Muslime haben Angst vor den USA
Die US-Regierung hat mit dem Irak-Krieg nach einer internationalen Umfrage ihr Ansehen in den Keller gefahren, aber auch die Vereinten Nationen haben einen massiven Vertrauensverlust hinnehmen müssen
Möglicherweise verändern die zeitliche Distanz zum Irak-Krieg und der einigermaßen gut anlaufende Beginn der Verhandlungen über die "road map", die in einen palästinensischen Staat münden sollen, die Haltung der arabischen Menschen. Während die US-Regierung jedoch dem Völkermord im Kongo keine Beachtung schenkt und sich hier nicht an friedensschaffenden militärischen Maßnahmen beteiligen will, verschärft sie den Ton gegenüber dem Iran. Möglicherweise drängen die Falken in der amerikanischen Regierung auf einen erneuten Militärgang, zumal immer wieder betont wird, dass der Krieg gegen den internationalen (muslimischen) Terrorismus noch lange nicht beendet sei. In der arabischen Welt jedenfalls haben die Menschen nach einer Befragung des Pew Global Attitudes Project Angst vor einem militärischen Angriff der Supermacht.
Wie sich Regierungen verhalten, die ihre Macht sichern und keine unnötigen Risiken eingehen wollen, ist eine Sache der Realpolitik. Derzeit beugen sich die meisten arabischen Staaten dem Druck der USA. Das geschieht nicht unbedingt, weil es die Bürger so wollen. Schließlich gibt es keine demokratischen Staaten in der Region. Die Regierungen haben meist selbst Angst vor den muslimischen Extremisten und gehen aus Gründen der Machterhaltung, mit der sie eine demokratische Öffnung vermeiden können, zumindest nach außen hin auf die Forderungen der USA ein.
Dahinter steht sicherlich auch die Angst, dass sich die konkurrenzlose starke militärische Macht der USA gegen sie wenden könnte. Diese Angst teilen die Regierungen offenbar mit ihren Bürgern. Nach der Befragung des Pew Research Center, die vom 28. April bis zum 15. Mai in 20 Ländern durchgeführt wurde, geht nämlich die Angst vor einem Angriff der USA in den muslimischen Ländern um. Selbst über die Hälfte der Menschen in Kuwait befürchten dies, obgleich das Land enge Beziehungen zu den USA hält und der erste Krieg gegen den Irak geführt wurde, um die irakischen Besetzer zu vertreiben. Über 70 Prozent der Menschen in Indonesien, Nigeria und Pakistan befürchten einen möglichen Angriff. Und auch in der Türkei haben 71 Prozent der Befragten eine solche Angst - übrigens ebenso viele wie in Russland. Ob die eben wieder vorgeführte "Freundschaft" zwischen Putin und Bush dies verändern kann, bleibt abzusehen.
Die Angstbereitschaft in diesen Ländern ist aber allgemein höher. So ist hier auch die Furcht vor der Sars-Epidemie - wohl unbegründet - wesentlich höher als in den westlichen Ländern gewesen. Die Angstbereitschaft hängt zumindest auch mit der Regierungsform und der Medienberichterstattung zusammen. Ganz selbstverständlich gehen denn auch die meisten Menschen in den muslimischen Ländern davon aus, dass in diesen auch die westliche Demokratie eingeführt werden und funktionieren könne. Die US-Regierung hat hier ganz offensichtlich noch keinen Weg gefunden, die systemkritischen Bewegungen aufzunehmen. Vermutlich sind trotz aller anderslautenden Bekundungen die eigenen geopolitischen Interessen dafür zu stark.
Höchst unterschiedlich betrachten Westen und Osten die "Gefahr für die regionale Stabilität", die von Syrien, Nordkorea oder dem Iran ausgeht. In den westlichen Ländern sieht eine Mehrzahl der Menschen eine Gefahr in diesen Ländern, wobei Nordkorea hier im Zentrum steht, in den muslimischen Ländern ist die Mehrheit der Menschen anderer Meinung, möglicherweise würden hier die USA, hätte man gefragt, an erster Stelle stehen.
Ganz im Gegensatz zu den Treffen in Evian und in Kairo, in denen die Regierungen den schönen Schein einer Harmonie vorspielten, wurde durch den Irak-Krieg bei den Muslimen die Ablehnung gegenüber den USA größer, während die Europäer nach der Entmachtung der UN eine größere Unabhängigkeit von den USA für notwendig erachten. Das ist mit 76 Prozent bei den Franzosen am ausgeprägtesten, aber auch bei 62 Prozent der Spanier und 61 Prozent der Italiener, deren Regierungen sich an die USA anlehnten, bei 57 Prozent der Deutschen und auch bei 45 Prozent der Briten der Fall. Allerdings ist auch der Wunsch der Amerikaner, enge Verbindungen zu Frankreich oder Deutschland zu unterhalten, zurück gegangen, auch wenn noch über die Hälfte diese Meinung vertreten.
Während in den westlichen Ländern und natürlich in Israel, aber auch in Nigeria noch eine Mehrheit der Menschen hinter dem Krieg gegen den Terrorismus der Bush-Regierung steht, so ist die Zustimmung, vor allem in Frankreich und Deutschland, doch weiter zurückgegangen. In den muslimischen Ländern hingegen ist, mit Ausnahme von Nigeria, nur ein Viertel der Bevölkerung für den Krieg gegen den Terror, in Marokko sind es gar nur 10 Prozent. Das zeigt auch, dass Marokko ein guter Boden für islamische Extremisten ist, was auch die Anschläge demonstriert haben.
Enttäuscht über den mangelnden militärischen Widerstand der Iraker
Allerdings hat der zunächst erfolgreiche Krieg den USA bei den Briten oder Italienern auch Punkte eingefahren. Die Machtlosigkeit der UN trug hingegen nicht nur in den USA zu einem starken Rückgang ihres "guten Einflusses" bei. Bei den Menschen aus den USA stürzte die UN in dieser Hinsicht - wohl auch aus Enttäuschung - von 72 auf 43 Prozent ab. In Großbritannien sogar noch stärker (von 78 auf 41%), aber kaum weniger in Frankreich oder in Deutschland (von 79 auf 46%). Weniger Vertrauen in UN haben fast alle befragten Menschen, angeführt von Israel (72%), Südkorea, Jordanien, Palästina, Libanon oder Brasilien (61%). Das sind keine guten Zahlen. Sie markieren eher die Bereitschaft, sich von der Völkergemeinschaft abzuwenden und sich auf die eigenen oder die realpolitisch bekömmlichen Kräfte zu verlassen. Die UN ist ganz klar der Verlierer des Irak-Kriegs.
Die Ablehnung der USA hat in allen muslimischen Ländern zugenommen. Bin Ladin ist in vielen durchaus hoch angesehen. Viele Menschen denken, dass er richtig handelt. In Indonesien ist die Wertschätzung der USA von 61 im Jahr 2002 auf jetzt 15 Prozent oder in Nigeria von 72 auf 38 Prozent abgefallen. Über 80 Prozent der Menschen in Marokko, Jordanien, Libanon, Türkei, Indonesien, Palästina oder Pakistan sind enttäuscht über den mangelnden militärischen Widerstand des Irak. In den Ländern, die den Irak-Krieg verhindern wollten, stehen die meisten Menschen weiterhin hinter der Entscheidung ihrer Regierungen, in den Pro-Kriegs-Ländern ist hingegen nach dem Sieg die Stimmung vorerst umgeschwenkt - abgesehen von Spanien. Gleichwohl gehen die meisten davon aus, dass es den Menschen im Irak nach dem Sturz von Hussein besser gehen wird.
Was den Nahost-Konflikt angeht, so gehen, abgesehen von den USA, die meisten Befragten davon aus, dass die US-Regierung Israel zu sehr bevorzugt. Das sagen sogar 47 Prozent der Israelis! Die Mehrzahl der Menschen der westlichen Länder und Israels geht davon aus, dass ein israelischer und ein palästinensischer Staat friedlich koexistieren könnten. Das sieht in den arabischen Ländern allerdings anders aus. 90 Prozent der Marokkaner, 85 Prozent der Jordanier oder 80 Prozent der Palästinenser gehen nicht davon aus, allerdings hoffen über 60 Prozent der in Israel lebenden Araber auf eine friedliche Koexistenz - wohl zwangsweise.
Schizophrenie: Globalisierung wird begrüßt, aber gleichzeitig hat man Angst vor zu starken Einflüssen von außen
Das gefallene Ansehen der USA verdankt sich überwiegend der Bush-Regierung. Die Meisten der Befragten unterscheiden zwischen "Bush" und "Amerika". So sind denn auch viele der "Werte", die die USA vertritt wie Globalisierung, Marktwirtschaft oder Demokratie durchaus erwünscht. Globalisierung wird begrüßt, hat aber für viele persönlich negative Folgen. Auch wenn viele davon ausgehen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich zugenommen hat, so machen nur wenige dafür die Globalisierung verantwortlich.
Englischkenntnisse werden von den Meisten als notwendig erachtet. Vor allem die jungen Menschen begrüßen "Kulturimporte". In den meisten muslimischen Ländern wollen die Menschen aber gleichzeitig, dass die Religion und die religiösen Führer eine größere Rolle spielen sollen. Viele glauben - mit Jordanien (97%) und Palästina (91%) an der Spitze -, dass der Islam bedroht sei, sehen jedoch auch eine wachsende Solidarität unter den muslimischen Ländern: Zeichen für den Kampf der Kulturen? Dafür spräche auch, dass auch in den westlichen Ländern eine Mehrzahl der Menschen sagt, dass die jeweils eigene Lebensführung von Einflüssen von außen geschützt werden müsse, z. B. in Italien 68%, in den USA 64%, in Frankreich 53% oder in Großbritannien und Deutschland jeweils 51%. In arabischen Länder ist diese Abschottungstendenz noch stärker, mit der Türkei (89%), Indonesien (87%) und Ägypten (85%) an der Spitze. Nicht viel anders sieht es in den lateinamerikanischen oder afrikanischen Ländern aus. Einig sind sich allerdings die Menschen in den USA mit denen in muslimischen Ländern, dass der Glaube an Gott notwendig sei, um moralisch zu handeln.
Wie sich die Berichterstattung unterscheiden kann, zeigt sehr schön die Darstellung der Studie in verschiedenen Medien. Während die New York Times titelt: World's View of U.S. Sours After Iraq War, Poll Finds oder die Washington Post Arab Hostility Toward U.S. Growing, Poll Finds schreibt, will man in der konservativen und Pro-Bush Washington Times für ein beruhigenderes Bild sorgen: American way of life has fans all around the world. Es gäbe nur einige "pockets of hostility", eben in den muslimischen Ländern.