Mond und Sterne auf Nachtschwarz

Seite 2: Nachtschwarz durch Rotglut

Heute strahlen die Goldobjekte auf Grün, einer Malachitschicht, die sich während der 3.600 Jahre unter der Erde bildete. Der grobkristalline Korrosionsbelag birgt einen Beweis für die Echtheit der Scheibe. Den Experten gelang es nachzuweisen, dass der Korrosionsprozess tatsächlich über einen sehr langen Zeitraum verlief, denn eine künstliche, schnell geschaffene Patina besteht aus sehr kleinen Kristallen, die mit naturwissenschaftlichen Methoden aufgespürt werden können.

Für die Erforschung der Himmelsscheibe arbeiteten von Anfang an verschiedene Forschungsdisziplinen zusammen, vor allem der Brückenschlag zwischen Natur- und Geisteswissenschaft war und ist von großer Bedeutung.

Die Himmelsscheibe von Nebra. Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták

Neue Untersuchungen mit modernsten bildgebenden Verfahren erbrachten nun detaillierte Einsichten in die genaue Vorgehensweise der Handwerker bei der Fertigung und mehreren späteren Veränderungen der Scheibe (in fünf Phasen). Dabei bestätigte sich, was schon länger vermutet wurde: Ursprünglich war die Himmelscheibe von Nebra schwarz wie der Nachthimmel, ein Metallic-Ton mit etwas Violett, je nach Lichteinfall leicht changierend.

Sie ist komplett, auch unter den Goldapplikationen, bedeckt von den schwarzen Auflagerungen, die aus dem Kupferoxid Tenorit bestehen, das auf Bronze durch das wiederholte Durchglühen bis zur sanften Rotglut auf ungefähr 800 Grad Celcius entsteht.3

Geradezu naturalistisch strahlten die goldenen Himmelsobjekte von Anfang an kontrastreich auf der Scheibe wie Mond und Sterne am Himmel. Ganz konkret und ohne jede mythologische Verbrämung, reduziert auf des Wesentliche, schlicht und klar. Ein Abbild realer astronomischer Beobachtung mit Kalenderfunktion, denn die Plejaden, auch Siebengestirn genannt, zeigen sich im Oktober zur Ernte und verschwinden im März wieder, wenn die Aussaat ansteht.

Sie könnte sogar zur Errechnung von Schalttagen zwischen Sonnen- und Mondjahr gedient haben.4 Die Himmelsscheibe war ein astronomisches Instrument zur Bestimmung präziser Kalenderdaten.

Unter der Oberfläche

Die Fundstücke aus dem Hort von Nebra gehören zu den naturwissenschaftlich am intensivsten erforschten archäologischen Objekten. Viele Forschungseinrichtungen waren beteiligt und nahmen die Funde genau unter die Lupe, um die chemischen und physikalischen Eigenschaften unter anderem mittels Röntgenfluoreszenzanalyse, Röntgendiffraktometrie, Computertomografie, Isotopen/Massenspektroskopie, Metallografie, Licht- und Rasterelektronenmikroskopie zu analysieren.

Dabei bestätigte sich auch ein Alter von mindestens 3.600 Jahren, ihr Herstellungsdatum wird auf 2.100 bis 1.700 v. Chr. geschätzt.

Die Untersuchungen der Herkunft des Materialien der Himmelscheibe und der zwei Schwerter ergaben rasch, dass das verwendete Kupfer aus der selben Quelle stammt, von den Lagerstätten am Mitterberg im Salzburger Pongau, dort wurde in der Bronzezeit das Metall im großen Stil abgebaut. Die genaue chemische Zusammensetzung und die Verunreinigungen ermöglichten Ernst Pernicka vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim diese Herkunftsbestimmung, denn er konnte auf eine umfassende Datenbank mit Zehntausenden Proben aus vorgeschichtlichen Erzminen in Europa zurückgreifen.5

Hort von Nebra. Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták

Woher das verwendete Gold kommt, blieb zunächst unklar, da es keine vergleichbar große Datenbank für dieses Material gibt. Es enthält einen sehr hohen Silberanteil, zudem einiges an Kupfer und Zinn. Gregor Borg von der Universität Halle verglich das Gold mit dem anderer Artefakte, das vor allem aus Flüssen und Bächen Thüringens, dem Rhein, den Alpen und aus Böhmen stammte, aber zunächst gab es keinen Treffer. Vermutet wurde der Ursprung in Rumänien, aber keine der Vergleichsproben passte wirklich.

Erst die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs, in dem über sechs Jahre von rund 200 europäischen Goldvorkommen Proben genommen wurden, brachte letztlich den Durchbruch. Wie das Zinn in der Bronze stammte das Gold von Mond und Sternen aus Cornwall in Südwestengland, aus dem schmalen, nur zehn Kilometer langen Fluss Carnon .6 Aus dem heute stark verschmutzten Flüsschen wurde in der Bronzezeit nachweislich bereits Zinn gewonnen.

Es gab also offensichtlich in der Bronzezeit einen Austausch und wirtschaftliche Verbindungen vom Alpenraum über Mitteldeutschland bis nach England.

Der Hüter der Himmelscheibe

Anfangs gab es viel Zweifel an der Authentizität der Himmelsscheibe, bzw. ihrem Alter. Sie ist so einmalig und außergewöhnlich, dass es den Fachleuten schwer fiel, sie als Jahrhundertfund anzuerkennen. Aber die Vielzahl der Untersuchungen durch weltweit anerkannte Institutionen ließ die Kritiker zunehmend verstummen.

Allerdings wird der Hüter der Himmelsscheibe, Landesarchäologe Harald Meller, von vielen Kollegen kritisch beäugt. Er rührt mächtig die Trommel für das kosmische Abbild aus Nebra und schrieb zusammen mit einem Journalisten einen Bestseller (Harald Meller und Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra, 2018), in dem er sehr spekulativ und spannend von der Bronzezeit in Mitteldeutschland erzählt. Sehr öffentlichkeitswirksam und inspirierend, aber in den Augen mancher Fachkollegen eher fantasievolles Geschichtenerzählen, statt wissenschaftliche Fakten zu berichten.

Bei der Verleihung des Verdienstordens von Sachen Anhalt wurde Harald Meller offiziell und explizit als "Spiritus Rector der nationalen und internationalen Vermarktung der Himmelsscheibe" geehrt. Eine Rolle, die er sehr erfolgreich spielt: Mindestens eine halbe Milliarde Menschen überall auf der Welt sollen durch die starke Medienpräsenz inzwischen die Himmelsscheibe kennen. Mehr als eine Million haben sie seit 2004 im Museum in Halle, auf ihrer Tour durch Europa und in Japan selbst in Augenschein genommen.7

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