Monsieur le Propagandiste
Emmanuel Macron für Truppen in der Ukraine und gegen Zollfreiheit für Kiew. Berlin kritisiert beides. Schweres Geschütz fuhr nun ein Grüner auf.
Die jüngsten Vorstöße des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Ukraine stoßen in der EU und bei westlichen Verbündeten zunehmend auf Unverständnis. Das Zerwürfnis wird zunehmend auch Thema in westlichen Medien, wie Berichte des Nachrichtenmagazins Spiegel und der Nachrichtenagentur Bloomberg zeigen.
Neben der militärischen Haltung zum Ukraine-Krieg geht es dabei vor allem um die seit Frühjahr 2022 geltende Zollfreiheit für ukrainische Einfuhren in die EU. Polen und Frankreich wenden sich gegen diese Marktöffnung, Sie argumentieren, dass diese zu "Exzessen" geführt habe, die den europäischen Markt destabilisiert hätten. Macron fordert , dass weitere Produktgruppen, insbesondere Weizen, in die Zollregelung einbezogen werden.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hält vehement dagegen. Er betont, dass der Kompromiss, auf einige ukrainische Importe wieder Zölle zu erheben, ein "schwieriger Kompromiss für alle Beteiligten" gewesen sei. Er wirft den Kritikern vor, ihre Solidarität mit der Ukraine infrage zu stellen.
Die EU-Staaten und das Europaparlament hatten sich darauf geeinigt, auf ukrainische Eier, Geflügel, Zucker, Mais, Hafer und Honig wieder Zölle zu erheben, wenn bestimmte Einfuhrmengen überschritten werden. Frankreich und Polen fordern nun, auch Gerste und Weizen einzubeziehen. Ihr Argument: Ukrainische Billigimporte würden die Preise in der EU drücken und den heimischen Landwirten schaden.
Özdemir weist diese Behauptungen zurück und fordert Fakten und Zahlen. Er betont, dass die Unterstützung der Ukraine nicht nur darin besteht, Munition zu liefern, sondern auch darin, "dass man sich an Putins Propaganda nicht beteiligt". Für die Behauptung, dass ukrainische Importe die Getreidepreise in der EU drücken, gebe es keine Belege.
Emmanuel Macron als Propagandist Putins? Ein solches rhetorisches Geschütz wurde bislang nicht aufgefahren. Das ohnehin belastete Verhältnis zwischen Berlin und Paris dürfte dadurch nicht besser werden.
Kontrast zwischen Rhetorik und Handeln
Das Handeln von Frankreich und Polen steht im Kontrast zu ihren offiziellen Bekenntnissen, die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen, meint der Brüssel-Korrespondent des Nachrichtenmagazins Spiegel, Markus Becker. Macron habe schließlich zuletzt sogar den Einsatz französischer Bodentruppen in der Ukraine ins Spiel gebracht. Nach dem Gipfel stellte er jedoch die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine infrage, sollte es keine weiteren Schutzmaßnahmen für EU-Landwirte geben.
Seit dem Sommer 2022 liefert die Ukraine große Mengen an Agrarprodukten in die EU. Ein Großteil davon wird nach Afrika weiterverkauft, aber ein bedeutender Teil bleibt in der EU. Dies sehen vorwiegend Landwirte in Polen und Frankreich als Problem an.
Offener Ausgang des Streits
Der Ausgang des Streits ist noch offen. Eine ursprünglich für diesen Montag geplante Abstimmung im Ausschuss der EU-Botschafter der Mitgliedsländer wurde auf den heutigen Mittwoch verschoben. Frankreich und Polen könnten die Oberhand gewinnen, da für die Verlängerung der Zollbefreiung der Ukraine eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Nach Angaben von Diplomaten haben sie Ungarn und Österreich auf ihre Seite gezogen, Italien gilt als unsicher.
Sollten alle fünf Länder gegen die Verlängerung stimmen oder sich enthalten, würden für ukrainische Einfuhren in die EU demnächst wieder die Zölle gelten, die im Rahmen des 2014 abgeschlossenen Assoziierungsabkommens festgelegt wurden. Dies würde die Ukraine teuer zu stehen kommen.
Macron sucht die Führungsrolle
Macron hat in jüngster Zeit versucht, sich zunehmend als Führungsfigur in der europäischen Außenpolitik zu positionieren. Dies wurde besonders deutlich, als er öffentlich erwägt hat, Truppen in die Ukraine zu schicken, um gegen die russische Aggression vorzugehen.
Doch trotz seiner Bemühungen, sich als entscheidender Akteur auf dem internationalen Parkett zu etablieren, sind nicht alle Verbündeten von seiner Führungsrolle überzeugt, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Kritik an Macrons Vorgehen
Macrons Andeutungen, Truppen in die Ukraine zu schicken, um Russlands Präsident Wladimir Putin entgegenzutreten, könnten laut einigen Nato-Funktionären einen gegenteiligen Effekt gehabt haben.
Durch die öffentliche Ablehnung Berlins, Truppen zu entsenden, ist eines deutlich geworden, so ein hochrangiger US-Beamter gegenüber Bloomberg: In der Nato herrscht kein Konsens zu dieser Frage. Zudem wurde Kritik laut, dass Macrons Äußerungen aus operationeller Sicherheitssicht unklug seien, da bereits einige Länder stillschweigend Personal in der Ukraine stationiert haben.
Innenpolitische Motive
Neben der internationalen Politik spielen auch innenpolitische Faktoren eine Rolle in Macrons Haltung. Der französische Präsident nutzt die Ukraine-Krise, um seine rechtsextreme Rivalin Marine Le Pen im Vorfeld der Europawahlen im Juni als Putin-Verbündete darzustellen.
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"Es wird immer deutlicher, dass Russland eine Bedrohung für uns ist", sagte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu auf einer Pressekonferenz am Dienstag. "Wir können uns einen russischen Sieg nicht erlauben."
Mehr Reden als Handeln?
Kritiker werfen Macron jedoch vor, mehr zu reden als zu handeln. Ein Beispiel dafür ist eine Initiative der Tschechischen Republik, die den Kauf von etwa 800.000 Granaten aus Quellen außerhalb der EU vorsieht.
Obwohl Macron vergangenen Monat sagte, dass er die tschechische Initiative unterstützt, hat Frankreich bisher keinen finanziellen Beitrag geleistet. Im Gegensatz dazu hat Deutschland 300 Millionen Euro ausgegeben, um 180.000 Granaten zu kaufen.
Je weiter das dritte Kriegsjahr in der Ukraine voranschreitet, desto mehr wird die Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik der westlichen Ukraine-Unterstützung und ihrer realen Unterstützung deutlich.
Macrons außenpolitische Bilanz
Macron hat versucht, die Lücke zu füllen, die durch den Rücktritt von Angela Merkel als deutsche Bundeskanzlerin im Jahr 2021 entstanden ist. Dabei hat er sich auf eine lange Tradition französischer Außenpolitik gestützt.
Anders als viele europäische Amtskollegen sagte er dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu offen, dass Frankreich jede erzwungene Umsiedlung von Menschen aus der Stadt Rafah als Kriegsverbrechen ansehen würde.
Krieg oder Frieden mit Macron?
Doch nach fast sieben Jahren im Amt hat Macron auch einige Fehlschläge in der Außenpolitik zu verzeichnen. Seine Afrika-Strategie ist gescheitert und Frankreich hat Schwierigkeiten, die Länder der Sahel-Region von der Präsenz einer ehemaligen Kolonialmacht zu überzeugen.
Rym Momtaz, eine in Paris ansässige Forscherin für das International Institute for Strategic Studies, äußerte sich gegenüber Bloomberg kritisch zu Macrons Führungsanspruch: "Macron hat eine Chance verpasst, die europäische Führung zu Beginn der russischen Invasion der Ukraine entscheidend zu ergreifen", sagte sie. "Er macht jetzt Schritte, um diesen Fehler zu korrigieren."
Ob das Europa befriedigt oder in den Krieg führt, des Gegenstand laufende Debatten – nicht nur in Paris.