Mosul: Tausende flüchten vor dem Häuserkampf

Sprengstoffanschlag in Mosul. Ausschnitt aus einem IS-Progaganda-Video, via Twitter

Die Offensive zur Rückeroberung der Stadt nähert sich den dichtbesiedelten Zonen, die Zahl der Flüchtenden wächst

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Die Rückeroberung von Mosul aus der Gewaltherrschaft des IS verläuft viel mühsamer, beschwerlicher und aller Wahrscheinlichkeit nach unter sehr viel größeren Verlusten unter der Zivilbevölkerung und den Streitkräften, die die Stadt einnehmen wollen.

In ein paar Wochen könnte die Offensive erfolgreich sein, hieß es optimistisch zu Beginn des Großangriffs Mitte Oktober. Jetzt, zweieinhalb Monate später, verspricht der irakische Ministerpräsident, dass der IS bis April aus dem Irak vertrieben sein werde.

Dass sich der IS nach der Vertreibung aus Mosul nicht mehr im Irak halten können wird, darüber besteht weitgehendend Einigkeit. Auch darüber dass das 100.000 Kämpfer starke Aufgebot an irakischen Elitetruppen und Militäreinheiten sowie Milizen, vor allem die schiitischen, ergänzt durch westliche Eliteeinheiten und verstärkt durch die US-Luftwaffe, die Stadt erobern, wird in der Grundsache nicht angezweifelt. Die Frage ist nur, wie lange das dauert und unter welchen Opfern.

UN-Organisationen warnen seit langem vor einer humanitären Katastrophe im Zusammenhang mit dem Krieg um die Stadt. Die Trinkwasserversorgung für eine halbe Million Einwohner sei gefährdet, hieß es Anfang Dezember. Da sprach man von einer gescheiterten bzw. einer fatalen Strategie, weil die irakische Regierung die Bevölkerung aufgefordert hatte, in der Stadt zu bleiben und auf die Befreiung zu warten, statt zu fliehen.

13.000 Flüchtende in fünf Tagen

Möglicherweise, so wurde zu diesem Zeitpunkt als Beweggrund vermutet, weil die Regierung in Bagdad befürchtete, dass sie mit größeren Flüchtlingsströmen nicht zurechtkommen würde. Genau das könnte jetzt eintreten, lassen aktuelle Nachrichten der UN befürchten. Demnach sollen allein innerhalb fünf Tagen seit dem 29.Dezember 13.000 Personen aus Mosul geflüchtet.

Insgesamt zähle man seit Beginn der Offensive etwa 130.000 Geflüchtete aus Mosul und Umgebung, so der UN-Sprecher Stéphane Dujarric. Er befürchtet, dass die Zahl der Fluchtlinge weiter anwachsen könnte, da sie mit einer neuen Angriffswelle in Zusammenhang steht.

Die neuen Angriffe werden in Medienberichte häufig als "zweite Phase" bezeichnet, da sie die Offensive nach einem Stocken wieder neu aufnehmen. Das große Problem dieser Offensive ist, dass sie nun in einem sehr schwierigen Gelände operiert, weil sie in bewohnte Gebiete vordringt. Erstes Ziel ist die Rückeroberung des Ostens der Stadt, Stadtgebiete und Viertel am linken Tigris- Ufer.

Erfolgreiche Vorstöße im Osten

Gestern und heute gab es dazu Erfolgsmeldungen, rasch auf Twitter veröffentlicht, aber auch von großen Nachrichtenagenturen wie Reuters verbreitet: der wichtige Mithaq-Distrikt sei erobert - eine Erfolgsmeldung, die gestern bereits über Videoclips verbreitet wurde.

Gestern hieß es auch, dass andere wichtige Bezirke im Osten der Stadt, wie der Intisar Distrikt, eingenommen wurden, dazu Quds and Karamah. Reuters berichtet von Vorstöße in den Wahda Distrikt.

Doch geht dies offensichtlich mit weiter ansteigenden Flüchtenden einher. Laut Reuters stammen die meisten aus dem Osten der Stadt, allerdings würden auch im Westteil der Stadt mehr Fluchtversuche unternommen. Wie ein Bericht der Webseite Niqash.org schildert, ist die Situation in den Vierteln am rechten Ufer des Flusses miserabel.

Die Versorgung mit Lebensmittel und Energie nähert sich katastrophalen Zuständen, die IS-Milizen drohen Fluchtwilligen, die Brücken sind zerbombt. Ein Sprecher des irakischen Militärs kündigte indessen an, dass man den Feind, der im Osten bereits isoliert sei, in den nächsten Tagen auch auf der rechten Seite des Flussufers angreifen werde.

US-General: 1,2 Millionen Wohnungen sind abzusichern

Eine hauptsächliche Schwierigkeit erklärt der US-General Joseph Martin gegenüber Reuters so: Es gebe über 200.000 Gebäude in der Stadt, wenn man mit 6 Räumen für jedes Gebäude rechnet, dann seien das 1,2 Millionen Wohnräume, von denen gesichert sein muss, dass sich keine IS-Kämpfer mehr aufhalten.

Die Unterscheidung ist schwierig, weil die Milizen darauf achten, sich mit der Zivilbevölkerung zu vermischen. Dazu kommen die bekannten fürchterlichen Einsätze von Sprengsätzen, Autobomben und Selbstmordattentätern, mit denen sich die irakische Armee sehr schwer tut und womit der IS Propaganda macht.

Furcht vor IS-Terror mit dem Mosul-Staudamm

Mehrere Anschläge in Bagdad, die gleichermaßen auf Zivilisten wie Angehörige der Sicherheitskräfte zielen und die dem IS zugeschrieben werden, machten kenntlich, dass die IS-Milizen zwar zahlenmäßig unterlegen sind und laut einigen Berichten auch Zeichen der Schwächung zeigen, auf Mittel zurückgreifen, gegen die wenig Kraut gewachsen ist, die auf Terror setzen.

Manche Experten, die den IS zwar auf dem Rückzug sehen, befürchten denn auch, dass es den IS-Milizen, sobald sie in Mosul mit dem Rücken zur Wand stehen, die Hemmschwellen abgesenkt würden, um eine größere Katastrophe in Gang zu setzen. Angespielt wird auf eine mögliche Zerstörung des Mosul-Staudamms, was das Leben von sehr vielen Menschen gefährden würde.