NSA hört auch französische Präsidenten ab
Nein! Doch! Oh! WikiLeaks veröffentlicht "Espionnage Élysée"
Drei französische Präsidenten nacheinander, Minister und enge Vertraute wurden vom amerikanischen Geheimdienst NSA belauscht. Das wird seit gestern mit der Veröffentlichung der Geheimdokumente auf WikiLeaks, bei Mediapart und Libération einer größeren Öffentlichkeit bekannt.
Die Dokumente der Lauschangriffe auf Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande - und deren politischer Umgebung - reichen von 2006 bis 2012. Ob zuvor schon abgehört wurde und vor allem, ob noch immer abgehört wird, geht aus diesen Veröffentlichungen nicht hervor, ist aber nicht unwahrscheinlich.
Bauarbeiten am Dach der US-Botschaft in Paris, vorgenommen im letzten Jahrzehnt, gaben Experten deutliche Hinweise auf eine Ausstattung, die in der Regel auch genutzt wird.
Die Sicherheitsexperten waren sich auch der Zugänglichkeit der BlackBerrys bewusst, die französischen Regierungskreisen beliebt waren, während die Verwendung sicherer Geräte (ultrasécurisés) als zu kompliziert eingeschätzt wurde.
"Wir haben etwas sehr Merkwürdiges aufzuklären"
Als in Frankreich bekannt, wurde, dass das Mobiltelefon der deutsche Kanzlerin von der NSA abgehört wurde, beruhigte ein enger Mitarbeiter Hollandes im Elysée-Palast: Man habe alle notwendigen Maßnahmen ergriffen. "Die Kommunikation des Präsidenten ist geschützt."
Das war im Oktober 2013. Seit gestern heißt im Präsidentenpalast: "Wir haben etwas sehr Merkwürdiges aufzuklären" - Nein! Doch! Ja. Hollande hat heute Vormittag eine Sondersitzung des Verteidigungsrates einberufen. Er soll die neuen "Informationen prüfen und zweckdienliche Schlussfolgerungen daraus ziehen".
Dabei wird man im Elysée nicht an dem kränkenden Punkt vorbeikommen, dass der Präsident auf der Selektorenliste der NSA steht, ein Ziel der Überwachung war. Zwar wird man dem, wie im Fall Merkel hierzulande, die Beruhigungspille entgegenhalten, dass solche Geheimdienstschnüffelei bis in die Staatsspitzen hinein ein lange Tradition hat, aber das wird kaum helfen, wenn es um Schlussfolgerungen auf zwei heiklen Feldern geht, die damit zusammenhängen.
Es ist ein Unterschied, ob Geheimdienstarbeit in eingeweihten Zirkeln bleibt oder öffentlich wird. Die Regierung muss nun öffentlich Stellung nehmen. Die Öffentlichkeit und die Politiker der Opposition schauen darauf , wie sich das Verhältnis zwischen Frankreich und USA nun darstellt, welche Konsequenzen die Staatsspitze daraus zieht.
Die Eigenständigkeit Frankreichs gegenüber den USA
In Frankreich gibt es weniger Druck als in Deutschland, wo die USA Besatzungsmacht waren, das Selbstverständnis als souveräner Staat ist ausgeprägter. Die Willfährigkeit gegenüber den USA, die in Deutschland das große Reizthema ist, wenn es um die NSA-Überwachung geht, ist in Frankreich wird in Frankreich nicht auf dieser hohen Temperatur gekocht. Die Eigenständigkeit Frankreichs gegenüber den USA war lange Zeit kein Thema, um öffentlich Emotionen zu entfachen.
Aber daran hat sich in den letzten Jahren etwas geändert. Deutlich sichtbar ist das bei Anhängern des Front National und sowie einem Lager, das in den herkömmlichen politischen Koordinaten nicht so leicht einzuordnen ist.
Erste Reaktionen auf den Elysée-Abhörskandal spiegeln dies wieder. So nutzt der FN die Gelegenheit, um politisch auszuholen. Dessen stellvertretende Vorsitzende Florian Philippot gab sich schockiert und forderte den sofortigen Stopp der TTIP-Verhandlungen mit den USA.
Der Generalsekretär der rechten Partei, Nicolas Bay, verlangte, dass man als Reaktion nun Edward Snowden Asyl gewähren sollte, "um unseren Protest zu demonstrieren und um unsere Unabhängigkeit wiederherzustellen", womit er erneut bewies, wie geschickt sich der FN Empörungs-Themen holt, die partei-und lagerübergreifend wirken.
Kommentare von Mitgliedern der konservativen Mittepartei (mit wachsender Schwerpunktverlagerung auf rechts) "Die Republikaner" (früher UMP) veranschaulichen, dass sich auch dort die Gefühlslage gegenüber den USA verändert hat. "Ich hab das Land früher gemocht, jetzt nicht mehr", reagierte etwa der frühere frühere Innenminister Claude Guéant, gekränkt vom Verrat. Ein früherer Staatssekretär für Handelsbeziehungen unter Sarkozy sprach von einem "globalen Imperium", in dem die CIA und die NSA "ihre Netze auswerfen".
Die Inhalte der Dokumente
Die Inhalte der veröffentlichten NSA-Abhördokumente bieten keine Sensationen. Manchmal liest es sich wie eine Boulevard-Mitteilung, etwa wenn top secret referiert wird, dass Hollande ein geheimes Treffen mit Merkel zu Griechenland im Mai 2012 als "purely for show" bewertet, aus dem "nichts Substantielles" hervorging, und er Merkel als fixiert auf den EU-Fiskalpakt und auf Griechenland, das sie schon abgeschrieben habe, beschreibt.
Aus anderen vier Dokumenten ist zu erfahren, dass Sarkozy vergeblich versucht hatte, ein No-Spy-Abkommen mit den USA zu erzielen, Geschäftspartner aus der Flugzeug- und Alkoholindustrie in Verhandlungen einbezog, und dass der rührige Ex-Präsident eine Idee zu einer Palästina-Initiative hatte, die er an den USA vorbei plante. Der Überraschungscoup klappte aber nicht, eben weil der US-Geheimdienst Bescheid wusste.
Aus den Enthüllungen lässt sich einiges ablesen - etwa, dass Sarkozy während der Finanzkrise dachte, er könne die Welt retten, weil es die USA nicht schaffen - aber bislang nichts Bedeutendes. Die Bedeutung liegt vor allem in der Wirkung der Veröffentlichung.
"Deep State" à l'américaine auch in Frankreich?
Neben der Verstärkung antiamerikanischer Sentiments in Frankreich und ein paar Verstörungen im Verhältnis offizieller Repräsentanten der beiden Staaten ist die Wirkung noch in einem anderen Feld zu suchen.
Heute wird in Frankreich abschließend über das "Gesetz zur Arbeit der Geheimdienste" abgestimmt. Französische Kommentare halten es für eine Ironie, dass die Enthüllungen und der Beschluss zum französischen "Patriot Act" am selben Tag das Licht erblicken. Und als ironische Draufgabe, dass die USA kürzlich zurückruderten, und ihren Patriot Act gesetzlich enger gegen Missbrauch abschnürten, während Frankreich die Geheimdienste noch weiter richterlichen Kontrollen entzieht.
Ironie? Mit dem Patriot Act haben die USA über mehr als ein Jahrzehnt die Geheimdienste immens ausgebaut, damit hat sich der Apparat zu einer Art "tiefen Staat" entwickelt, der nur schwer, wenn überhaupt, zu kontrollieren ist. Frankreich macht nun einen ähnlichen Anfangsschritt.
Hollande kann aus der aktuellen Affäre den Schluss ziehen, dass Geheimdienste gewisse Dynamiken entwickeln, denen Grenzen gezogen werden müssten. Die Einsicht, dass der amerikanische ein falscher Weg in diesem Feld ist, könnte der Regierung auch von der Öffentlichkeit neu vorgehalten werden. Vielleicht liefert die NSA-Elysée-Affäre dazu Anstöße.