankreich will gerade mal 200 Soldaten schicken; die deutsche Beteiligung soll auf einen Einsatz der Marine und, vielleicht, auf Polizeikräfte beschränkt bleiben. So hat die UN im Moment erst gerade einmal an 3.000 Soldaten zusammen bekommen und ist damit noch weit von den eigentlich anvisierten 15.000 Soldaten entfernt.

Dafür gibt es mehrere Gründe Zum einen sei die Mission mit „sehr heißer Nadel gestrickt“, sagt ein europäischer Diplomat in Tel Aviv:

Normalerweise dauert es Monate, bis eine solche Sache steht: UN-Teams besuchen zuvor die Armeen der beteiligungswilligen Länder und schauen sich an, ob diese überhaupt dafür geeignet sind. Dann wird lange und ausführlich über Ausrüstung, Finanzierung und den spezifischen Auftrag der Blauhelm-Mission verhandelt. Diesmal ist dies allerdings anders: Viele der sonst üblichen Stufen sind übergangen worden, der Auftrag der Blauhelme ist immer noch ziemlich unklar und das macht vielen Regierungen Angst: Niemand begibt sich gerne in etwas hinein, von dem er nicht weiß, wie es am Ende ausgehen wird. Es gibt so viele Unwägbarkeiten, an denen man sich die Finger verbrennen kann.

Wie zum Beispiel der Haupt-Sorgenfaktor der internationalen Gemeinschaft: Zwar haben die libanesische Regierung und die Hisbollah beide der UN-Resolution 1701 zugestimmt; den Passus, der zur Einrichtung einer entmilitarisierten Zone südlich des 30 Kilometer nördlich der Grenze verlaufenden Litani-Flusses auffordert, wollen sie aber dennoch nicht umsetzen. Stattdessen haben Hisbollah und Regierung einen Kompromiss geschlossen: Die Mitglieder der Organisation werden ihre Waffen nicht mehr in der Öffentlichkeit tragen, dürfen sie aber behalten. „Für eine Blauhelm-Mission ist das ein schlechter Ausgangspunkt“, sagt der Diplomat, „entweder man entscheidet, die entmilitarisierte Zone gegen den Willen von Hisbollah und libanesischer Regierung mit Gewalt durchzusetzen, oder man lässt die Dinge laufen und riskiert damit, dass sie irgendwann wieder aus dem Ruder laufen und dass die Blauhelme irgendwann wieder zu bloßen Beobachtern ohne die Mittel zum Eingreifen degradiert werden. In beiden Fällen laufen die beteiligten Regierungen Gefahr sich plötzlich zwischen allen Fronten wiederzufinden.“

Checkpoint: Ein Kontrollposten der UNIFIL. Mehr als beobachten kann die internationale Truppe bis jetzt nicht. Bild: KSI-LeClerc

Israels Regierung steht unter Kritik

So ist sich die israelische Öffentlichkeit mittlerweile weitgehend einig, dass der Krieg ein Fehler war. Vehement wie seit dem Debakel des Jom Kippur-Krieges 1973 schon nicht mehr wird in diesen Tagen in den Medien, Internetforen und Privatgesprächen die Regierung kritisiert und der Ruf nach einem Rücktritt von Premierminister Ehud Olmert, Verteidigungsminister Amir Peretz und Generalstabschef Dan Halutz laut. Olmert habe das Verteidigungsressort mit einem militärisch völlig unerfahrenen Mann besetzt, der blind den Vorschlägen des Militärs gefolgt sei, dessen Chef zudem kaum noch vertrauenswürdig sei: In der vergangenen Woche enthüllte die Zeitung Ma'ariv, dass Halutz wenige Stunden, nachdem die Hisbollah einen Armeeposten in Israel überfallen, acht Soldaten getötet und zwei weitere in den Libanon verschleppt hatte, damit beschäftigt war, seine Aktien zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt sei intern bereits klar gewesen, dass die Kriegserklärung unmittelbar bevorstand.

Doch das Trio, das von der Öffentlichkeit mittlerweile auch die „die drei Napoleone“ genannt wird, demonstriert im Moment noch Durchhaltewillen, weist jede Schuld von sich, erklärt bei jeder Gelegenheit, man habe den Krieg doch gar nicht verloren, der Sieg sei nur weniger offensichtlich, als es wünschenswert gewesen wäre, und verspricht, man werde Untersuchungsausschüsse einsetzen – allerdings nicht, um nach Schuldigen zu suchen, sondern um herauszufinden, was man künftig besser machen könne, erklärte Verteidigungsminister Peretz am Sonntag Mittag.

Übel nimmt man der Regierung allerdings auch, dass sie während des Krieges mehrmals eine Kehrtwende gemacht hat: „Olmert hat Israel in den Krieg geführt, gebetsmühlenartig die Zerstörung der Hisbollah beschworen und ist dann auf halbem Wege umgekehrt und hat erklärt, der Krieg müsse nun beendet werden“, schreibt Usi Bensiman in der Zeitung HaAretz: „Führungsqualität ist etwas anderes.“

So fragen viele konservative und rechte Politiker, ob ein baldiger Abzug aus dem Süd-Libanon wirklich der richtige Weg sei und verweisen auf die Erfahrungen, die ihrer Ansicht nach im Anschluss an die Räumung des Gazastreifens gemacht wurden, die vor fast genau einem Jahr endete (Abschlussparty). Dort habe sich die Lage seitdem drastisch verschlechtert, die israelischen Städte und Gemeinden in der Nachbarschaft stünden unter regelrechtem Dauerbeschuss mit Kassam-Raketen, einem palästinensischen Eigenprodukt, Gaza sei zu einer Gefahr für den gesamten Staat Israel geworden: „Die Räumung der Siedlungen wurde von den palästinensischen Terroristen als Sieg für sie selber ausgelegt“, sagte Benjamin Netanjahu, Vorsitzender des rechtskonservativen Likud-Blocks am Sonntag: „Israel hat Schwäche gezeigt und sich damit angreifbar gemacht.“ Für Effi Eitam, Ex-General und nun Vorsitzender der Nationalreligiösen Partei, ist der Fall klar: „Die Regierung sollte dem Wiederaufbau der Siedlungen zustimmen, nur so kann Tel Aviv vor palästinensischen Raketen geschützt werden. Außerdem ist es wichtig, eine Pufferzone im Süd-Libanon einzurichten“ - also genau das, was Israel im Sommer 2000 nach 18 Jahren Besatzung und vielen hundert Toten auf beiden Seiten aufgegeben hatte (Nicht Normal).

„Es ist eine eigentümliche Situation. Es wurden drei Soldaten entführt und deshalb zwei Kriege begonnen, in deren Verlauf mehr als 1000 Menschen auf beiden Seiten starben. Fehlt da nicht die Relation?“, fragt Ilan Marciano in der Sonntagsausgabe der Zeitung Jedioth Ahronoth und beantwortet die Frage selbst:

Jeder Israeli ist Soldat, und als Soldat entführt zu werden, ist damit der Albtraum eines jeden. Zu sterben ist eine Sache, aber Gefangener im Feindesland zu sein eine andere. Dies führt zu absurden Reaktionen, die rational nicht mehr zu erklären sind. Wenn wir Frieden wollen, müssen wir davon wegkommen, bevor es zu spät ist. Auf keinen Fall sollten wir aus einer kurzfristigen Laune heraus die Uhr zurückdrehen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie lange es dauern kann, bis sie wieder richtig geht.

Vize-Regierungschef Schimon Peres wird derweil nicht müde, der Rechten zu erklären, dass die Lage in und um den Gazastreifen herum schon lange vor dem Abzug schlecht war: „Sie ist seitdem besser geworden“, sagte er am Freitag, „und sie könnte noch besser sein, wenn wir das Logische täten und uns um eine Verbesserung der Lebensbedingungen dort bemühen würden.“

Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Nach wie vor sind im Norden und Süden des Landstrichs die israelischen Truppeneinheiten stationiert, die kurz nach Beginn von „Operation Sommerregen“ Ende Juni dorthin entsandt worden waren. Immer wieder bombardiert die Luftwaffe Ziele, die der radikalislamischen Hamas, dem islamischen Dschihad oder den Al Aksa-Brigaden zugerechnet werden. Am Wochenende wurde zudem Nasser Schaher, der stellvertretende palästinensische Ministerpräsident, festgenommen. Im Juli hatte die Armee bereits einen Großteil der Regierung und die meisten Parlamentsabgeordneten der Hamas inhaftiert.

Der einseitige Abzug aus Gaza habe zu einer Radikalisierung der Palästinenser und damit zum Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen Ende Januar geführt, sagt die israelische Rechte. Doch Amnon Rubinstein von der Zeitung HaAretz hält dies für „Unsinn“, wie er sagt: „

Die Radikalisierung kommt durch die monatelange Abriegelung des Gazastreifens nach dem Abzug, durch die Verschlechterung der Sicherheitslage, durch die Korruption innerhalb der bis März regierenden Fatah, die es nicht schaffte, auf die Bedürfnisse der Menschen adäquat zu antworten. Ich kann nur davon abraten, falsche Schlüsse zu ziehen, denn ob Soldaten in Libanon und in Gaza oder in Israel selber sterben, dass macht zwar an und für sich keinen Unterschied – für die Moral aber schon.