"NSU 2.0": Ermittlungen weiter "gegen Unbekannt"
Laut Hessens Innenminister ermittelt die Polizei akribisch wegen der anhaltenden Serie von Morddrohungen. Die bisher wichtigste Spur führte nur leider in ihre eigenen Reihen
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat am Donnerstag versichert, dass wegen der Serie von Morddrohungen mit der Signatur "NSU 2.0" immer noch mit Hochdruck ermittelt wird. "Jeder noch so kleine Ansatzpunkt wird akribisch verfolgt - Zeugen wurden befragt, Hausdurchsuchungen durchgeführt, Terabytes an Daten sichergestellt und ausgewertet - und das ist nur ein Ausschnitt unserer Maßnahmen", erklärte Beuth anlässlich einer Debatte im Landtag. Es ging um Konsequenzen aus der "NSU-2.0-Affäre", die seit dem ersten Schreiben dieser Art im August 2018 kein Ende nimmt und nicht zuletzt ein Polizeiskandal ist.
In mindestens drei Fällen waren solche Drohmails mit nicht öffentlich zugänglichen Daten der Betroffenen in auffälliger zeitlicher Nähe zu entsprechenden Abfragen auf hessischen Polizeicomputern verschickt worden. Das Innenministerium betonte allerdings am Donnerstag, dass über diese drei Fälle hinaus bei der hessischen Polizei keine weiteren Datenabfragen in diesem Zusammenhang bekannt geworden seien. Die Ermittlungen richten sich demnach gegen "Unbekannt" und werden "in alle Richtungen geführt".
Bisher 115 Drohschreiben - plus 18 von Trittbrettfahrern
Eine Verstrickung von Polizeibeamten könnte zumindest erklären, warum trotz der von Beuth behaupteten Bemühungen seit gut zweieinhalb Jahren kein durchschlagender Ermittlungserfolg erzielt wird. Insgesamt 133 versendete Drohschreiben mit der Signatur "NSU 2.0" sind der hessischen Polizei nach Angaben des Innenministeriums bekannt. 18 davon gelten als Werk von Trittbrettfahrern. 115 gehen wohl auf denselben Personenkreis zurück, der schon für das erste Schreiben verantwortlich war. Die damals verwendete E-Mail-Adresse war nie veröffentlicht worden.
Zuletzt sind am vergangenen Wochenende Drohschreiben bekanntgeworden. Insgesamt hätten bisher 32 Menschen und 60 Institutionen in neun Bundesländern solche Schreiben erhalten, so das Ministerium. Über mehr als 20 der betroffenen Personen sollen der oder die Absender "eine Vielzahl personenbezogener Daten" gesammelt haben.
Sollten alle 115 Schreiben von einer Person verfasst worden sein, dürfte sie zumindest Zuträger haben - denn die besagten drei Datenabfragen erfolgten von verschiedenen Polizeirevieren in Frankfurt und Wiesbaden aus. "Deshalb sprechen wir ja von einem Netzwerk", sagte der hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) am Donnerstag gegenüber Telepolis. Auch seine Fraktionskollegin Janine Wissler gehört zu den Adressatinnen der Drohmails.
Das erste bekannt gewordene Schreiben richtete sich gegen die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die als Nebenklagevertreterin im Münchner NSU-Prozess bekannt geworden war. Überwiegend sind Frauen betroffen, die als Politikerinnen, Anwältinnen oder auch als Kabarettistin das Missfallen von extremen Rechten erregen. Die Drohungen werden als sehr explizit und zum Teil sexistisch beschrieben.
Streit um Kosten für Sicherheitsvorkehrungen
Um die Kosten für Sicherheitsvorkehrungen in ihrer Wohnung in Höhe von mehr als 5.000 Euro musste sich Seda Başay-Yıldız mit dem hessischen Innenministerium und dem Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann streiten: Bisher sahen sie keine Voraussetzungen für eine Amtshaftung. Die Anwältin sieht dagegen die Behörden in der Pflicht, weil der oder die Absender der Drohmails offenbar durch illegale Datenabfragen in einem Polizeirevier an Informationen über sie selbst und ihre Familie gekommen waren. Ebendiese Informationen waren in der Mail ausgebreitet worden, um die Drohung zu verdeutlichen - auch gegen ihre damals zweijährige Tochter.
Inzwischen hat Başay-Yıldız ein juristisches Gutachten erstellen lassen, dass laut einem Bericht Frankfurter Rundschau ihren Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Schutzmaßnahmen untermauert.
So sieht es auch Schaus: Der Umgang der Behörden mit den Morddrohungen und den davon betroffenen Personen sei schockierend und in diesem Fall "rechtlich nicht zu halten", betont er. Zumal inzwischen bekannt sei, dass es im 1. Frankfurter Polizeirevier, in dem die erste illegale Datenabfrage 2018 erfolgt war, eine Gruppe rechtsextremer Polizistinnen und Polizisten gab. Sechs Beamte wurden dort inzwischen vom Dienst suspendiert. Ein Zusammenhang mit den Drohmails war aber bisher angeblich nicht nachweisbar.
Nach anhaltender Kritik der Opposition im Landtag will Beuth nun zumindest prüfen lassen, ob nicht doch eine Möglichkeit zur Kostenerstattung für die Sicherheitsmaßnahmen bei Başay-Yıldız besteht.
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