Multipolare Weltordnung: Vom Regen in die Traufe

Die USA werden als Hegemons verstärkt in Frage gestellt. Dazu trägt vor allem die nun erweiterte Brics-Gruppe bei. Warum eine multipolare Welt nicht mehr Frieden bedeutet. (Teil 1)

Eine seltene Einigkeit: Für Bundeskanzler Olaf Scholz steht sie kurz bevor. Der russische Feind sieht das auch so, der systemische Rivale China ebenfalls, und aufstrebende Staaten wie Brasilien, Indien, Südafrika plädieren unbedingt dafür – die multipolare Weltordnung kommt!

Einzig die Vereinigten Staaten von Amerika wollen davon nichts wissen. Kunststück, gegen sie, die bisherigen Inhaber der alle überragenden Weltmacht, richtet sich schließlich der Wunsch und das damit verbundene Bemühen, die Alleinstellung der USA zu erschüttern.

Von der Einigkeit der Staaten mit Ausnahme Washingtons bleibt bei näherem Hinsehen allerdings nicht viel übrig. Die Nationen haben ein sehr unterschiedliches Interesse an einer Schwächung der Weltmacht Nr. 1. In ihrem Bestreben, in der globalen Konkurrenz künftig eine gewichtigere Rolle zu spielen, kommen sie sich auch untereinander in die Quere.

Der nationale Reichtum und der Einfluss auf die anderen Länder soll sich mehren, im besten Fall mehr als bei den anderen aufmüpfigen Staaten, und vor allem auf Kosten der bisherigen amerikanischen Übermacht.

Bei Lichte besehen also eine Kampfansage. Denn die USA werden das nicht einfach so hinnehmen. Und die "Multipolaren" streiten untereinander, wer die mächtigsten zusätzlichen Pole bilden wird. Da bemühen sich China, Russland und Indien um ihre jeweils beste Stellung, was unfreundliche Akte untereinander einschließt.

Brasilien und Südafrika tarieren zwischen weiter gedeihlichen Beziehungen zum Westen und neuen Alternativen im Osten. Die zu ihrer Staatengruppe Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hinzukommenden Länder eint ebenfalls nur die Suche nach vorteilhafterem Handel und weniger einseitiger Abhängigkeit.

Die Gegensätze innerhalb der arabischen Teilnehmer (Ägypten, Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) werden dadurch nicht ausgeräumt, Argentinien wird sich weiter als Rivale Brasiliens in Südamerika verstehen. Und auch alle diese neuen Teilnehmer werden – und können auch gar nicht – ihre Beziehungen zu den Industriestaaten des Westens komplett aufkündigen.

Dass die Welt in diesem Szenario friedlicher wird als aktuell mit dem Hegemon USA, ist daher nicht anzunehmen. Schließlich läuft hier kein Schönheitswettbewerb, sondern Staaten ringen mit all ihren ökonomischen und militärischen Mitteln gegeneinander um die größtmögliche Macht.

Dann schauen wir uns mal bei den zukünftigen Polen um, was sie sich von einer neuen Weltordnung versprechen:

Mehr mächtige Staaten – und Deutschland möchte Schiedsrichter sein

Beginnen wir hierzulande: Die deutsche Regierung will, kaum überraschend, eine maßgebliche Rolle spielen. Sie erklärt allerdings nicht schlicht ihr Interesse an einer erodierenden Supermacht USA und an einem nicht allzu einflussreichen China. Sondern Bundeskanzler Olaf Scholz kleidet die deutsche Wunschvorstellung einer wachsenden Macht in der Welt in die Begriffe "Zusammenarbeit" und, auch das kaum überraschend, "Werte".

Beides hört sich einfach zu schön an. Und natürlich kommt so niemand auf die Idee, dass es sich tatsächlich um so hässliche Dinge dreht wie mehr Einfluss und Reichtum für den eigenen Laden:

Die Welt wird ja multipolar werden. Sie wird nicht, wie das immer diskutiert wird, nach dem großen Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion, der den Kalten Krieg geprägt hat, überdriften in eine Welt, die einen großen Konflikt hat zwischen den USA und China. Sondern es wird viele mächtige Nationen geben – auch in Asien – Korea, Japan, Vietnam, Indonesien, Malaysia, Thailand, Indien.

Es wird große erfolgreiche Nationen in Afrika und im Süden Amerikas geben. Und in dieser Welt für Zusammenarbeit zu werben und für die Achtung der Werte, die auch die Charta der Vereinten Nationen ausmachen, das ist meine Mission, die ich dort habe.

Olaf Scholz am 18.September 2022 im Deutschlandfunk

Scholz erwähnt Deutschland als einen der neuen Machtpole mit keiner Silbe. Vielmehr möchte er sich für die Zusammenarbeit der aufstrebenden mächtigen Nationen einsetzen sowie für die Achtung der Werte. So als wäre dieser Staat eine Art Moderator, der die aufstrebenden Länder zur Mäßigung anhielte.

Mal abgesehen von der ambitionierten Anmaßung, über die nötige Gewalt zu verfügen, den maßgeblichen Rest der Welt im Zaum zu halten: Mäßigung wobei? Wohl bei all den Konflikten, die Staaten nun einmal gegeneinander austragen, wenn es um den Erfolg ihrer Wirtschaft auf Kosten der Wirtschaft der anderen geht.

Das ist nämlich die Bedeutung von Zusammenarbeit: Wer sichert sich Rohstoffe, billige Produktionsstandorte, attraktive Absatzmärkte und günstige Lieferanten? Von wegen, da würden Staaten an irgendwie gemeinsamen Projekten arbeiten – auf dass am Ende nützliche und wertvolle Produkte entstünden, von denen alle Beteiligten gleichermaßen profitierten.

Der Bundeskanzler weiß es natürlich besser. Seine Regierung ist ja ständig auf der Welt zugange, um die bestmöglichen Bedingungen für das heimische Kapital zu schaffen. Aber die Ideologie des allseitigen Vorteils, wenn Staaten in Handelsbeziehungen eintreten, taugt einfach zu gut für die Behauptung, eine multipolare Welt wäre erstrebenswert.

Ein Funken Wahrheit steckt dennoch drin: Schließlich befindet sich Deutschland auch in Konkurrenz zu den USA. Und wenn es in dieser Hinsicht mehr Geschäft und Einfluss auf deutscher Seite gibt, weil sich die Pole verschieben und damit Alternativen zur Vorherrschaft Washingtons auftreten, warum nicht?

Andererseits, und das macht die Lage Berlins so schwierig, kann und will man nicht auf die Rückendeckung der US-Amerikaner verzichten, und ebenso wenig auf den eminent wichtigen Absatzmarkt des transatlantischen Partners.

Einen ausgewachsenen Pol, der sowohl über genügend Militär als auch über den Zugriff auf Märkte verfügt, der einen Rückgang der Geschäfte in den USA kompensierte, stellt Deutschland nun einmal in absehbarer Zeit nicht dar. Aber irgendwo innerhalb der kommenden "multipolaren Weltordnung" wird sich hoffentlich ein einträgliches Plätzchen finden lassen, hoffen die deutschen Herrschaften.

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