Mosul: Fitnessstudio für Frauen als "soziale Perversion"
Der IS ist nicht wirklich besiegt: Die Bereitschaft zur Radikalisierung ist geblieben, warnt eine Kennerin der Stadt im Irak
Aus Mosul (häufig auch: Mossul) im Irak wird ein Bombenattentat gemeldet - erstmals seit der Vertreibung der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS), wie der österreichische Standard berichtet. Der Anschlag wurde am Donnerstag verübt "in der Nähe eines bekannten Restaurants, drei Menschen wurden getötet und zwölf weitere sind verletzt worden", so die Kurzmeldung, die sich auf Rettungs- und Sicherheitskräfte beruft.
Der Anschlag ereignete sich zur Abendessen-Zeit in einem Restaurant, das vor allem bei Angehörigen der Sicherheitskräfte beliebt ist. Ob es sich bei den Opfern um Soldaten oder Zivilisten handelte, wurde nicht mitgeteilt. Die weiteren Informationen sind spärlich und unsicher: Das Restaurant sei vor allem bei Angehörigen der Sicherheitskräfte beliebt. Zunächst habe sich niemand zum Anschlag bekannt. Dazu der Satz: "Der IS hatte in der Vergangenheit wiederholt Bombenanschläge im Irak für sich reklamiert."
Die Verbindung zum IS ist naheliegend, deswegen wird sie erwähnt, ohne weitere Anhaltspunkte zu geben. Mit der Gefahr, dass der IS noch nicht wirklich unschädlich gemacht ist und sich die Milizen des IS-Kalifats nun auf einen Guerilla-Terrorkampf verlegt haben, wird nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien von den USA argumentiert, um eine Militärpräsenz zu begründen.
Im Irak ist das schwieriger als in Syrien, weil die irakische Regierung im Gegensatz zu Präsident Baschar al-Assad von den USA offiziell als Partner anerkannt wird - die USA üben auch Einfluss auf die Besetzung der Regierung in Bagdad aus - und die alte Regierung unter Premierminister al-Abadi die US-Militärs nach dem Sieg gegen den IS nicht mehr im Land haben wollten (stattdessen sollen Nato-Partner die Lücke schließen).
Kämpfe um das wohlgefällige Leben
Von diesen Kämpfen um Einfluss und Präsenz abgesehen, bei denen Irans intensivierte Verbindungen mit dem Irak seit dem 2003 von den USA herbeigeführten Regime Change im Irak ein große Rolle spielen, geht es im Irak auch um Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ideologien und Religionsauffassungen: Es geht um die Macht darüber zu bestimmen, wie das gute oder richtige Leben aussieht und wie Abweichungen bestraft werden. Diese Kämpfe werden, ähnlich wie in Syrien, bis aufs Blut geführt.
So zeichnet die Autorin und Extremismus-Forscherin Rasha Al-Aqeedi, die aus Mosul stammt und im Herbst 2016 mit einer sehr genauen, über gängige Klischees hinausgehende Schilderung der Lebensweisen und Verhältnisse in Mosul auf sich aufmerksam machte, ein bemerkenswertes Hintergrundbild zum eingangs genannten Anschlag.
Es geht ihr um die Sicherheitslage im "befreiten Mosul" (vgl. Mosul: Der IS wird nie wieder eine Stadt im Irak erobern). Was ihr mehr Angst mache, als die Sicherheitslücken, die den Gewalttätern den Anschlag ermöglichten, sei eine Todesdrohung, von der ein Video erzählt, berichtet Rasha Al Aqeedi.
Mosul nach dem IS: Massiver sozialer Wandel
In dem Video geht es um die Besitzerin eines Fitness-Studios, die, wenn sie ihr Geschäft nicht schließe, ihres Lebens nicht mehr sicher sei. Das Fitness-Studio ist nur für Frauen zugänglich, so die Kurzmitteilungen von Al-Aqeedi.
Für sie ist die Drohung bezeichnend, da sie mit einem "massiven sozialen Wandel" zu tun hat. Seit ungefähr zwei Jahren, seit die IS-Milizen die Kontrolle über die Stadt verloren haben, habe eine Entwicklung stattgefunden, die in den letzten drei bis vier Jahrzehnten keinen Vorläufer gehabt habe. "Besonders Frauen zeigen sich viel mehr und äußern sich deutlicher."
Dass sich jeder über diese Entwicklung freuen würde, sei in dieser konservativen Stadt mit einer patriarchalischen Tradition allerdings keine realistische Erwartung gewesen. Aber dass sich einige nun so sicher fühlen, dass sie Todesdrohungen dieser Art losschicken, sei "sehr alarmierend" und eine stärkere Warnung als Autobomben.
Al-Aqeedi glaubt nicht daran, dass die Drohung von Dschihadisten des IS oder der al-Qaida kommen, diese hätten nicht die operative Basis dazu, um derart vorzugehen. Zudem hätten die Dschihadisten beim Stand der Dinge andere Prioritäten, als auf Frauen loszugehen; sie zielen, wie schon bei ihren früheren Eroberungen, eher auf Personen mit wichtigen Funktionen.
"Soziale Perversion"
Die Drohung gegenüber dem Fitnessstudioinhaber, dessen Geschäft wegen einer "soziale Perversion" zum Ziel gemacht wird, stamme aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus IS-Netzwerken, weil diese weder Kapazitäten noch Zeit für solche Angelegenheiten hätten, sondern eher aus der Nachbarbarschaft, aus dem Bekanntenkreis oder vielleicht sogar aus der Familie.
Ob diese Spekulationen von Al-Aqeedi zutreffen, wird sich, wenn überhaupt, erst herausstellen. Den heiklen Punkt, den sie damit bloßlegt, hat sie schon vor drei Jahren, 2015, beschrieben. Sie diagnostizierte bei Teilen der Bewohnern der Stadt eine Empfänglichkeit für eine Radikalisierung, die es dem IS ermöglichte, Einfluss zu gewinnen und ihn auszubauen.
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