Muss Bouffier im NSU-Prozess aussagen?

Der hessische Ministerpräsident soll nach dem Willen der Opferanwälte Klarheit in die Merkwürdigkeiten um den Verfassungsschützer Andreas T. bringen

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In der Bundesrepublik Deutschland gibt es 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfVs). Manche davon haben einen eher seriösen Ruf - und manche einen eher zweifelhaften. Zu letzteren zählen die in Thüringen und Hessen.

In Thüringen kam der schillernde Ex-Amtsvorsteher Helmut Roewer nach eigenen Angaben 1994 an den Posten, nachdem ihm ein Unbekannter eine Ernennungsurkunde in die Tasche steckte, als er betrunken war. Roewer, der sich gerne als Erich Ludendorff und Walther Rathenau verkleidete, musste nach sechs Jahren im Zuge einer Veruntreuungsaffäre seinen Hut nehmen; sein Nachfolger Thomas Sippel ging 2012 wegen der NSU-Affäre in den vorzeitigen Ruhestand.

Mit dieser NSU-Affäre hängt auch das Imageproblem des hessischen Verfassungsschutzes zusammen. Als am 6. April 2006 zwischen 16 Uhr 54 und 17 Uhr 02 der Internetcafébetreiber Halit Yozgat erschossen wurde, war nämlich der hessische LfV-Mitarbeiter Andreas T. anwesend, wie später durch Spuren herauskam, die er an einem Computer hinterließ. T. war nach eigenen Angaben in ein Datingportal vertieft und bekam deshalb nichts von dem Mord mit. Anders als die vier anderen Kunden, die zum Tatzeitpunk im Internetcafé surften, erinnert er sich auch an keine Knallgeräusche.

Den Logfiles nach, die um 17 Uhr 01 und 40 Sekunden enden, verließ T. den Tatort kurz bevor Halit Yozgats Vater um 17 Uhr 03 die Leiche fand. Vorher legte er ein 50-Cent-Stück auf den Tresen, ohne sich darum zu kümmern, wo der Betreiber steckt. Die Blutspritzer dort fielen ihm angeblich nicht auf. Später habe er sich nicht erinnert, zum Tatzeitpunkt in diesem Internetcafé gewesen zu sein. Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass er sich nicht als Zeuge bei der Polizei meldete. Einem später bei ihm sichergestellten Parkschein zufolge war er am Tag danach noch einmal in der Nähe des Tatorts. Doch auch daran kann sich T. nicht mehr erinnern und meint, der Parkschein stamme vielleicht aus einem der Jahre davor.

Volker Bouffier. Foto: Alexander Kurz. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Der "Quellenführer", der beim Verfassungsschutz V-Leute betreute, kam den Ermittlungsbehörden noch merkwürdiger vor, nachdem sie bei ihm zuhause ein Buch über Serienmorde und Auszüge aus Adolf Hitlers Mein Kampf fanden, die er mit der Schreibmaschine abgeschrieben hatte - und nachdem herauskam, dass man ihn am Ort "Klein Adolf" nennt. Deshalb wollten sie gerne mehr zu den V-Leuten wissen, die T. betreute - aber der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier erteilte keine Aussagegenehmigung.

Nun stellten die Anwälte der Familie des Ermordeten einen Beweisantrag, mit dem sie Bouffier selbst zur Aussage zwingen wollen. Aufgrund von merkwürdigen Äußerungen in abgehörten Telefongesprächen T.s aus der Zeit zwischen dem 19. April und dem 23. September 2006 hegen sie nämlich den Verdacht, dass T. (und möglicherweise auch dessen Vorgesetzte) von der geplanten Tat gewusst haben könnten. So meinte beispielsweise ein Geheimschutzbeauftragter des hessischen LfV am 9. Mai 2006 telefonisch gegenüber T.:

Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, dann bitte nicht vorbeifahren.

Von einem bevorstehenden "Ereignis" im Internetcafé erfahren haben könnte T. beispielsweise in einem Telefonat mit einen Neonazi-V-Mann aus der Gegend von Kassel, mit dem er am Tattag um 16 Uhr 11 sprach - kurz bevor er sich auf dem Weg ins Internetcafé machte. Einer Liste des Generalbundesanwalts zufolge zählt dieser V-Mann zum Kreis der möglichen Unterstützer von Böhnhardt und Mundlos.

Sollte T. von einem "Ereignis" im Internetcafé erfahren haben, dann heißt das allerdings nicht zwangsläufig, dass er wusste, dass es dabei um einen Mord geht. In der Plasktiktüte, die er anderen Zeugen zufolge am 6. April 2006 mit sich führte, soll sich ein eckiger Gegenstand befunden haben. Ein Aufnahmegerät, mit dem er etwas dokumentieren wollte?

T. selbst streitet bislang ab, dass er an dem Tag eine Plastiktüte dabei hatte. Die Anwälte der Nebenkläger wollen deshalb einen heimlichen Telefonmitschnitt verwerten, in dem seine Ehefrau gegenüber einer Freundin indirekt einräumen soll, dass das nicht stimmt.

T.s Telefongesprächspartner aus dem Landesamt für Verfassungsschutz sollen nun als Zeugen vorgeladen werden und erläutern, was sie meinten, als die dem verdächtigten Mitarbeiter beispielsweise rieten, er solle die Ereignisse "aus übergeordneter Warte" erzählen, "so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben", problematischen Fragen ausweichen und Erklärungsversuche vermeiden. Ratschläge, an die sich T. bislang auch beim NSU-Prozess in München hielt. Außerdem sollen die Verfassungsschutzmitarbeiter erklären, warum sie sich nicht wunderten, dass T. ihnen gegenüber niemals beteuerte, er habe mit dem Mordfall nichts zu tun.

Aber auch Bouffiers Verhalten finden die Anwälte merkwürdig: Warum sagte der damalige Innenministerin einer Innenausschuss-Sitzung vom 17. Juli 2006, er habe erst aus der Zeitung vom damaligen Tatverdacht gegen T. erfahren, wenn man ihn der Staatsanwaltschaft Kassel zufolge bereits am 12. Juli 2006 darüber informierte? Warum meinte er damals, T. sei "unschuldig", obwohl ihm keine Ermittlungsakte vorlag? Und warum setzte er sich einem Protokoll nach dafür ein, dass T. durch seine Entfernung aus dem Verfassungsschutz keine finanziellen Nachteile erleidet? Hatte er Angst, dass der Mitarbeiter auspackt?

Aus der hessischen Staatskanzlei heißt es dazu, der Ministerpräsident habe das, was er zum Fall T. weiß, bereits dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mitgeteilt. Eine Auskunft, die nicht erwarten lässt, dass sich Bouffier in München an mehr erinnert als in Berlin.

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