Musik für die Zweite Moderne

Gespräch mit Laurie Anderson anlässlich des Erscheinens ihres neuen Albums "Life on a string"

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Nach über sieben Jahren präsentiert Laurie Anderson ein neues Album: "Life on a string". Ein überragendes Werk, das man in gewisser Weise als Alterswerk der Amerikanerin betrachten kann: Musik für die Zweite Moderne

Vielleicht greift man einfach eine Zeile des neuen Albums von Laurie Anderson heraus. Nicht irgendeine, sondern die, die als Herz erscheint, als das Zentrum, um das sich alles dreht, ein Satz, der, von der Amerikanerin gesungen, nur überraschen kann: "Actually, I can't stand all the new machines/ it's supposed to be all brand new, but it all looks the same." Ein schwarzer Engel fragt den einzigen Menschen, auf den er trifft, nach seinem Wohlergehen, und bekommt dies zur Antwort. Ein fein plazierter Ausdruck von Langeweile, der seinen Witz vor allem erst durch die musikalische Inszenierung erhält. Denn "Dark Angel", aus dem die Zeile stammt, könnte einem Musical entstammen, folgt, wie alle anderen Stücke des Albums, seiner eigenen Struktur, seiner eigenen Geschichte. Als der dunkle Engel seine Antwort gibt, schwenkt die Musik mit einem Mal um, man meint, in einem alten Jazzcafé zu sitzen und einer Swing-Band zu lauschen: "Why don't you find an old café?/And sit at a table and write something new." Und doch ist eben jene Reminiszenz an die Vergangenheit nur eine Illusion, erzeugt dank eben jener Technik, die zuvor noch als langweilig bezeichnet worden ist. Ein Paradox? Vielleicht.

Laurie Anderson: "Ich hasse Technik, ich bin ein Technophob, aber ich habe so viele Computer und benutze sie die ganze Zeit. Ich tue nicht das, was ich sage, also erschieße mich."

Wenn sich ein Thema durch das gesamte Werk der amerikanischen Künstlerin zieht, dann die Darstellung unseres von Technik durchdrungenen Zeitalters. So erwartet man auch jetzt, mit dem neuen Album, einen Kommentar zum aktuellen Stand der Dinge, hat Laurie Anderson sich doch stets, ob nun in ihren Shows und Performance, in ihrer Musik oder ihren Installationen damit befasst. Das war immer Reflexion, immer der Blick aus der Distanz. Und doch zählt eben zu diesem auch ein gewisses Maß an Affirmation, an Offenheit neuen Entwicklungen gegenüber, an fast naiver, spielerischer Anverwandlung der Technik. Und jetzt plötzlich Langeweile?

"Ich arbeite schon solange mit Technik. Inzwischen benutzt jeder das gleiche Gerät, die gleichen Programme. Und die Dinge, die dabei herauskommen, schauen alle gleich aus. Für mich ist dieser Prozess der Standardisierung das beängstigendste Phänomen, das derzeit passiert. Dahinter verbirgt sich ein großer Druck auf die Konsumenten: Solange du nicht das Größte, das Beste hast, kannst Du nicht mitmachen. Die Leute sollen zum effizienten Verbraucher gemacht werden. Das ist die Globalisierung. Alles ist überall gleich, das macht jede Erfahrungen mit Technik langweilig. Die Leute, die Technik benutzen, drücken einfach nur ein paar Knöpfe, sie können nichts verändern, nicht etwas eigenes daraus machen."

Und doch befindet sich auf ihrem Tisch eine Digitalkamera, und am Ende des Interviews geht Anderson als erstes zu ihrem Computer, um ihre Emails abzurufen.

"Technologie hat im Ganzen die Welt weniger vergnüglich gemacht. Die Menschen werden ernster und nervöser. Technologie trennt Menschen von vielem. Unsere Sinne verkümmern, unsere körperlichen Möglichkeiten verschlechtern sich, einfach, weil wir sie nicht mehr benutzen. Viele Leute lassen Dinge sein, die sie früher mochten, nur weil sie am Computer arbeiten. Technik macht süchtig. Viele Menschen wollen alles, was sie in der Welt sehen, nur noch einscannen, sammeln, in ihrem PC abspeichern. Das ist eine Krankheit. Ich hasse Technik, ich bin ein Technophob, aber ich habe so viele Computer und benutze sie die ganze Zeit. Ich tue nicht das, was ich sage, also erschieße mich."

Ein Lebensparadox, das uns alle beschreibt. Wir leiden unter der Technik, wir hassen sie, wir wollen uns von ihr lösen, weil sie unzureichend ist, uns mit Problemen überhäuft, doch wir werden sie nicht los. Wir können uns nur mit noch mehr Technik von der Technik befreien. Das ist die Geschichte, die "Dark Angel" erzählt, das ist die Geschichte, die das ganze Album' Life on a string' trägt: die Moderne wird sich ihrer eigenen Aporien bewusst.

Stück Nr. 5 ist ein Instrumental, gespielt im Trio: Laurie Anderson an der Geige, Eric Friedlander am Cello und als Bassist der Isländer Skúlie Sverrisson, der mit seinen Basslinien das ganze Album prägt. "Here with you" ist ein kammermusikalisches Intermezzo von 2'23 Länge. Laurie Anderson klingt auf einmal klassisch, hier am eindeutigsten, obgleich das Album durchgehend den Eindruck verströmt, die Amerikanerin sei zu den traditionellen, handgemachten Instrumenten zurückgekehrt. Ihr Violinspiel, früher einmal mittels Technik der menschlichen Stimme nahe gebracht, klingt nun wie Geige und ihre Stimme bleibt ihre Stimme, von einer faszinierenden Präsenz. Doch gibt es auch die digitalen Sounds, es blubbert, es zirpt, es ist nur elegant eingewoben in einen Klangteppich, aus dem sich der Ursprung des einzelnen Klanges nicht mehr herausfinden lässt. Die Grenze zwischen analog und digital ist fließend.

"Der Unterschied zwischen Natur und Technik verschwimmt zusehend. Wir sind elektromagnetische Geschöpfe, die Art, wie wir uns erinnern, ist elektromagnetisch, auch das Vergessen. Je mehr Technik wir einführen, desto mehr verstehen wir, das wir auf den gleichen Prinzipien aufgebaut sind.

Ich möchte Technik körperlich machen, mehr als alles andere, sie sinnlich, schöner machen. Die vielen Bilder, die man digital bekommt, sind hässlich, auch die ganzen Videos, die die Menschen machen. Ich möchte sinnlich und taktil sein. Dabei versuche ich, Körper und Technik als einen Traum zu benutzen. Obwohl ich immer an den technischen Aspekten interessiert war. Technologie ist Alchemie. Mit ihr kann man viele Dinge machen, wenn man lernt, sie für die eigenen Zwecke zu benutzen. Das ist der Trick dabei. Viele Menschen werden von der Technik benutzt, sie sind Sklaven."

Vielleicht ist diese Melancholie, diese Sentimentalität, die sich an manchen Stellen des Albums breit macht, auch eine Frage des Alters. Laurie Anderson ist inzwischen 53 Jahre alt, ein hohes Alter für jemanden, der einmal als die intellektuelle Leitfigur des Pop galt. Andere Themen kommen da auf, gehen einem im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut: das Älter werden, der Tod, die Endlichkeit des Lebens. "But me I'm looking/For just a single moment/so I can slip through time", heißt es im Titelsong "Life on a string", und das ist nur einer der vielen Momente, in denen auf dem Album Leben und Vergehen variiert werden.

"You'r just another speck on the horizon" heißt es an einer anderen Stelle in einem anderen Lied, und ein drittes, "Slip away" ist gar dem Tod des Vaters gewidmet: "You told me you had no idea how to die but I saw the way the light left your eyes/And after all the shocks the way the heart unlocks/ And oo you slipped away. You slipped away."

"Älter werden verändert den Blick auf alles. Man versteht viel besser, wie die Dinge funktionieren. Etwas, was mich schon immer sehr interessiert hat, waren Tabus. Das große Tabu in der amerikanischen Kultur ist der Tod. Die Filme blenden ihn aus, sie zeigen das Töten, aber nichts über den Tod. Wir sind sterblich. Doch mit der Technik, mit unserem Verlangen, alles zu kaufen, wollen wir diese Erkenntnis verdrängen."

Vielleicht macht das Alter einen konservativer. Irgendwann wird man des Neuen überdrüssig, will sich nicht noch einmal damit konfrontieren, sich öffnen für das, was da kommen mag. Das Alte reicht. Vielleicht hat Laurie Anderson deswegen keinen so besonderen Draht zum Internet, ist auf ihre Weise der Technik ihrer Zeit verbunden. Vielleicht rührt auch daher dieser gelegentliche Ton der Resignation. Oder, dies als letzte Hypothese, können wir die Welt einfach nicht mehr im Ganzen wahrnehmen:

"The world that used to seem so small/ I can't wrap my arms around it/ Now it seems really big." Und doch gibt "Life on a string" auf all das, auf Fragen nach Technik, Alter und Tod keine eindeutigen Antworten, verbirgt sich hinter einer schillernden Oberfläche, spielt mit den Hörern, führt sie auf falsche Fährten, verwischt alle Konturen. Es ist die Qualität dieses Albums, seine Altersreife, dass unter all dieser Oberfläche ein wahres Meer an musikalischen und sprachlichen Überraschungen zum Vorschein kommt. Und dass man ‚Life on a string' deshalb auch ganz anders wahrnehmen kann: als eine Handvoll wunderbarer Songs, in deren drängenden und irritierenden Klänge einen vor allem Laurie Andersons hypnotische, gelegentlich schier berauschende Stimme hineinzieht.

Laurie Anderson, "Life on a String", Nonesuch/Warner, UPC Code: 7559 - 79539-2