Mollath: Krank, aber nicht mehr gefährlich?

Gespräch mit dem Mollath-Gutachter Professor Hans-Ludwig Kröber, der sein Gutachten rechtfertigt und Mollath mangelnde Kooperation vorwirft

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Es ist ein Schlüssel zum Verständnis des Falles Mollath: Zwei Gutachter, Dr. Klaus Leipziger und Professor Hans-Ludwig Kröber, verfassten ihre Gutachten zur Verlängerung der Zwangseinweisung ohne das direkte Gespräch mit Gustl Mollath. Der Grund: Mollath verweigerte die Begutachtung und forderte zuletzt, das Gutachten müsse ihm vor dem Gespräch zur Freigabe vorgelegt werden (siehe Interview). Die Gutachter mussten sich daher auf die Berichte von Mollaths klinischem Alltag verlassen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit und der Beweislage des Urteils stehe den psychiatrischen Gutachtern nicht an.

Im Gespräch mit Telepolis legt Professor Kröber dar, warum Mollath nach übereinstimmender Meinung aller Gutachter weiterhin psychisch krank ist. Die Gutachter werden deshalb (nach Angaben Kröbers) massiv von Mollath-Befürwortern angegriffen und bedroht. Leipziger, den Professor Kröber gegenüber Telepolis als bescheidenen, herzensguten und seinen Patienten verpflichteten Arzt beschreibt, steht wegen Morddrohungen unter Polizeischutz.

Am Montag veröffentlichte die Spiegel-Journalistin Beate Lakotta im Print-Spiegel (Seite 40-44) eine Fortsetzung ihrer massiv kritisierten Recherchen. Ihr Ergebnis: Mollath wurde vor sieben Jahren zurecht in die Psychiatrie eingewiesen. Die Koffer voller Beweise, die Mollath nach eigenen Angaben vor dem Ausschuss im bayerischen Landtag u.a. an Jean Ziegler und Beate Klarsfeld gesendet hatte, wurden nämlich - so Lakotta - von beiden Adressaten nicht bestätigt. Kröber befürchtet, dass auch sie bald Polizeischutz benötigt. Ihr Artikel war jedenfalls gestern nur kurzzeitig Online verfügbar. Der Spiegel lehnte gegenüber Telepolis die Einbindung einer PDF-Datei mit Hinweis auf die Fotorechte ab.

Hans-Ludwig Kröber ist Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Charité und gilt als einer der renommiertesten deutschen Gerichtspsychiater. Nach eigenen Angaben hat er in Bayern mehrere Patienten durch seine Gutachten aus der geschlossenen Psychiatrie geholt - nicht nur zur Freude der bayerischen Justiz.

Im Gespräch, das er am 1. Juli mit Telepolis führte, rechtfertigt er die Diagnose und räumt aber gleichzeitig ein, dass die Rückfallgefahr für Mollath nun deutlich geringer sei: "Ich halte das für gut möglich und vorstellbar."

Der Fall Mollath ist jetzt im Bundesverfassungsgericht, dem Bundestag, dem Bayerischen Landtag anhängig. Er ist ein Großfall geworden. Sie haben zu mir gesagt: "Die Mollath-Geschichte bedrückt mich sehr." Wie gucken Sie in dieser Situation auf den Fall?

Hans-Ludwig Kröber: Das Problem ist, dass sich im Fall Mollath sicher unterschiedliche Interessen brechen. Einerseits das Missbehagen an der Bayerischen Justiz, wo man immer schon das Gefühl hatte, dass sie etwas zu selbstherrlich ist. Jetzt hat man Gelegenheit, es ihr einmal zu zeigen Dann die Angst vor der Psychiatrie, dass bei den Leuten immer noch die Vorstellung herrscht ...

... einer flog über das Kuckucksnest.

Hans-Ludwig Kröber: Ja, genau. Dass die Psychiatrie dazu da ist, harmlose Leute wegzufangen und auf Intrigen von Angehörigen hin wegzusperren. Zum Dritten gibt es ganz reale Probleme, nämlich die Einschätzung der Gefährlichkeit von Menschen, die im privaten Umfeld einen Kampf beginnen, der dann aber schnell dieses private Umfeld übersteigt.

Das Problem, das haben uns auch Journalisten bestätigt, ist, dass die Psychiatrie sich bei Journalisten bevorzugt als Adressat für Ängste, Befürchtungen und Vorurteile eignet, und zwar in doppelter Weise. Einmal gegenüber den Patienten der Psychiatrie, die man für unkalkulierbar und gefährlich hält, indem es z.B. sofort Proteste gibt, wenn ein Wohnheim für psychisch Kranke errichtet werden soll, andererseits gegen Psychiater, dass diese selbst eigentlich durchgeknallt und verrückt sind. Das sind Vorurteile, die sich wunderbar medial bedienen lassen. Insofern bedrückt mich dieser Fall, weil ich glaube, dass sicherlich Sachen falsch gelaufen sind bei Mollath, aber die Psychiatrie und die psychiatrische Klinik das unschuldige Opfer dieser Geschichte geworden sind, weil staatliche und juristische Entscheidungen Mollath dorthin gebracht haben, wo er jetzt ist.

Nun ist es ja so, dass die Justiz das zurückspielt, indem sie sagt: Die Gutachter haben doch bescheinigt, dass Mollath weiterhin gefährlich ist.

Hans-Ludwig Kröber: Nein, die Gutachter haben bescheinigt, dass Mollath krank ist. Das ist einhelliger Tenor und das wird man vielleicht auch verifizieren können, wenn er draußen ist. Das hat sich auch aus der Beobachtung in der Klinik ergeben, wo er doch von zahlreichen Leuten über Jahre erlebt wurde. Es hat sich dort niemand gemeldet, der sagt: Wir beobachten Mollath schon seit Jahren in der Klinik und er ist völlig gesund.

Die Psychiatrie muss von dem rechtskräftigen Urteil der Justiz ausgehen, dass die Taten so begangen wurden, wie er angeklagt ist. Die Psychiatrie kann nicht sagen: Vielleicht hat Mollath seine Frau gar nicht gewürgt. Vielleicht ist das alles eine böse Anschuldigung.

Na gut, aber dann sind wir aber bei Pelzig (Anm.: Professor Kröber hat ebenfalls das Video von Erwin Pelzigs Darstellung des Falles Mollath gesehen). Der zeigte ja, dass sich jeder im Folgenden immer wieder auf die angebliche Körperverletzung und das Reifenstechen bezog.

Hans-Ludwig Kröber: Man kann sich natürlich im Kabarett über ein rechtskräftiges Urteil eines Landesgerichtes lustig machen. Jemanden bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen, ist kein Kavaliersdelikt - und wenn es passiert ist und die Frau sich von wem auch immer die Würgemale hat bescheinigen lassen, dann kann man nicht sagen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, das ist seine Privatangelegenheit, ob er seine Frau würgt.

Das Gleiche gilt für die Reifenstechereien. Der Oberstaatsanwalt hat beim Antrag auf die Wiederaufnahme nun gesagt, es sei Unfug im Urteil, dass ein Reifenhändler besondere Kenntnisse von Reifen haben müsse. Reifenhändler würden Reifen nicht zerstechen, sondern verkaufen. Das ist auch eine kabarettistische Einlage. Natürlich wissen Reifenhändler, wie man Reifen beschädigt.

Die Frage ist, ob dieses Urteil juristisch standhält, wenn es zu neuen Ermittlungen kommt, ob die Beweislage stabil ist. Das weiß ich nicht. Wenn aber in einem ordentlichen Verfahren die Delikte rechtskräftig festgestellt wurden, kann ich nicht als Psychiater diese Delikte infrage stellen. Ich muss dann, insbesondere wenn er nicht mit mir redet ...

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