Münchner Corona-Antikörper-Studie: Infektionssterblichkeitsrate ein "Vielfaches über der für saisonale Grippeinfektionen"

Sars-CoV-2. Bild: NIAID/CC BY-2.0

In der ersten Welle lag die Zahl der Infizierten viermal höher als die der positiv Getesteten. In der Gangelt-Studie war sie fünfmal höher, die Infektionssterblichkeit aber bei 0,37 Prozent, in München bei 0,76 Prozent

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Im Frühjahr war nach einer Studie die Zahl der mit Covid-19 Infizierten viermal höher als die positiv Getesteten. Das ist das Ergebnis der groß angelegten Antikörper-Studie (KoCo19) unter Leitung des Tropeninstituts der LMU. Sie war darauf angelegt, die Dunkelziffer der Infektion aus einem repräsentativ und zufällig ausgewählten Teil der Bevölkerung Münchens abzuschätzen. 5313 Münchnern über 13 Jahre wurden mehrmals über den Zeitraum von Anfang April bis Anfang Juni Blutproben entnommen und mit drei verschiedenen Tests auf Corona-Antikörper untersucht.

In der Zeit wurden offiziell 6584 positiv Infizierte in München registriert, 0,4 Prozent der Bevölkerung. "Unter Berücksichtigung des Auswahlverfahrens und der Unterschiede zwischen der Studienpopulation und der Münchner Bevölkerung" kamen die Wissenschaftler, ohne genauere Angaben in der Mitteilung zu machen, zu der Schätzung, dass bis Anfang Juni 1,8 Prozent der Münchner Bevölkerung Antikörper ausgebildet haben. Insgesamt dürften so um die 25.000 Münchner infiziert gewesen sein. Die IgG-Antikörper waren überdies noch nach Monaten unverändert nachweisbar.

Eine ähnliche Studie war unter der Leitung von Prof. Dr. Hendrik Streeck von der Uni Bonn in Gangelt sechs Wochen nach einem Massenausbruch aufgrund einer Karnevalssitzung durchgeführt worden. Hier waren 919 Teilnehmer aus 405 zufällig ausgewählten Haushalten, 15 Prozent der Bewohner, von Ende März bis Anfang April Blutproben für einen Antikörpertest entnommen worden. In Gangelt war die Zahl der Infizierten sogar fünfmal so hoch wie die der offiziell Erfassten. Gangelt war im Unterschied zu München ein Hotspot gewesen. 22 Prozent waren asymptomatisch.

"Niedrige Dunkelziffer von COVID-19 assoziierten Todesfällen"

Die Studie in München nahm es sehr genau mit der zufälligen und repräsentativen Auswahl der Teilnehmer. Zunächst wurden 100 Münchner Stimmbezirke repräsentativ ausgesucht: "Auf einer vorabfestgelegten Route schlossen die Studienteams ausgehend vom geographischen Zentrum jedes der 100 Stimmbezirke etwa 30 Haushalte ein." In Mehrfamilienhäusern wurde pro Stockwerk eine Wohnung ausgewählt. Die Haushalte wurden dann angeschrieben und um Teilnahme gebeten. Von 5320 eingeladenen Haushalten nahmen 2994 mit 5313 Bewohnern an der Studie teil. Das sei, so die Wissenschaftler "gut mit der Münchner Gesamtbevölkerung über 13 Jahren vergleichbar".

Aber eben nicht so ganz repräsentativ, da 82 Prozent der Teilnehmer in Deutschland geborene Menschen waren, in der Gesamtbevölkerung sind das aber nur 69%. Und da Unter-13-Jährige aus ethischen Gründen nicht an der Studie teilnahmen, könnte auch dies die Schätzung verfälschen. Festgestellt wurde jedenfalls, dass es bei den Teilnehmern keine Risikogruppen für eine Infektion gibt. Es gab eine leichte, aber statistisch nicht signifikante Häufung in Haushalten. Und die Wissenschaftler, sie könnten eine Kreuzreaktivität mit harmlosen Schnupfen-Coronaviren weitgehend ausschließen, weil sie sehr gering sei.

Interessant ist natürlich, welche Infektionssterblichkeitsrate (IFR) sich aus der geschätzten Dunkelziffer von Infizierten ergibt. Aufgrund der Antikörperbefunde und der offiziell gemeldeten Covid-19-Todesfällen errechneten die Wissenschaftler eine IFR von 0,76, wobei es weniger oder mehr sein können (95% Konfidenzintervall 0,59%-1,08%). Das wäre deutlich höher als bei normalen Grippewellen, die eine IFR von 0,1 Prozent oder niedriger haben (Wie gefährlich ist Covid-19 im Vergleich zur saisonalen Grippe?).

Die LMU-Wissenschaftler haben auch die Übersterblichkeit von März bis Juni analysiert. Anfang April gab es eine deutliche Übersterblichkeit, die aber schnell wieder bis Anfang Mai abfiel. Die offiziell gemeldeten Sars-CoV-2-Todesfälle schossen Mitte April in die Höhe, um bis Juni wieder auf eine normale Todesrate zurückzugehen. Für die Übersterblichkeit machen die Wissenschaftler eindeutig Covid-19 verantwortlich. Aber sie kommen zum Schluss, dass "der Vergleich von Übersterblichkeit und der registrierten Anzahl von COVID-19 assoziierten Todesfällen auf eine niedrige Dunkelziffer von COVID-19 assoziierten Todesfällen" hinweist.

Und was hat die Gangelt-Studie ergeben? Hier kamen die Wissenschaftler auf eine deutliche niedrigere IFR von 0,37 Prozent. Die Münchner Wissenschaftler sagen: "Die Sterblichkeit an COVID-19 Infektionen liegt nach unseren Daten mit knapp 1% der Personen mit Antikörperbildung um ein Vielfaches über der für saisonale Grippeinfektionen." Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass weitere Studien notwendig sind.

Und natürlich lässt sich jetzt, wo deutlich mehr getestet wird, nicht einfach sagen, dass weiterhin viermal so viele Menschen infiziert als offiziell positiv getestet sind. Die Dunkelziffer dürfte niedriger sein.