Moralisches Tieffliegen

Die Awacs-Aufklärer und ein Bundeskanzler im Spagat zwischen Zwang und Rhetorik

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Seit dem Bundestagswahlkampf befindet sich Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Art Stellungskrieg an der heimischen Rhetorikfront. Bündnistreue zu den Nato-Partnern ist ihm eine Ehrensache, eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg indes nicht. Seit Wochen muss er wegen jenes Spagats Deckung suchen oder attackiert den politischen Gegner. Mit seiner Aussage zum Einsatz der Awacs-Aufklärer hat er nun eine neue Batterie Nebelkerzen gezündet.

Als Gerhard Schröder noch erzählen konnte, was er wollte: Siegerpose beim Bundestagswahlkampf in Aachen, am Freitag, den 13. September 2002. (Foto: Michael Klarmann)

Bezeichnenderweise hieß die ARD-Sendung "Farbe bekennen", und die bekannte der Bundeskanzler am Mittwoch. An Militäraktionen gegen den Irak werde man sich nicht beteiligen, sagte Gerhard Schröder. Deutsche Soldaten würden dennoch im Falle eines Kriegs Dienst tun an Bord der Nato-Aufklärer vom Typ Awacs (vgl. Lärmende und stinkende Friedenstauben). Begründung:

"Die Bündnisverpflichtungen werden erfüllt und das bedeutet natürlich auch, dass zum Schutze des Bündnisgebietes auch Awacs-Flugzeuge mit deutschen Soldaten besetzt sein werden." Die Maschinen aber seien keine Instrumente, "mit denen man operativ Krieg führen kann".

Ein naiver Bundeskanzler oder dessen gewitztes Täuschungsmanöver? Die angesprochenen Maschinen mit dem pilzartigen Radarschirm auf dem Rumpf sind ein luftgestütztes Frühwarn- und Einsatzführungssystem im Dienste der Nato. Die Abkürzung Awacs steht für "Airborne early Warning And Control System". Die unbewaffneten Maschinen fliegen rund um die Uhr die Bündnisgrenzen ab, um schnellstmöglich etwaige Angriffe auf dem Luft- oder Seeweg zu erkennen und diese dann einsatzbereiten Abfangjägern zu melden.

Entscheidende Aufklärungs- und Sicherungsfunktionen übernahmen die 17 Nato-Awacs sowohl im Golfkrieg als auch im Luftkrieg gegen Jugoslawien. Von den Besatzungsmitgliedern bestehen etwa zwei Drittel aus Soldaten der Bundeswehr, die bei solchen militärischen Operationen abzuziehen nahezu unmöglich wären. Gerhard Schröder muss dies wohl in seinem Wahlkampf vergessen haben - und ebenso, dass der Nato-Partner Türkei an die "Achse des Bösen" angrenzt.

Unterdessen hat der verteidigungspolitische CDU/CSU-Fraktionssprecher Christian Schmidt sich nicht eben uneigennützig erbarmt und den Bundeskanzler daran erinnert, dass er sich etwas zu weit aus der Deckung gewagt hat. Denn in einem Krieg gegen den Irak könnten sich die deutschen Awacs-Besatzungsmitglieder in einem Kampfeinsatz wieder finden. Aktiv müssten sie dann Waffengänge kämpfender Einheiten steuern oder koordinieren. Denn aus dem Frühwarnsystem kann während eines Patrouillenflugs rasch ein Feuerleitsystem werden.

Dass muss dann auch dem Kanzler und der Bundesregierung klar geworden sein. Schröders Aussage beziehe sich nämlich nur auf den Schutz der Türkei vor einem möglichen Angriff im Falle eines Irak-Krieges. Mit Blick auf die Awacs-Radarreichweite kann man dann wohl dem Kanzler nur eines wünschen: Die vielleicht einmal im Irak kämpfenden Alliierten und Bündnispartner erwischen bei ihren Anfragen auf dem kurzen Dienstweg keinen der Deutschen unter den jeweils 13 Radar-Operateuren an Bord der Awacs.