Mut zum Antisemitismus

Jürgen Elsässer, Chefredakteur von Compact, auf einer Veranstaltung bei Legida. Nicht rechts, nicht links, sondern völkische Querfront. Bild: Alexander Böhm/CC-BY-SA-4.0

Ein Hintergrundgespräch zur Querfront-Zeitschrift Compact

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Jürgen Elsässers Zeitschrift "Compact" soll laut Unterzeile ein "Magazin für Souveränität" sein. So steht bereits auf dem Titelblatt eine wichtige Chiffre rechter Verschwörungsideologien: Das "Volk" sei nicht souverän und werde fremdbestimmt. Und wer die Deutschen ins Unglück führt, wird in ziemlich jeder Ausgabe wiederholt, als müsste man den eigenen Leserkreis noch konditionieren. An erster Stelle stehen die "Besatzer", die regelmäßig mit "Ami go home" bedacht werden. "Wir sind ein Militärprotektorat und eine Wirtschaftskolonie der USA. TTIP ist der Versailler Vertrag des 21. Jahrhunderts. Die neue NS-Diktatur ist die NSA-Diktatur."

Und auch kaum eine Ausgabe kommt ohne die Relativierung des Nationalsozialismus aus. Compact will die Stimme des "Volkes" sein, ist aber völkische Stimmungsmache. Laut Selbstbeschreibung ist Compact "ein einzigartiges publizistisches Experiment, weil es demokratische Linke und demokratische Rechte, Moslems und Islamkritiker im offenen Dialog zusammenbringt". Der offene Dialog entpuppt sich jedoch als Hetze und Demagogie. Dabei scheinen die Pseudo-Elitenkritik eines Donald Trump, Verschwörungstheorien unter dem Deckmantel des "ehrlichen Journalismus" und der Antisemitismus die verbindenden Elemente zu sein.

"Wer den Begriff 'Konzentrationslager' auf die deutsche Vergangenheit beschränkt, wird die Realität von Abu Ghraib und Guantanamo nicht beschreiben können", heißt es in Compact. "Wer vom 'Zionismus' nicht reden darf, muss auch vom Faschismus schweigen." Elsässer, der Mitgründer der "Volksinitiative gegen das Finanzkapital", mag hierin keinen Antisemitismus sehen. Und auch deutsche Gerichte tun sich zunehmend schwer damit, Antisemiten in Deutschland zu entdecken.

Die beiden Soziologen Kevin Culina und Jonas Fedders analysieren die Bedeutung des Antisemitismus in der Zeitschrift Compact. Ihr Buch "Im Feindbild vereint" ist vor kurzem erschienen. Telepolis hat ein Hintergrundgespräch zu Querfront, Antisemitismus, Nationalismus, Demokratie und Kapitalismuskritik mit den beiden Autoren geführt.

Was hat euch motiviert, euch mit Elsässers Compact intensiver auseinanderzusetzen?
Jonas Fedders: Die Idee, dieses Buch zu schreiben, gründet wesentlich in dem Unverständnis über eine Entscheidung des Münchner Landgerichts: Die Publizistin Jutta Ditfurth hatte den Chefredakteur der Compact, Jürgen Elsässer, mit Bezug auf seine Aktivitäten bei den Montagsmahnwachen im Rahmen eines Fernsehgesprächs als "glühenden Antisemiten" bezeichnet. Elsässer verklagte Ditfurth daraufhin auf Unterlassung. Und obwohl Ditfurth dem Gericht einige Beweise vorlegte, die ihre politische Einschätzung von Elsässer aus unserer Sicht durchaus nachvollziehbar und plausibel machten, verlor sie den Prozess. Sie durfte also ihre Äußerung nicht wiederholen, weil es laut Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte für antisemitische Einstellungen von Elsässer gäbe.
Die Vorsitzende Richterin fiel damals während der mündlichen Verhandlung durch eine denkwürdige Aussage auf: "Ein glühender Antisemit ist, denke ich, nach heutigem Verständnis jeder, der sich mit Überzeugung antisemitisch äußert und das Dritte Reich und die Judenverfolgung nicht verurteilt." Das ist natürlich eine absurd eng gefasste Definition, die mit dem Stand der aktuellen Antisemitismusforschung keineswegs mithält und die - wenn sie denn Schule machen sollte - Deutschland auf einen Schlag von einem Großteil seiner Antisemiten befreien würde.
Auch die Berufung von Ditfurth gegen das Urteil wurde abgewiesen, mittlerweile liegt der Fall deshalb beim Bundesverfassungsgericht. Weil es zu dem Thema also offenbar noch Aufklärungsbedarf gibt, haben wir diese juristische Auseinandersetzung seit dem Frühjahr 2015 zum Anlass genommen, uns vor dem Hintergrund eines sozialwissenschaftlich fundierten Antisemitismusbegriffs intensiv mit den Artikeln der Compact auseinanderzusetzen.
Antisemitische Nazi-Propaganda etwa 1938. Churchill wird als von den Juden gesteuerter Krake dargestellt, der den gesamten Globus umgreift. Bild: Seppla (Josef Plank)/ Library of Congress/USHMM Photo Archives
Auch die Begründung des Oberlandesgerichts München zur Ablehnung der Berufung hat es in sich. So sei die mit dem Begriff "glühend" "unmissverständlich die Intensität des Antisemitismus des Klägers" umschrieben. Was darauf schließen lasse, dass der Antisemitismus Elsässers ausgeprägter sei als der anderer Antisemiten. Dafür sehe man aber keine Anhaltspunkte, vielmehr habe die Bezeichnung "glühender Antisemit" eine "starke Prangerwirkung", die dazu geeignet sei, das Ansehen Elsässers herabzusetzen. Man fragt sich unwillkürlich von welchem Ansehen das OLG ausgeht.
Kevin Culina: Deshalb war es für uns auch wichtig, fundierte Kritik zu formulieren. Wir haben dann begonnen, sämtliche Ausgaben der Compact, die zu diesem Zeitpunkt erschienen waren, zu lesen und Antisemitisches zu markieren. Zwar waren wir uns im Vorfeld durchaus bewusst, dass solche Textstellen vorkommen werden, über die Menge an antisemitischen Codes und Chiffren waren wir dennoch überrascht - denn diese bilden in der Zeitschrift tatsächlich den ideologischen Rahmen.
Jeder Konflikt, ob es um die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001, den Präsidentschaftswahlkampf in den USA oder um aktuelle Konflikte in Syrien geht: Alles erscheint in einem vorgegebenen Muster aus einer ungreifbaren, elitären Macht auf der einen und den beherrschten "Völkern" der Welt auf der anderen Seite. Nicht nur dieses Bild ist für den Antisemitismus üblich, Compact erklärt auch, wer zu den "Schuldigen" gehört, nicht selten sind es Banken sowie (pro-)israelische Politikerinnen und Politiker und Interessenverbände.
Die verschiedenen antisemitischen Argumentationsmuster haben wir anschließend in vier Kategorien unterteilt, um sie erklären und entschlüsseln zu können: in Form von Verschwörungsdenken, verkürzter Kapitalismuskritik und strukturellem Antisemitismus, israelbezogenem Antisemitismus und obsessivem Antizionismus sowie sekundärem Antisemitismus. Eine Unterteilung war in Teilen schwierig, da diese Motive und Bilder aufeinander aufbauen, sich ergänzen und oftmals im Zusammenspiel ihren antisemitischen Charakter vollends entfalten.
Elsässer verkauft Compact als Organ der letzten redlichen und aufrechten Deutschen: "Lesen, was andere nicht zu schreiben wagen." Und mit dem "Mut zur Wahrheit" immer im Kampf gegen Meinungsdiktatur und linken Mainstream. Besonders beeindruckend ist, dass sich Compact als "ehrlicher Journalismus" in Zeiten der "Lügenpresse" verkaufen kann. Dabei wird kaum irgendwo mehr unbelegter Unsinn produziert als bei Compact selbst.
Ein Kernelement des Magazins sind dabei Verschwörungstheorien. Und hier geht es nicht darum, dass es reale Verschwörungen gibt oder dass etablierte Medien bei der Berichterstattung über Herrschaftsverhältnisse und Staatsverbrechen versagen. Hier geht es um die Produktion von Gerüchten und Lügen. Dadurch kann sich Elsässer als Widerständler gegen "Gleichschaltung" und "Zensur" aufspielen. Schließlich würde er sich trauen, die Wahrheiten zu verkünden.
Dabei gibt es kein Thema, das nicht verschwörungstheoretisch umgedeutet wird. Schutzsuchende Menschen werden zur "Migrationswaffe", die rechtsextremistische Terrortruppe um den NSU wird zu einer Geheimdienstoperation von NATO oder Türkei und selbstverständlich gibt es einen Plan zum "Bevölkerungsaustausch" der Deutschen, vom "Genozid in Gaza" ganz zu schweigen. Auch bei eurer Analyse der antisemitischen Argumentationsmuster spielt Verschwörungsdenken eine zentrale Rolle.
Jonas Fedders: Ja, ich denke, das liegt ganz einfach an der Beschaffenheit beider Phänomene. Antisemitische Ressentiments und Verschwörungstheorien sind eng miteinander verwoben. Ein zentrales Element des modernen Antisemitismus ist das Phantasma einer "jüdischen Weltverschwörung", die für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht wird. Der moderne Antisemitismus ist also immer auch ein verschwörungsideologischer Antisemitismus.
Gleichzeitig transportieren Verschwörungstheorien stets die Vorstellung von einer kleinen aber machtvollen Minderheit, die im Geheimen und in feindlicher Absicht gegen die Mehrheitsgesellschaft agiere. Das ist eine Anschuldigung, die in dieser Form historisch betrachtet ausschließlich Jüdinnen und Juden gemacht wurde. Insofern greifen Verschwörungstheorien objektiv selbst dann auf antisemitische Bilder zurück, wenn sie sich nicht explizit gegen eine "jüdische Elite" richten.
Kevin Culina: Und dieses Motiv der verborgenen Verschwörung mit dichotomer Aufteilung in Gut und Böse ist das grundlegende Merkmal aller Texte in der Compact. Deshalb kann ihre inhaltliche Ausrichtung vor allem als verschwörungsideologisch bezeichnet werden. Doch es bleibt nicht bei einer strukturellen Ähnlichkeit zum Antisemitismus: Die "Bösen" werden zumeist in Banken, in den USA oder Israel behauptet. Das heißt, dass die antisemitische Struktur eben auch mit antisemitisch konnotierten Personen oder Institutionen gefüllt wird.
Anhand eines Beispiels wird dies deutlich. Hinter der US-Regierung behauptet die Compact vor allem (pro)israelische Gruppen. Diese benutzen ihre vermeintliche Macht dazu, politische Geschehnisse und Personal zu regulieren. Die Compact schreibt: "Die Kriegspartei in Israel rast. Deren Tentakel reichen bis ins Pentagon, bis in die US-Geheimdienste." Neben der Darstellung Israels als wirklichen Machthaber in Washington wird sich der im Antisemitismus seit langer Zeit üblichen Kraken-Metapher bedient. So vermengen sich verschwörungsideologische Behauptungen mit konkret antisemitischen Bildern.
Die Selbstbezeichnung der Compact als Alternative zur "Lügenpresse" trifft derzeit einen Nerv und schlägt aus den Protesten der letzten Jahre - seien es die Montagsmahnwachen oder Pegida, die sich beide gegen eine behauptete gezielte Täuschung durch die Herrschenden zur Wehr zu setzen meinen - großen politischen und auch ökonomischen Profit. Letztlich ist das Bild der "lügenden Medien" auch ein antisemitisches, schließlich wird Jüdinnen und Juden seit jeher der Vorwurf gemacht, die Öffentlichkeit täuschen zu wollen und dafür in intellektuelle Berufe zu drängen. Darüber hinaus ist gerade die Suche vieler Menschen nach einem "Journalismus", der die eigenen Ressentiments und Vorurteile bedient und aufgreift hier zu nennen. Compact erklärt sämtliche politische und ökonomische Ereignisse sehr ähnlich, es fallen regelmäßig dieselben Namen von vermeintlich Schuldigen. Während die "Mainstreammedien" dieses Bedürfnis offenbar nicht ausreichend befriedigen können, hat sich das große Publikum nun der wachsenden Branche sogenannter "alternativer Medien" zugewandt.

Von Antikapitalismus und Antisemitismus

Wie grenzt man hier legitime Herrschaftskritik, die ja auch immer eine Kritik einer Mehrheit gegen eine Minderheit ist, ab? Zwar verspricht das Ideal der Demokratie die "Volksherrschaft", aber das Reale der Demokratie ist nicht erst seit Colin Crouchs "Postdemokratie" die Machtausübung weniger über viele und zwar illegitim. Ob nun Lobbyisten oder Netzwerke aus Wirtschaft, Medien oder Militär, alle versuchen mehr oder weniger offen Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Auch gibt es seit Jahren eine breite Diskussion über den Qualitätsverlust etablierter Medien. Vor allem wenn das Diktum Niklas Luhmanns mitgedacht wird: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Ist eine Kritik an den Medien, und sei sie noch so unreflektiert und emotional vorgebracht wie der Vorwurf der "Lügenmedien", per se antisemitisch konnotiert?
Jonas Fedders: Natürlich beinhaltet eine antikapitalistische Herrschaftskritik die Kritik an einer gesellschaftlichen Minderheit, nämlich an denjenigen, die die Produktionsmittel besitzen und auf diese Weise in der Lage sind, sich den gesellschaftlichen Reichtum anzueignen. Diese Personen werden aber aufgrund ihrer gesellschaftlichen Funktion ins Visier genommen, sie sind als "Charaktermasken", wie Marx es formuliert hat, nur die personifizierten Repräsentanten eines gesellschaftlichen Verhältnisses, das im Grunde apersonal funktioniert.
Vereinfacht gesagt: Es ist egal, wer die Funktion des Kapitalisten inne hat - das Problem ist die Funktionsweise der Tauschgesellschaft, die ohne die Aufspaltung in Kapitalisten und Lohnarbeiter nicht funktionieren würde. Dass unsere Gesellschaft auch heute noch durch den Klassenwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital gekennzeichnet ist, wird von vielen, die wüst gegen "die da oben" schimpfen, schlicht ignoriert oder sogar geleugnet. Und dann ist es doch keine Herrschaftskritik, wenn man sich hinstellt wie Elsässer und sagt: Hier stehen die 99 Prozent der Ehrlichen und Arbeitenden und auf der anderen Seite das eine Prozent der "internationalen Finanzoligarchie".
Die Logik dabei ist: Wenn man diese wenigen Leute bekämpft, dieses eine Prozent, dann ist alles gut. Dann gibt es keine Ausbeutung und keine Herrschaft mehr. Die Funktionsweisen der kapitalistischen Vergesellschaftung bleiben dabei unbegriffen. Und wenn dann diese "kleine Elite" auch noch explizit mit Namen von bestimmten Familien beschrieben wird, die in der antisemitischen Propaganda als Signifikanten für reiche, einflussreiche und jüdische Familien fungieren, dann greift das auf das antisemitische Klischee vom "Finanzjudentum" zurück. Das Gerede von den "99 Prozent" gegen die "kleine Elite" ist aber auch deshalb keine Herrschaftskritik, weil dadurch andere Herrschaftsverhältnisse innerhalb dieser 99 Prozent, zum Beispiel entlang von rassistischen oder sexistischen Kriterien, unsichtbar gemacht werden.
Kevin Culina: Genau hier findet sich dann auch der Anknüpfungspunkt für das Antisemitische: Anstatt die gesellschaftliche Konstitution in Klassen zu analysieren und zu kritisieren, wird auf eine vermeintlich "natürliche Ordnung" verwiesen. Das "Volk" solle sich von den "Ausbeutenden", die sich durch künstlich geschaffene Arbeit an der Gesellschaft bereichern, befreien.
All diese Anklagen, Menschen würden sich von außen und trickreich an der "ehrlichen Arbeit" des "Volkes" bedienen, wurden historisch immer Jüdinnen und Juden gemacht. Das "Böse" aus der Gesellschaft heraus zu externalisieren und als "künstlich" und "parasitär" abzuwerten, ist fester Bestandteil der völkischen Ideologie. Und damit dient sie in erster Linie dem Antisemitismus. Der Ruf nach mehr Nation und "freien Völkern" ist somit vor allem "konformistische Rebellion" und radikalisiert die kapitalistischen Verhältnisse lediglich. Eine befreite Gesellschaft ist so nicht zu haben, das Gegenteil ist der Fall.
Jonas Fedders: Selbstverständlich ist es vehement zu kritisieren, dass Akteure aus der Wirtschaft oder dem Militär mithilfe des Lobbyismus auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen versuchen. Aber ich halte es auch für eine Illusion, dass es möglich sei, die Herausbildung von Lobbygruppen innerhalb des Kapitalismus zu verhindern.
Ich traue Crouchs These von der "Postdemokratie" ehrlich gesagt auch nicht so richtig über den Weg. Natürlich sind diese Phänomene, die er beschreibt, zu beobachten. Aber Crouch behauptet, während des fordistischen Klassenkompromisses habe die Demokratie gedeihen können und, parabelförmig gesprochen, ihren Höhepunkt gehabt. Über genau diese angebliche "Blütezeit" der Demokratie hat Herbert Marcuse in den 1960er seine Studien zur eindimensionalen Gesellschaft vorgelegt.
Marcuse konzipiert den eindimensionalen Menschen als einen im Wesentlichen positivistischen und apolitischen Charakter - überspitzt gesagt: als einen, der damit zufrieden ist, sich nach seiner 40-Stunden-Woche ein hübsch ausgestattetes Reihenhaus leisten zu können und einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Ernsthafte politische Partizipation, wie Crouch sie sich in seinem idealtypischen Modell der Demokratie vorstellt, ist vom eindimensionalen Charakter nicht zu erwarten. Insofern finde ich es nicht nachvollziehbar, weshalb die "Postdemokratie" sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben soll. Die Frage wäre doch eher, ob es überhaupt innerhalb des Kapitalismus schon einmal eine idealtypische Demokratie gegeben hat und ob diese überhaupt denkbar ist - Zweifel sind hier meiner Meinung nach mehr als angebracht.
Kevin Culina: Die sozialdemokratische Mär von Demokratie als "Ausgleich von Interessen" zeigt doch hier ihre Probleme. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Ressourcen, auf die beispielsweise große Konzerne oder das Militär zur politischen Beeinflussung zurückgreifen können. Das gilt es zu kritisieren und für eine radikale Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche einzutreten.
Am Beispiel Compact wird aber klar, wofür diese "Kritik" an Entdemokratisierung dienen soll: Angeprangert werden (pro-)israelische Interessenverbände in den USA, jüdische Bankiersfamilien und vermeintlich pro-zionistische Medienhäuser in Deutschland. Dabei wirbt man für mehr wirtschaftlichen und politischen Austausch mit Russland. Es geht also nicht um den Lobbyismus per se, sondern um "falsche" und "richtige" Einflussnahme.
Jonas Fedders: Und nein, die Kritik an Medien ist natürlich nicht per se antisemitisch. Es gibt ja auch viele gute Gründe, sich über die Art und Weise, wie Medien funktionieren und wie sie berichten, zu beschweren. Dass etwa Medien darauf angewiesen sind, hohe Auflagen oder Klickzahlen zu generieren, determiniert auch die Themenauswahl. Wichtige Dinge, die wenig Absatz versprechen, fallen so vielleicht hinten runter. Aber das ist doch eine andere Art der Kritik als das "Lügenpresse"-Geschrei, das ja genau genommen keine Kritik ist, sondern nur die Empörung darüber, dass nicht alle Medien die eigenen egoistischen Partikularinteressen und Weltanschauungen teilen. Und erst recht ist es keine Kritik, wenn man unterstellt, diejenigen, die die Medien besitzen, lenkten damit gezielt die öffentliche Meinung, um damit ihre Interessen durchzusetzen.
Im Fall der Kölner Silvesternacht behauptete Compact beispielsweise, die Medien hätten bewusst die sexualisierten Übergriffe durch Migranten verschwiegen, damit keine Kritik an dem "Bevölkerungsaustausch" aufkäme. Das heißt, dass "die Medien" lediglich Erfüllungsgehilfe für die großen Pläne der "Eliten" seien. Und hierbei handelt es sich sicher nicht um Medienkritik, sondern um ein antisemitisches Klischee.

Nicht rechts, nicht links, sondern völkische Querfront

Compact, Elsässer, die Neue Rechte, autonome Nationalisten, die Identitären, sie alle bedienen sich einer Strategie der Umwertung bzw. Umdeutung von Begriffen. Sie okkupieren Begriffe, die einstmals im eher linken politischen Spektrum oder gar in antikapitalistischen Zusammenhängen gebraucht wurden. Es ist nicht nur die Strategie des "Marsches in die Mitte", sondern es sind Versuche eine "Querfront" aufzubauen. Ganz im Sinne der berühmten Reichstagsansprache von Wilhelm II.: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche".
Es soll also kein links und kein rechts mehr geben, sondern nur noch "das Volk". So eröffnet Elsässer ja auch seine Reden mit: "Mein Name ist Jürgen Elsässer und meine Zielgruppe bleibt das Volk!" Gibt es jenseits der Bestrebungen aus dem völkischen und nationalistischen Lager auch Bestrebungen von linken Gruppierungen zu einer Querfront? Also, nur weil Rechte die Begriffe der Linken übernehmen, heißt es ja noch nicht, dass sich Linke auch von den rechten Thesen angesprochen fühlen?
Mir fällt es schwer zu glauben, dass es Linke gibt, die sich von Sarrazin, Akif Pirinçci oder aktuell Schultze-Rhonhof angesprochen fühlen. Und wenn dem so sein sollte - was ist daran dann noch links? Oder handelt es sich dann nicht eher um Rechte, die höchstens von sich selbst glauben, sie seien eher links, weil sie nicht zu den "Nazis" zählen wollen.
Kevin Culina: Rechte versuchen natürlich ihre Zielgruppe und ihren Einflussbereich auszuweiten. Das kann gewissermaßen durch die Aneignung von - auch durch die Linke - besetzte Begriffe oder durch die Adaption (sub-)kultureller Trends passieren. Diese Bedeutungsverschiebung von bestimmten Begriffen kann man schon bei den historischen Vorläufern der Querfront-Idee beobachten. Und heutzutage beziehen sich Teile der Neuen Rechten beispielsweise auf den Marxisten Antonio Gramsci und dessen Theorie der "kulturellen Hegemonie".
Ähnlich verhält es sich auch bei konkreten Querfront-Projekten: Es geht darum, die teils marginale Peer Group zu verlassen und Einfluss auf breitere Teile der Gesellschaft zu nehmen. Als Beispiel hierfür dürften die Versuche der extrem rechten "Blut und Boden"-Ideologie stehen, in der Ökologie-Bewegung der 1970er Jahre Fuß zu fassen und damit die teilweise anhaltende Tabuisierung neonazistischer Inhalte zu überwinden. Dennoch, und da kommen wir zu linken Querfront-Projekten, sind für die erfolgreiche Vervielfältigung reaktionärer Positionen und Bewegungen immer ideologische Anknüpfungspunkte innerhalb der Linken notwendig.
In der Compact wird das offensichtlich: Sie selbst greift auf Fragmente antiimperialistischer Positionen zurück. Elsässers lange Zeit geduldetes oder begrüßtes Engagement innerhalb der als links geltenden "Mahnwachen für den Frieden" oder der Zuspruch für ihn in deren friedensbewegten Abspaltungen belegen das. Eine Romantisierung des "Volkes" innerhalb der Linken und die ungeduldige Sehnsucht nach einer großen Massenbewegung befördern entsprechende Querfront-Tendenzen mit Sicherheit.
Ob Elsässer nun Rechter ist, sei dahingestellt; er selbst positionierte sich vor nicht allzu langer Zeit noch als Linker. Nationalismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus sind vor allem in der politischen Rechten zu Hause, aber gerade diese Ideologien haben auch ihre Tradition in der Linken, der Antiamerikanismus insbesondere in der Friedensbewegung. Somit ergeben sich inhaltliche Schnittmengen, die eben mehr sind als eine Strategie der Rechten.
Jonas Fedders: Ich denke nicht, dass es allzu viele linke Fans von Pirinçci oder Sarrazin gibt. Das liegt daran, dass diese Autoren ja vor allem durch Rassismus und im Falle von Pirinçci auch durch Sexismus und Homosexuellenfeindlichkeit auffallen. Obwohl natürlich auch die Linke nicht frei von solchen Positionen ist, gehören diese wohl nicht gerade zu ihrem Kerngeschäft. Bei anderen Themen verhält sich das anders, und da kann es schon ziemlich schwierig werden zu definieren, was eigentlich "objektiv" links und rechts ist. Klar, es gibt gewisse Unterscheidungskriterien, die sich im Laufe der Zeit etabliert haben und die auch nach wie vor Gültigkeit für sich beanspruchen können.
Aber letztlich ist vieles ja auch eine Selbstdefinition. Was ist denn einer, der antiimperialistisch, antizionistisch und antiamerikanisch eingestellt ist? Man könnte sagen, das sind alles Themen, die historisch und bis heute für viele Linke relevant sind. Gleichzeitig teilen auch Rechte und sogar Neonazis diese Positionen. Wenn jetzt noch der Nationalismus und der Antisemitismus dazu kommen, wird dann ein selbst erklärter Linker automatisch "objektiv" rechts? Ab einem bestimmten Punkt mit Sicherheit.
Aber ich bin davon überzeugt, dass emanzipatorische Linke es sich zu leicht machen, wenn sie schlicht all jenen, die problematische Positionen teilen, ihr "Links-sein" absprechen. Natürlich müssen Linke gegenüber solchen Kreisen einen klaren Trennungsstrich ziehen, weil mit ihnen kein emanzipatorisches Projekt zu machen ist.
Aber um Antisemitismus effektiv bekämpfen zu können, gilt es anzuerkennen, dass es sich bei ihm um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, das in allen Schichten und in allen politischen Milieus vorkommt - eben auch unter Linken. Das heißt nicht, dass Linke und Rechte im Grunde doch näher beieinander sind, als allgemein angenommen, auch wenn es genau das ist, was Querfront-Strategen und Verfechter der Extremismustheorie immer wieder behaupten. Das ist großer Unfug. Mein Punkt ist bloß: Wer den Antisemitismus exklusiv an die extreme Rechte delegiert, wird der Realität nicht gerecht.

Struktureller und sekundärer Antisemitismus

Die Ausgangsfrage der klassischen "Studien über Autorität und Vorurteil" war: "Gibt es etwas in der seelischen Verfassung des heutigen Menschen, das ihn auf die Demagogie skrupelloser Agitatoren positiv reagieren lässt, und was ist die Technik dieser Demagogie?" Eine Frage wie dafür gemacht, um sich auch mit Compact auseinanderzusetzen.
Adorno und andere, in der Nachfolge Erich Fromms, entdeckten, dass sich faschistisches Gedankengut und autoritäre Einstellungen über die gesamte Breite der Gesellschaft nachweisen lassen. Antisemitismus und Chauvinismus finden sich demnach eben nicht nur bei Rechten, sondern auch bei Linken und auch in der sogenannten Mitte. Der Antisemitismusbericht des Bundestages von 2012 zeigt auf, dass etwa jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch ist. Und auch die "Mitte-Studien" der Uni Leipzig sowie zahlreiche weitaus weniger populäre Autoritarismus-Studien haben seit Jahren aufgezeigt, dass rechte und rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte und ins linke Spektrum anschlussfähig sind. Dabei geht es häufig nicht darum, dass die Menschen zum Beispiel offen antisemitisch sind, sondern dass sie Aussagen zustimmen, die strukturell oder sekundär antisemitisch sind. Was ist darunter zu verstehen?
Jonas Fedders: Man muss natürlich unterscheiden zwischen einzelnen antisemitischen Stereotypen, die in der Tat sehr weit verbreitet sind, und einem geschlossenen antisemitischen Weltbild. Unsere These wäre aber schon, dass Menschen, die auf Ersatzartikulationen wie den sekundären Antisemitismus zurückgreifen, auch klassisch antisemitische Einstellungen teilen. Der Antisemitismus wird dabei eben nicht offen ausgesprochen, sondern codiert. Denn offen antisemitisch in dem Sinne, dass man sagt "Die Juden sind unser Unglück" ist heute fast niemand mehr, weil der Antisemitismus seit 1945 tabuisiert ist und zum Teil auch juristisch sanktioniert wird.
Mit dieser sozialen Tabuisierung sind antisemitische Denkweisen aber keineswegs aus den Köpfen der Menschen und dem historisch tradierten Wissen einer Gesellschaft verschwunden. Aus diesem Grund haben sich "kommunikative Umwege" entwickelt, wie dies der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn nennt.
Kevin Culina: Die Erfahrung der nationalsozialistischen Vernichtung des europäischen Judentums - der Shoah - wurde von Antisemiten problemlos in das eigene Weltbild integriert. So wird etwa, aufbauend auf den antisemitischen Judenbildern von Gier, Profitstreben und unlauteren Mitteln, jüdischen Menschen unterstellt, den Holocaust für eigene Interessen auszunutzen - beispielsweise wenn behauptet wird, dass Israel sich deutsche U-Boote mit Verweis auf Auschwitz "erpressen" würde.
Zudem, und das gehört gewissermaßen zum Kerngeschäft der Texte in der Compact, werden Begriffe, die eigentlich den NS-Faschismus beschreiben, für aktuelle politische Auseinandersetzungen genutzt - etwa, wenn der Gaza-Streifen als "Konzentrationslager" bezeichnet und Auschwitz dabei relativiert wird. Dieser sogenannte "sekundäre Antisemitismus" wird deshalb häufig als Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz bezeichnet.
Jonas Fedders: Der Antisemitismus geriert sich zuweilen selbst als "Antikapitalismus". Dabei wird aber der Kapitalismus nicht wirklich einer Analyse unterzogen. Er wird vielmehr kontrafaktisch aufgespalten in "schaffendes Kapital", das angeblich ohne Ausbeutung funktioniere, und "raffendes Kapital", das Jüdinnen und Juden zugeordnet wird. Diese Dichotomisierung in eine gute und eine schlechte Sphäre des Kapitalismus, etwa durch die Gegenüberstellung einer angeblich "schützenswerten" industriellen Produktion versus einer "parasitären" Finanzwirtschaft, ist weit verbreitet, auch unabhängig von der Zuordnung zu Jüdinnen und Juden. Das ist dann deswegen auch nicht gleich Antisemitismus.
Der Begriff des "strukturellen Antisemitismus" bezieht sich auf jene Denkmuster und Weltanschauungen, die der intrinsischen Logik des Antisemitismus in ihrer spezifischen Argumentation strukturell ähneln. Für uns beschreibt er also keine ausgeprägte Judenfeindschaft, sondern er weist auf die nicht zu unterschätzenden Gefahren und Anknüpfungspunkte hin, die eben jener strukturellen Ähnlichkeit geschuldet sind und die - wenn die spezifischen Denkweisen erst einmal verinnerlicht sind - leicht in einen manifesten Antisemitismus umgemünzt werden können.
Compact ist quasi das inoffizielle Medium von AfD und Pegida. Dass die AfD ein ernsthaftes Antisemitismusproblem hat, wurde gerade erst demonstriert. Laut Bundesschiedsgericht der AfD ist das Bild, das der AfD-Politiker Jan-Ulrich Weiß auf Facebook teilte, nicht antisemitisch, da unter anderem die Begriffe "jüdisch" oder "Jude" nicht vorkämen. Deshalb darf Weiß auch nicht aus der Partei ausgeschlossen werden. Auch die Staatsanwaltschaft hatte Weiß wegen Volksverhetzung angeklagt. Das Amtsgericht Prenzlau sprach ihn gerade erst frei mit der bedrückend einfältigen Begründung, dass "das Bild nicht eindeutig gegen eine religiöse Gruppe gerichtet" sei. In welcher Beziehung stehen AfD und Compact und welche Rolle spielt Compact "auf der Straße und in den Parlamenten" wie es in eurem Buch heißt?
Links: Auf dem Bild, das der AfD-Politiker Weiß auf Facebook teilte, mögen weder AfD noch das Amtsgericht Prenzlau Antisemitismus erkennen. Rechts: Der König Rothschild. Antisemitische Karikatur auf der Titelseite der französischen Zeitschrift Le rire (16. April 1898).
Jonas Fedders: Genau genommen ist die Compact das inoffizielle Medium eines bestimmten Teils von Pegida und AfD. Anfangs präsentierte sich die Compact als Debattenmagazin für die AfD, mittlerweile wird eindeutig der völkische Flügel um Björn Höcke und André Poggenburg von der Zeitschrift hofiert. Höcke ließ sich in einem Interview mit der Compact über den "Laissez-faire-Individualismus" der USA aus, der zu einer "Trivialisierung des Menschen" führe. Gleichzeitig distanzierte er sich von den "Transatlantikern" in der Partei. Solche antiamerikanischen Positionen kommen in der Compact gut an.
Nachdem es mit den Montagsmahnwachen irgendwann nicht mehr so richtig klappen wollte, schien mit den Aufmärschen von Pegida seit Ende 2014 eine politische Massenbewegung für die Compact Realität zu werden. Häufig werden Cover des Magazins bei Pegida-Aufmärschen als Plakate mitgeführt. Die Zeitschrift wiederum unterstützte die wöchentlichen Demonstrationen von Beginn an mit einer wohlwollenden Berichterstattung. Aber nicht um jeden Preis: Die eigene Grundposition wird beibehalten.
Als etwa der bekannte niederländische Rechtspopulist Geert Wilders eine Rede bei Pegida in Dresden hielt, stieß das bei Elsässer auf harsche Kritik, schließlich betreibe er "Israel-Lobhudelei". Zum Auftritt von Wilders schrieb Elsässer auf seinem Blog: "Der Kampf zur Zurückdrängung amerikanistischer oder zionistischer Einflüsse muss innerhalb der Pegida-Bewegung geführt werden, nicht durch Verabschiedung von Pegida." Elsässer und seine Compact bemühen sich also, die Pegida-Bewegung und auch die AfD nach ihren Vorstellungen zu formen.
Kevin Culina: In den letzten Monaten kam in der inhaltlichen Ausrichtung der Zeitschrift immer stärker ihr antimuslimischer Rassismus zum Vorschein. Im Kontext der Debatte um Asylsuchende betrieb das Magazin offen rassistische Hetze gegen "Invasoren" oder nach der Kölner Silvesternacht gegen "orientalische Gangbang-Rudel". Eine Zusammenarbeit mit Pegida und der AfD liegt hier also nahe.
Hier sieht man allerdings, dass die Compact sich stark nach aktuellen Trends ausrichtet: Zur Zeit der Mahnwachen waren antiamerikanische Texte häufiger zu lesen; im Kontext der antifeministischen "Besorgten Eltern" wurde gegen Homo- und Transsexuelle gehetzt; nun wird Pegida mit rassistischen Pamphleten flankiert. Es geht dabei natürlich auch um den Resonanzraum: Die Zeitschrift orientiert sich an den derzeit erfolgreichen reaktionären Bewegungen, unterstützt sie und profitiert sowohl wirtschaftlich als auch politisch davon.
Es wird sich zeigen, wie stark sich Compact in der politischen Rechten - denn dort bewegt sie sich derzeit - etablieren und festigen wird. Ihre Verbindungen zu staatsnahen russischen Think-Tanks, der deutschen Neuen Rechten und in den angesprochenen völkischen Flügen der AfD deuten zumindest an, dass die Zeitschrift nicht allzu schnell von der Bildfläche verschwinden wird - und damit die brandgefährlichen Bewegungen in ihrem Umfeld ebenso nicht. Uns steht die Auseinandersetzung mit solchen Spektren also noch bevor.

Kevin Culina und Jonas Fedders: Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact. Edition assemblage, 96 Seiten, 9,80 Euro.