Muslimische Geistliche bezeichnen Taktik der Taliban als "haram"

Pakistan: Ungereimtheiten in der Berichterstattung; die Regierung braucht die Unterstützung religiöser Führer für ihre Militäroffensive

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Die pakistanische Regierung hat die Unterstützung der Öffentlichkeit im Augenblick sehr nötig. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die gegenwärtig laufende militärische Offensive gegen die Taliban im Swat-Tal und darüber hinaus von den USA mit ziemlichem politischen Druck angeschoben wurde. Dass auf Geheiß der westlichen Supermacht Pakistaner auf Pakistaner schießen, Muslime auf Muslime, ist in der islamischen Republik nicht leicht zu vermitteln. Das anti-amerikanische Sentiment, das seinen Höhepunkt zu Zeiten der Partnerschaft Bush-Musharraf hatte, ist noch immer wach.

So ist die Botschaft der "religiösen Führer und Gelehrten in Pakistan", die wie McClatchy-Journalisten (McClatchy ist Nachfolger von Knight Ridder, die sich durch sehr gute Berichterstattung aus dem Irak auszeichneten) berichten, „Taktiken der Taliban“ verurteilen und den Feldzug der pakistanischen Militärs gegen die Taliban gutheißen, eine willkommene Botschaft, die in die ganze, und ganz besonders in die muslimische, Welt hinaus soll.

Doch trapst die Nachtigall in der guten Nachricht vom "bedeutenden Schub" für den militärischen Einsatz gegen die Taliban im Swat-Tal so laut wie ein Elefant im Porzellanladen. Und das nicht nur, weil eine der Konferenzen der islamischen Gelehrten, aus der die Unterstützerbotschaft stammt, vom pakistanischen Staat bezahlt wurde. Sondern auch wegen der inhaltlichen Aussage, die übermittelt wird. So heißt es im Artikel der McClatchy-Korrespondenten Saeed Shah und Margaret Talev, dass die Ulema-Konferenz am Dienstag "Selbstmord-Attentate und Köpfen" als "haram", als „verboten“ bezeichnet habe. Dieses Urteil über solche Taktiken ist an sich nicht neu: Schon in den frühen Jahren des Irak-Kriegs, als solche Gräueltaten täglich begangen wurden, taten sich immer wieder muslimische Rechtsgelehrte mit Urteilen hervor, die solche Praktiken deutlich als unvereinbar mit dem Geist und den Gesetzen des Islams erklärt haben.

Neu ist allerdings, dass, wie in dem Artikel herausgestellt wird, "Selbstmord-Attentate und Köpfen" die Vorgehensweise der Taliban kennzeichnen, als "Taliban's favoured tactics". Ohne die Taliban damit zu verharmlosen - erinnert sei hier an die gut dokumentierten öffentlichen Hinrichtungen der Taliban in Kabul, um keine Trugbilder aufzubauen -, aber „Selbstmordattentate und Köpfen“ gehört eher zum Arsenal islamistischer Dschihadisten, die sie damit zum ersten Mal für die weltweite Öffentlichkeit im Irak hervorgetan haben.

Zwar war in den vergangenen Wochen in Meldungen aus dem Swat-Tal auch von Selbstmordattentaten die Rede, und vor kurzem gab es auch Nachrichten, die den Tod von Regierungsbeamten meldeten, die enthauptet worden waren, aber das hvermittelte eher den Eindruck von Einzelfällen - und stichhaltige Beweise, dass diese von Taliban verübt wurden, gibt es bislang nicht. So liegt der Verdacht genauso nah, dass man auf dem Wege einer bestimmten Nachrichtenvermittlung versucht, die Verknüpfung von Taliban zu den Dschihadisten von al-Qaida zu verstärken. Je mehr es der pakistanischen Regierung gelingt, den Kampf gegen die Militanten im Swat und in den angrenzenden Gebieten der Unruheregion mit dem Kampf gegen al-Qaida zu identifizieren, umso leichter erscheint es ihr, die Unterstützung der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

Das ist umso dringlicher, als sich die Opfer der schon länger andauernden Militäroffensive deutlicher ins öffentliche Bewusstsein spielen als etwaige Erfolge des Vorgehens. Den 1057 Terroristen, die das Militär nach eigenen Angaben bislang im Swat-Tal getötet hat, stehen eine unbekannte Zahl ziviler Toter und mehrere hundertausende Flüchtlinge (insgesamt sollen es in der ganzen Region über 1,5 Millionen sein) und ein Versorgungsnotstand größeren Ausmaßes gegenüber. Die bekannten Namen aus der Taliban-Herrscher-Riege im Swat, Maulana Fazlullah und Muslim Khan, wurden bislang nicht gefasst; seit Tagen heißt es, dass sich die Armee auf einen schwierigen und verlustreichen Häuserkampf gefasst macht. „Die Binnenflüchtlinge werden zum Lackmustest für uns“, wird ein früherer afghanischer Minister im McClatchy-Bericht zitiert, wenn ihnen nicht ausreichend geholfen würde, dann würden sie „innerhalb von zwei Monaten zu unseren Feinden werden“.

Das ist augenscheinlich auch den Mitgliedern der amerikanischen Regierung klar, Außenministerin Clinton kündigte ein erweitertes Hilfspaket an, Zelte, Notstromgeneratoren und 110 Millionen Dollar. Man demonstriere damit, so die New York Times, ein Bewußtsein für das Ausmaß der sich verstärkenden humanitären Krise und ein wachsendes Vertrauen in amerikanischen Regierungskreisen in die Bemühungen Pakistans, die Taliban zu bekämpfen.

Die pakistanische Regierung, die auch den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung braucht, tut ihr Bestes, um den bekannten Spagat zu vollziehen. So ist es kaum verwunderlich, wenn man bemüht ist, sich die richtigen Botschaften von der religiösen Elite zu holen und wenn nötig, den richtigen Spin dazu zu geben. So bleiben Äußerungen der Konferenzteilnehmer im Hintergrund, die eindeutig bedeuten, dass man abgesehen von den Brutalitäten der Taliban mit anderen wichtigen Grundtendenzen und -taktiken ganz einverstanden ist, so zum Beispiel mit deren frühmittelalterlicher Auffassung von der Rolle der Frauen.

Anzufügen wäre noch, dass Konferenzteilnehmer laut Bericht auf die Gründung und Unterstützung von Mudschahedin-Gruppen in den frühen 1980er Jahren durch den von den USA protegierten Diktator Zia-ul-Huq verwiesen und die derzeitigen Probleme als Erbe der „damaligen Saat“ verstanden haben wollen, dies deckt sich mit Aussagen, die der Gouverneur der pakistanischen Nord-West-Grenzprovinz (NWFP), Owais Ahmed Ghani vor kurzem in einem Interview getätigt hat. Auch er spricht von einer „nicht-intendierten Konsequenz aus dem damaligen Konflikt“, der im Zusammenhang mit der Reaktion auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 entstanden sei. Ghani hütet sich vor dem Gebrauch des derzeit üblichen Terror-Sammelbegriffs „Taliban“.

Das große Problem sind in seiner Analyse die seit den 80er Jahren entstandenen "Zwischenspieler", die sich in das zuvor bestehende Machtarrangement zwischen Regierung und Stämmen gedrängt haben: Dutzende von militanten Gruppen, deren Ursprung und Förderung auf den Dschihad gegen die Sowjetununion zurückgehe. Sie seien geblieben und wurden weiterhin großzügig mit Geld und Waffen ausgestattet. So sehr, dass sie die traditionellen Lokalchefs, die Maliks, bald aus deren angestammten Machtpositionen verdrängt hätten - "out-gunned, out-funded" und "out-organized", da die militanten Gruppen über die Jahre eine Organisationsform entwickelt haben, die nicht an eine lokale Basis gebunden ist (siehe auch Die Nuklearwaffen sind sicher und Osama bin Laden tot).