NSU-Affäre: Unnatürliche Todesfälle

Seite 3: Vierter Todesfall: Melisa M., 28. März 2015

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Bis zum September 2013 war sie die Freundin von Florian H. Am 2. März 2015 wurde sie in nicht-öffentlicher Sitzung von den Abgeordneten des NSU-Ausschusses in Stuttgart befragt. Der Zeugenauftritt war wegen einer möglichen Gefährdung der jungen Frau zwischen Innenministerium und Landeskriminalamt abgestimmt worden. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler, zugleich stellvertretender Landtagspräsident, ließ sie mit seinem Dienstwagen abholen und zurückbringen. Begleitet wurde Melisa M. von ihrem damaligen Verlobten Sascha W. Bei ihrer Vernehmung im Ausschuss hat sie auf Fragen erklärt, Florian H. habe ihr gegenüber nicht von "NSU" gesprochen oder davon, zu wissen, wer die Polizistin Kiesewetter erschoss. Doch das können auch Schutzangaben gewesen sein. Wiederholt erwähnte sie, Florian habe große Angst gehabt, weil er sich aus der rechten Szene bedroht sah.

Nach dem Zeugenauftritt fuhren vermehrt Streifenwagen an ihrem Haus vorbei - eine vorsorgliche Schutzmaßnahme der Polizei. Vier Wochen später, am 28. März 2015, starb Melisa M., 20 Jahre jung. Ihr Lebensgefährte Sascha W. fand sie abends in der gemeinsamen Wohnung in Kraichtal mit krampfartigen Anfällen vor. Melisa starb an einer Lungenembolie, so die Rechtsmedizin. Auch diese Obduktion nahm zehn Wochen in Anspruch. Die Lungenembolie soll durch "Blutgerinnsel" verursacht worden sein, wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Nachfrage erklärt. Wie diese Gerinnsel zustande kamen oder wo sie herkamen, ist allerdings nicht gesichert. Laut Gutachten der heidelberger Rechtsmedizin "höchstwahrscheinlich durch einen Sturz aufs Knie". Die Sportlerin war einige Tage zuvor beim Motorradsport leicht gestürzt und hatte eine kleine Verletzung über dem Knie. Melisa und Sascha waren beide im selben Motorsportclub aktiv.

Fünfter Todesfall: Sascha W., 8. Februar 2016

Am 8. Februar 2016 ist auch Sascha W. ums Leben gekommen. Er starb in der selben Wohnung wie Melisa M. Weil keine natürliche Todesursache festgestellt wurde, ordnete die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion an. Durchgeführt am selben Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin in Heidelberg, das auch Melisa M. obduziert hatte. Nach Auskunft des Behördensprechers habe man "keine Anhaltspunkte für Fremdverschulden" gefunden. Man gehe von einem Suizid aus. Zusätzlich gebe es zwei Abschiedsnachrichten von Herrn W., die per Handy verschickt wurden. Ob von Sascha W., kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Weitere Angaben macht die Staatsanwaltschaft nicht. Weder über den Inhalt der Abschiedsnachricht, noch über den Empfänger, noch wer den Toten gefunden hat. Weder über die Art des Suizids, noch über das mögliche Motiv. Das berühre das Persönlichkeitsrecht des Toten und seiner Angehörigen, so die Begründung.

Bisher war nur zu erfahren: Der toxikologische Befund ist negativ, keine Giftstoffe im Blut. Gefunden wurde lediglich Alkohol in erhöhter, aber nicht schädlicher Menge. Der 8. Februar war der Rosenmontag. Obwohl Sascha W., wie auch Melisa M., dadurch, dass sich der Bundestagsausschuss ihres Todes annimmt, zu Personen von öffentlichem Interesse geworden sind, behandelt die ermittelnde Staatsanwaltschaft die beiden Fälle weiterhin wie eine Privatangelegenheit.

Sascha W. lebte wieder in einer festen Beziehung. Wer die Abschiedsnachrichten erhalten haben soll, ist unklar. Freunde zweifeln an seinem Suizid. Sollte Melisa M. doch etwas von den möglichen NSU-Geheimnissen ihres Freundes Florian H. gewusst - und dann vielleicht ihrem neuen Partner Sascha W. davon erzählt haben? Im März 2015 hatte er sie zur Befragung in den NSU-Ausschuss begleitet, wo er den Abgeordneten ein Foto eines, so wörtlich, "Nazis" zeigte, der im selben Haus wie er gewohnt hatte und der mit einem anderen "Nazi" in Heilbronn befreundet sein sollte. Dieser heilbronner Nazi hatte mit Sprengstoff zu tun. Beide hat der Untersuchungsausschuss in Stuttgart nie vernommen. Zu diesem Kreis gehörte auch Florian H., Sascha W. jedenfalls kann ebenfalls als Zeuge gelten.

Florian H., Thomas R., Melisa M. und Sascha W. starben nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und nach Beate Zschäpes Inhaftierung. Das Trio kann damit nichts mehr zu tun gehabt haben. Umgekehrt aber der Tod der vier möglicherweise mit dem NSU-Komplex. Darin liegt die Brisanz. Existiert der "NSU", was immer er ist, bis heute?

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