Mond und Sterne auf Nachtschwarz

Die Fundstücke aus dem Hort von Nebra in restauriertem Zustand. Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták

Die Himmelscheibe von Nebra ist eine Ikone der Archäologie. Jetzt gibt es einen andauernden Gelehrtenstreit und viele neue Erkenntnisse

Die Entdeckung der Himmelsscheibe von Nebra erregte viel Aufsehen, sie gilt als einer der bedeutendsten archäologischen Funde des vergangenen Jahrhunderts. Dabei fing alles ganz unspektakulär mit zwei Raubgräbern an, die mit Metalldetektoren auf der Suche nach Militaria durch den Wald auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt streiften. Als eines der Geräte zu piepsen begann, hackten sie den Boden auf und freuten sich über einen Hortfund mit zwei goldverzierten Schwertern, zwei Beilen, einem bronzenen Meißel und Armspiralen.

Außerdem gruben sie eine stark verkrustete Scheibe aus, die wenig attraktiv aussah und den Raubgräbern das Mittelstück eines Schildes zu sein schien. Sie verkauften ihren Schatz schnell für 31.000 Mark, der dann durch einige kundigere Hände ging, bis er schließlich für den Preis von einer Million Mark verschiedenen Museen für Vorgeschichte zum Kauf angeboten wurde.

Ein Krimi und eine Sensation

Allerdings war das Angebot illegal, denn Schatzfunde von wissenschaftlicher Bedeutung aus Sachsen-Anhalt gehören dem Staat. Zum Schein ging das Landesamt für Archäologie auf Verhandlungen ein und vereinbarte 2002 ein Treffen in Basel, wo der vermeintliche Käufer, der Landesarchäologe Harald Meller, die Polizei mitbrachte und den Schatz sicherstellte.1

Die Hehler und Raubgräber mussten sich anschließend vor Gericht verantworten, verrieten den Archäologen aber den genauen Fundort, wo bei einer wissenschaftlichen Nachgrabung die Reste der Steinkiste entdeckt wurden, in der vor 3.600 Jahren alle Fundstücke als Gaben an die Götter feierlich beigesetzt worden waren. Das so genannte Hortphänomen war in der Bronzezeit über ganz Europa verbreitet, vom Mittelmeer bis Südschweden und vom Schwarzen Meer bis zur Atlantikküste. Geopfert und rituell vergraben wurden vor allem Stücke aus Bronze, aber auch Kleinteile aus Gold.

In den Händen der Wissenschaftler erwies sich die Himmelscheibe als eine wahre Sensation, denn sie ist nicht nur sensationell schön, sondern auch die weltweit älteste konkrete Darstellung des Nachthimmels und astronomischer Phänomene. Deshalb gehört sie seit 2013 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Die Scheibe ist rund zwei Kilo schwer, hat einen Durchmesser von 31,4 cm und besteht aus sehr weicher Bronze (mit einem Zinngehalt von nur 2,5 Prozent). Sie wurde kalt geschmiedet, ihr Rand ist ungefähr 1,7 mm dick, das Zentrum 4,5 mm und die runde Platte ist leicht konkav gewölbt. Die auf ihr abgebildeten Himmelskörper bestehen aus Goldblech, das mittels Tauschier-Technik, durch Anpressen in vorher gezogenen Rinnen, aufgebracht wurde.

Sie zeigt eine Mondsichel, Sonne oder Vollmond und insgesamt 32 goldene Sterne, von denen sieben wie das Sternbild der Plejaden sehr eng beieinander stehen. Am Rand finden sich zudem später hinzugefügte Horizontbögen und darunter eine gekrümmte Sonnenbarke, die durch die Nacht gleitet.2

Nachtschwarz durch Rotglut

Heute strahlen die Goldobjekte auf Grün, einer Malachitschicht, die sich während der 3.600 Jahre unter der Erde bildete. Der grobkristalline Korrosionsbelag birgt einen Beweis für die Echtheit der Scheibe. Den Experten gelang es nachzuweisen, dass der Korrosionsprozess tatsächlich über einen sehr langen Zeitraum verlief, denn eine künstliche, schnell geschaffene Patina besteht aus sehr kleinen Kristallen, die mit naturwissenschaftlichen Methoden aufgespürt werden können.

Für die Erforschung der Himmelsscheibe arbeiteten von Anfang an verschiedene Forschungsdisziplinen zusammen, vor allem der Brückenschlag zwischen Natur- und Geisteswissenschaft war und ist von großer Bedeutung.

Die Himmelsscheibe von Nebra. Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták

Neue Untersuchungen mit modernsten bildgebenden Verfahren erbrachten nun detaillierte Einsichten in die genaue Vorgehensweise der Handwerker bei der Fertigung und mehreren späteren Veränderungen der Scheibe (in fünf Phasen). Dabei bestätigte sich, was schon länger vermutet wurde: Ursprünglich war die Himmelscheibe von Nebra schwarz wie der Nachthimmel, ein Metallic-Ton mit etwas Violett, je nach Lichteinfall leicht changierend.

Sie ist komplett, auch unter den Goldapplikationen, bedeckt von den schwarzen Auflagerungen, die aus dem Kupferoxid Tenorit bestehen, das auf Bronze durch das wiederholte Durchglühen bis zur sanften Rotglut auf ungefähr 800 Grad Celcius entsteht.3

Geradezu naturalistisch strahlten die goldenen Himmelsobjekte von Anfang an kontrastreich auf der Scheibe wie Mond und Sterne am Himmel. Ganz konkret und ohne jede mythologische Verbrämung, reduziert auf des Wesentliche, schlicht und klar. Ein Abbild realer astronomischer Beobachtung mit Kalenderfunktion, denn die Plejaden, auch Siebengestirn genannt, zeigen sich im Oktober zur Ernte und verschwinden im März wieder, wenn die Aussaat ansteht.

Sie könnte sogar zur Errechnung von Schalttagen zwischen Sonnen- und Mondjahr gedient haben.4 Die Himmelsscheibe war ein astronomisches Instrument zur Bestimmung präziser Kalenderdaten.

Unter der Oberfläche

Die Fundstücke aus dem Hort von Nebra gehören zu den naturwissenschaftlich am intensivsten erforschten archäologischen Objekten. Viele Forschungseinrichtungen waren beteiligt und nahmen die Funde genau unter die Lupe, um die chemischen und physikalischen Eigenschaften unter anderem mittels Röntgenfluoreszenzanalyse, Röntgendiffraktometrie, Computertomografie, Isotopen/Massenspektroskopie, Metallografie, Licht- und Rasterelektronenmikroskopie zu analysieren.

Dabei bestätigte sich auch ein Alter von mindestens 3.600 Jahren, ihr Herstellungsdatum wird auf 2.100 bis 1.700 v. Chr. geschätzt.

Die Untersuchungen der Herkunft des Materialien der Himmelscheibe und der zwei Schwerter ergaben rasch, dass das verwendete Kupfer aus der selben Quelle stammt, von den Lagerstätten am Mitterberg im Salzburger Pongau, dort wurde in der Bronzezeit das Metall im großen Stil abgebaut. Die genaue chemische Zusammensetzung und die Verunreinigungen ermöglichten Ernst Pernicka vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim diese Herkunftsbestimmung, denn er konnte auf eine umfassende Datenbank mit Zehntausenden Proben aus vorgeschichtlichen Erzminen in Europa zurückgreifen.5

Hort von Nebra. Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták

Woher das verwendete Gold kommt, blieb zunächst unklar, da es keine vergleichbar große Datenbank für dieses Material gibt. Es enthält einen sehr hohen Silberanteil, zudem einiges an Kupfer und Zinn. Gregor Borg von der Universität Halle verglich das Gold mit dem anderer Artefakte, das vor allem aus Flüssen und Bächen Thüringens, dem Rhein, den Alpen und aus Böhmen stammte, aber zunächst gab es keinen Treffer. Vermutet wurde der Ursprung in Rumänien, aber keine der Vergleichsproben passte wirklich.

Erst die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs, in dem über sechs Jahre von rund 200 europäischen Goldvorkommen Proben genommen wurden, brachte letztlich den Durchbruch. Wie das Zinn in der Bronze stammte das Gold von Mond und Sternen aus Cornwall in Südwestengland, aus dem schmalen, nur zehn Kilometer langen Fluss Carnon .6 Aus dem heute stark verschmutzten Flüsschen wurde in der Bronzezeit nachweislich bereits Zinn gewonnen.

Es gab also offensichtlich in der Bronzezeit einen Austausch und wirtschaftliche Verbindungen vom Alpenraum über Mitteldeutschland bis nach England.

Der Hüter der Himmelscheibe

Anfangs gab es viel Zweifel an der Authentizität der Himmelsscheibe, bzw. ihrem Alter. Sie ist so einmalig und außergewöhnlich, dass es den Fachleuten schwer fiel, sie als Jahrhundertfund anzuerkennen. Aber die Vielzahl der Untersuchungen durch weltweit anerkannte Institutionen ließ die Kritiker zunehmend verstummen.

Allerdings wird der Hüter der Himmelsscheibe, Landesarchäologe Harald Meller, von vielen Kollegen kritisch beäugt. Er rührt mächtig die Trommel für das kosmische Abbild aus Nebra und schrieb zusammen mit einem Journalisten einen Bestseller (Harald Meller und Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra, 2018), in dem er sehr spekulativ und spannend von der Bronzezeit in Mitteldeutschland erzählt. Sehr öffentlichkeitswirksam und inspirierend, aber in den Augen mancher Fachkollegen eher fantasievolles Geschichtenerzählen, statt wissenschaftliche Fakten zu berichten.

Bei der Verleihung des Verdienstordens von Sachen Anhalt wurde Harald Meller offiziell und explizit als "Spiritus Rector der nationalen und internationalen Vermarktung der Himmelsscheibe" geehrt. Eine Rolle, die er sehr erfolgreich spielt: Mindestens eine halbe Milliarde Menschen überall auf der Welt sollen durch die starke Medienpräsenz inzwischen die Himmelsscheibe kennen. Mehr als eine Million haben sie seit 2004 im Museum in Halle, auf ihrer Tour durch Europa und in Japan selbst in Augenschein genommen.7

Streit im Gelehrtenhimmel

Letztes Jahr im September meldeten sich Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung München, und Rüdiger Krause von der Goethe-Universität Frankfurt mit fundamentalen Zweifeln zu Wort.

In ihrem Artikel "Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog.Himmelsscheibe von Nebra" in der Fachzeitschrift Archäologische Informationen widersprechen sie den bisher veröffentlichten Forschungsergebnissen grundlegend. Sie gehen davon aus, dass die Himmelsscheibe nicht aus der frühen Bronzezeit, sondern aus der Eisenzeit (ca. 800 - 50 v. Chr.) stammt, tausend Jahre jünger und damit nicht die älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung ist.

Die beiden bezweifeln, dass die Scheibe ein Teil des Hortes war, der auf dem Mittelberg bei Nebra von den Raubgräbern ausgebuddelt wurde. Sie halten sie für ein Einzelobjekt unbekannter Herkunft und da sie stilistisch und kulturell nicht in die frühbronzezeitliche Motivwelt passe, müsse sie aus der Eisenzeit stammen.

Mit dieser steilen These bekamen sie viel Aufmerksamkeit der Medien in der ganzen Welt, selbst die New York Times berichtete im Januar ausführlich darüber.8

Die Fachwelt reagierte weit weniger enthusiastisch. Böse Zungen behaupteten sogar, Rupert Gebhard sei einfach unterbeschäftigt, weil sein Museum seit Jahren wegen Generalsanierung geschlossen ist. Aber wenn in der Wissenschaftswelt seriöse Forscher ihre Einwände veröffentlichen, dann müssen von den Betroffenen ihre Forschungsergebnisse selbstverständlich mit fachlichen Argumenten verteidigt werden.

Also veröffentlichten Harald Meller, Ernst Pernicka zusammen mit fast einem Dutzend weiterer Autoren ihre ausführliche Antwort im Fachblatt Archaeologia Austriaca.9 Ausführlich belegt weisen sie alle Zweifel an ihren Untersuchungen zurück, nachdem sie schon vorab schreiben:

Es ist nicht ungewöhnlich, dass archäologische Funde einer erneuten Prüfung unterzogen werden; dies ist eigentlich ein wichtiger Teil im Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung. Umso mehr gilt das, wenn es sich um wichtige und bahnbrechende Entdeckungen handelt, wie die Himmelsscheibe von Nebra... In den meisten Fällen beruht eine neue Beurteilung jedoch auf neuen Daten oder Erkenntnissen. Nichts davon findet sich in einem kürzlich veröffentlichten Artikel von Gebhard und Krause (2020). Stattdessen stützt sich ihre Argumentation auf früh veröffentlichtes und unveröffentlichtes Material, das selektiv verwendet und zitiert wird und eine beträchtliche Anzahl von Folgepublikationen ignoriert.

Damit ist der Expertenstreit aber noch nicht vorüber. Die Herausforderer geben sich mit dieser fachlichen Erwiderung nicht zufrieden, sie kündigten an, künftig nochmals nachzulegen. Rüdiger Krause sprach gegenüber den Medien davon, ihre fundierten Einwände würden nicht ernst genommen, es handle sich um einen "wissenschaftlichen Kleinkrieg".

Gegenüber Telepolis wollte sich Harald Meller zu diesem Disput nicht mehr äußern, aber seine Forschergruppe veröffentlichte in der aktuellen Ausgabe der Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte eine leicht erweiterte Fassung des Fachartikels, der auf 53 Seiten erneut ausführlich erklärt "Warum die Himmelsscheibe von Nebra in die Frühbronzezeit datiert" (Überblick über die interdisziplinären Forschungsergebnisse).

Goldschätze und Interessenkonflikte

Beide Seiten halten die Debatte inzwischen offensichtlich für einen wissenschaftlichen Kleinkrieg. Interessant dabei ist, dass es im Hintergrund noch einen anderen schwelenden Konflikt zwischen den Forschergruppen gibt.

Der Spezialist für Materialuntersuchungen, Ernst Pernicka, der die Himmelsscheibe von Anfang an begutachtete, analysierte und ihr Alter bestätigte, ist gleichzeitig der Experte, der maßgeblich den bayerischen Goldschatz von Bernstorf zu einer modernen Fälschung erklärt hat.

Hobbyarchäologen hatten Ende der 1990er-Jahre auf dem Bernstorfer Berg im bayerischen Landkreis Freising gefaltete Goldbleche gefunden, die sich als eine Diademkrone, eine Gewandnadel, punzierte Gürtel- und Schmuckteile aus Goldblech, eine Art Zepter-Beschlag und verzierte Bernsteinperlen erwiesen. Das Land Bayern kaufte den Schatz, der von Rupert Gebhard als echt und 3.000 Jahre alt begutachtet worden war, für 600.000 Euro.

Ab 2010 fand eine Grabung unter Leitung von Rüdiger Krause in Bernstorf statt, die bronzezeitliche Siedlungsspuren ans Licht brachte.

2013 untersuchte Ernst Pernicka das Gold von Bernstorf und stellte fest, dass es sich um Gold mit einer sehr hohen Reinheit 99,99 Prozent handelt, so reines Gold gibt es in der Natur nicht und es war in der Bronzezeit nicht herstellbar, deshalb muss der Schatz seinen Ergebnissen nach sehr wahrscheinlich eine moderne Fälschung sein (Neue Materialanalysen zeigen, dass es sich um modernes Gold handelt).

Seither versuchen Rupert Gebhard und Rüdiger Krause kontinuierlich die Fälschungsvorwürfe zu widerlegen (3400 Jahre altes Gold von Bernstorf keine Fälschung), in der andauernden Kontroverse spielt seit 2014 auch Harald Meller eine führende Rolle, dem die beiden die Verbreitung "alternativer Daten und alternativer Fakten" in Forscherkreisen vorwerfen.10 Das sieht wirklich nach wissenschaftlichem Kleinkrieg aus.

Aber am Schluss noch einmal zurück zur Himmelsscheibe von Nebra. Wer sie aktuell sehen und sich umfassend über ihre Welt informieren will, kann noch bis 9. Januar 2022 die gerade eröffnete Landesausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) besuchen: Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - Neue Horizonte.

Eine aktuelle Zwischenbilanz zum Stand der Forschung zur Himmelsscheibe ziehen Harald Meller und Kai Michel in ihrem jüngst erschienenen Buch: Griff nach den Sternen.

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