Musik aus geordneten Geräuschen

Seite 2: Geordnete Geräusche

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es findet sich jedoch noch ein zweites ordnendes Element in der Geschichte von Tangerine Dream - und auch in der Narration des Dokumentarfilms. Und das sind die Instrumente. Gerade die Umbrüche zwischen der psychedelisch "analog-akustischen" Musik der späten 1960er-Jahre, den oft über 20-minütigen Analog-Synthesizer-Pattern der 1970er-Jahre und den Song-artigen Digital-Synthesizer-Stücken der 1980er-Jahre bleiben für den Hörer die wichtigsten Marker der Geschichte Tangerine Dreams.

Konzerte, wie das 1980 im Palast der Republik (DDR) stattgefundene, oder zuvor die Auftritte in den Kirchen (etwa 1974 in Reims) sind bestimmt durch Improvisationen, wie sie nur mit analogen Synthesizern (Moog, EMS) und Equipments (Sequenzer, Mischpulte etc.) erreicht werden können. Solche Events sind auch aufgrund der kaum wiederholbaren Einstellungen und der "Schwankungen" in den Elektroniken der Instrumente absolut einzigartig.

Edgar Froese - Lanzarote. Bild: © Eastgate Music

Den MIDI-gesteuerten Synthesizern und den -sequenzern ab den 1980ern, die nun vor allem als Steuerungstechnologien für das Digital-Equipment einsetzbar werden, sind ganz andere Möglichkeiten geschuldet (Schulze hatte diesen Wandel auf seinem Album "Dig-it" 1980 mit dem Stück "Death of an Analogue" gefeiert) - und sie stellen daher auch ganz andere Anforderungen an Studioarbeit und die Live-Performance der Künstler. Wenn, wie Froese im Film sagt, Musik "aus geordneten Geräuschen besteht", dann hält nun eine andere Ordnung Einzug - eine, die nicht mehr nur auf die Geräusche, sondern auch auf die nicht-hörbaren Signale Einfluss nimmt.

Heute dominieren Laptops die Bühnen von Tangerine Dream ebenso wie die vieler anderer Elektronik-Musiker. Das Rhythmus-Gefühl der frühen Schlagzeug-Pattern ist nun vom Takt der Schwingquarze abgelöst worden. Um damit der Live-Musik ein unikales Element zu verleihen, das sie benötigt, um von einer Studioaufnahme unterscheidbar zu werden, performen die Musiker am Mischpult, spielen einfachere Melodie-Bögen live über eine Klaviatur ein und setzen nicht-elektrophone Instrumente wie Violinen, Schlagzeug, Flöte und anderes ein.

Schon ganz zu Beginn, 1968, hat es eine Violine auf der Bühne gegeben - von Volker Hornbach gespielt. Mit Hoshiko Yamane kehrte das Instrument 2011 zu Tangerine Dream zurück - elektronisch verfremdet "auf einer höheren Oktave" sozusagen.

Die Band, nun bestehend aus Thorsten Quaeschning, Ulrich Schnauss und Hoshiko Yamane (alle seit 2011) ist in ihren "Quantum Years" (so nennt Froese die Phase Tangerine Dreams ab 2014) angekommen und so produktiv wie eh und je. Studio-Alben werden veröffentlicht und es finden regelmäßige Live-Auftritte statt, die kleine Locations wie das Berliner Ballhaus Rixdorf ebenso füllen wie die Hamburger Elbphilharmonie. Froese ist stets mit dabei - als Konzeptgeber und Hintergrundbild in memoriam, wie, um zu begutachten, ob die Band seiner Philosophie treu geblieben ist.