Mond und Sterne auf Nachtschwarz

Seite 3: Streit im Gelehrtenhimmel

Letztes Jahr im September meldeten sich Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung München, und Rüdiger Krause von der Goethe-Universität Frankfurt mit fundamentalen Zweifeln zu Wort.

In ihrem Artikel "Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog.Himmelsscheibe von Nebra" in der Fachzeitschrift Archäologische Informationen widersprechen sie den bisher veröffentlichten Forschungsergebnissen grundlegend. Sie gehen davon aus, dass die Himmelsscheibe nicht aus der frühen Bronzezeit, sondern aus der Eisenzeit (ca. 800 - 50 v. Chr.) stammt, tausend Jahre jünger und damit nicht die älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung ist.

Die beiden bezweifeln, dass die Scheibe ein Teil des Hortes war, der auf dem Mittelberg bei Nebra von den Raubgräbern ausgebuddelt wurde. Sie halten sie für ein Einzelobjekt unbekannter Herkunft und da sie stilistisch und kulturell nicht in die frühbronzezeitliche Motivwelt passe, müsse sie aus der Eisenzeit stammen.

Mit dieser steilen These bekamen sie viel Aufmerksamkeit der Medien in der ganzen Welt, selbst die New York Times berichtete im Januar ausführlich darüber.8

Die Fachwelt reagierte weit weniger enthusiastisch. Böse Zungen behaupteten sogar, Rupert Gebhard sei einfach unterbeschäftigt, weil sein Museum seit Jahren wegen Generalsanierung geschlossen ist. Aber wenn in der Wissenschaftswelt seriöse Forscher ihre Einwände veröffentlichen, dann müssen von den Betroffenen ihre Forschungsergebnisse selbstverständlich mit fachlichen Argumenten verteidigt werden.

Also veröffentlichten Harald Meller, Ernst Pernicka zusammen mit fast einem Dutzend weiterer Autoren ihre ausführliche Antwort im Fachblatt Archaeologia Austriaca.9 Ausführlich belegt weisen sie alle Zweifel an ihren Untersuchungen zurück, nachdem sie schon vorab schreiben:

Es ist nicht ungewöhnlich, dass archäologische Funde einer erneuten Prüfung unterzogen werden; dies ist eigentlich ein wichtiger Teil im Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung. Umso mehr gilt das, wenn es sich um wichtige und bahnbrechende Entdeckungen handelt, wie die Himmelsscheibe von Nebra... In den meisten Fällen beruht eine neue Beurteilung jedoch auf neuen Daten oder Erkenntnissen. Nichts davon findet sich in einem kürzlich veröffentlichten Artikel von Gebhard und Krause (2020). Stattdessen stützt sich ihre Argumentation auf früh veröffentlichtes und unveröffentlichtes Material, das selektiv verwendet und zitiert wird und eine beträchtliche Anzahl von Folgepublikationen ignoriert.

Damit ist der Expertenstreit aber noch nicht vorüber. Die Herausforderer geben sich mit dieser fachlichen Erwiderung nicht zufrieden, sie kündigten an, künftig nochmals nachzulegen. Rüdiger Krause sprach gegenüber den Medien davon, ihre fundierten Einwände würden nicht ernst genommen, es handle sich um einen "wissenschaftlichen Kleinkrieg".

Gegenüber Telepolis wollte sich Harald Meller zu diesem Disput nicht mehr äußern, aber seine Forschergruppe veröffentlichte in der aktuellen Ausgabe der Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte eine leicht erweiterte Fassung des Fachartikels, der auf 53 Seiten erneut ausführlich erklärt "Warum die Himmelsscheibe von Nebra in die Frühbronzezeit datiert" (Überblick über die interdisziplinären Forschungsergebnisse).

Goldschätze und Interessenkonflikte

Beide Seiten halten die Debatte inzwischen offensichtlich für einen wissenschaftlichen Kleinkrieg. Interessant dabei ist, dass es im Hintergrund noch einen anderen schwelenden Konflikt zwischen den Forschergruppen gibt.

Der Spezialist für Materialuntersuchungen, Ernst Pernicka, der die Himmelsscheibe von Anfang an begutachtete, analysierte und ihr Alter bestätigte, ist gleichzeitig der Experte, der maßgeblich den bayerischen Goldschatz von Bernstorf zu einer modernen Fälschung erklärt hat.

Hobbyarchäologen hatten Ende der 1990er-Jahre auf dem Bernstorfer Berg im bayerischen Landkreis Freising gefaltete Goldbleche gefunden, die sich als eine Diademkrone, eine Gewandnadel, punzierte Gürtel- und Schmuckteile aus Goldblech, eine Art Zepter-Beschlag und verzierte Bernsteinperlen erwiesen. Das Land Bayern kaufte den Schatz, der von Rupert Gebhard als echt und 3.000 Jahre alt begutachtet worden war, für 600.000 Euro.

Ab 2010 fand eine Grabung unter Leitung von Rüdiger Krause in Bernstorf statt, die bronzezeitliche Siedlungsspuren ans Licht brachte.

2013 untersuchte Ernst Pernicka das Gold von Bernstorf und stellte fest, dass es sich um Gold mit einer sehr hohen Reinheit 99,99 Prozent handelt, so reines Gold gibt es in der Natur nicht und es war in der Bronzezeit nicht herstellbar, deshalb muss der Schatz seinen Ergebnissen nach sehr wahrscheinlich eine moderne Fälschung sein (Neue Materialanalysen zeigen, dass es sich um modernes Gold handelt).

Seither versuchen Rupert Gebhard und Rüdiger Krause kontinuierlich die Fälschungsvorwürfe zu widerlegen (3400 Jahre altes Gold von Bernstorf keine Fälschung), in der andauernden Kontroverse spielt seit 2014 auch Harald Meller eine führende Rolle, dem die beiden die Verbreitung "alternativer Daten und alternativer Fakten" in Forscherkreisen vorwerfen.10 Das sieht wirklich nach wissenschaftlichem Kleinkrieg aus.

Aber am Schluss noch einmal zurück zur Himmelsscheibe von Nebra. Wer sie aktuell sehen und sich umfassend über ihre Welt informieren will, kann noch bis 9. Januar 2022 die gerade eröffnete Landesausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) besuchen: Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - Neue Horizonte.

Eine aktuelle Zwischenbilanz zum Stand der Forschung zur Himmelsscheibe ziehen Harald Meller und Kai Michel in ihrem jüngst erschienenen Buch: Griff nach den Sternen.

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