NSU-Affäre: Unnatürliche Todesfälle

Seite 2: Zweiter Todesfall: Florian H., 16. September 2013

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auch er verbrannte, 21-jährig. Am Nachmittag jenes Tages sollte Florian H. vom Landeskriminalamt im Rahmen der NSU-Ermittlungen vernommen werden. Morgens um 9 Uhr verbrannte er in seinem Auto, das auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart abgestellt war. Ein Festgelände, wie die Theresienwiese in Heilbronn, wenige hundert Meter Luftlinie von LKA und Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) entfernt. Zusätzlich hatte er einen tödlichen Medikamentenmix in sich und war möglicherweise handlungsunfähig, so ein Gutachter.

Für die Staatsanwaltschaft stand schon nach wenigen Stunden fest: Suizid. Das konnte bisher weder belegt noch widerlegt werden. Erst im Dezember 2015 stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Todesermittlungsverfahren, das sie im März 2015 wieder aufgenommen hatte, erneut ein. Begründung: An der Selbsttötung gebe es keine vernünftigen Zweifel, für Fremdverschulden keinerlei Anhaltspunkte.

Florian H. gehörte eine Zeitlang zur Neonazi-Szene in Heilbronn. Von dort gab es nicht nur Verbindungen zu Leuten, die das NSU-Trio kannten, sondern auch zu V-Leuten des Verfassungsschutzes in der rechten Szene. H. hatte schon vor dem Auffliegen des Trios gesagt zu wissen, wer die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ermordet hatte. Das sollen aber nicht Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen sein. Der junge Mann befand sich im Aussteigerprogramm des Staatsschutzes für Rechtsextremisten (BIG REX). Er hatte damit einen Status, der dem einer V-Person ähnlich ist.

Der NSU-Ausschuss von Baden-Württemberg hat seine Untersuchung zum Fall Florian H. vorzeitig eingestellt, nachdem die Familie des Toten Gegenstände aus dem abgebrannten Auto nicht herausgab, u.a. einen Laptop und einen Camcorder. Die Gegenstände hatten die Angehörigen vor der Verschrottung durch die Polizei selber gesichert.

Dritter Todesfall: Thomas R., gefunden am 7. April 2014

Thomas R. ist besser bekannt als V-Mann "Corelli" und wurde am 7. April 2014 in seiner Wohnung tot aufgefunden, 39 Jahre alt. Als Todesursache wird eine nicht erkannte Diabeteserkrankung angegeben, sprich: Tod durch Zuckerschock. Zum Zeitpunkt seines Todes befand sich R. in einem Schutzprogramm für enttarnte V-Leute und lebte unter dem Pseudonym Thomas D. vermutlich in der Nähe von Paderborn.

Davor war er in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in der rechtsextremen Szene tätig. Sein Name stand auf der Adressliste von Uwe Mundlos, die 1998 in Jena in einer Garage gefunden wurde. "Corelli" hatte unter anderem die Ku-Klux-Klan-Gruppe von Schwäbisch Hall mit aufgebaut. Dort waren mehrere Polizisten Mitglied. Einer, Timo H., war Kollege der in Heilbronn ermordeten Polizistin Kiesewetter. Am Tattag war der Beamte selber in Heilbronn und fungierte als Gruppenleiter von Kiesewetter. 2005 übergab V-Mann "Corelli" seinem Dienst eine CD mit der Aufschrift "NSU/NSDAP".

Auch ein vom Bundestag eingesetzter Sonderermittler in Person des früheren Grünen Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag konnte die volle Geheimdiensttätigkeit "Corellis" nicht aufklären. Hinweise, dass Thomas R. ermordet worden sein könnte, hat der Sonderermittler nicht gefunden. Allerdings wurden ihm vom Verfassungsschutz Akten vorenthalten. Nicht einmal das genaue Eintrittsdatum als Spitzel sowie der exakte Todeszeitpunkt stehen fest. R. soll zwischen dem 4. und 7. April 2014 gestorben sein. Im Zschäpe-Prozess in München war seine Vernehmung als Zeuge vorgesehen. Im Fall Thomas R./Corelli hat der Bundestagsausschuss die Todesermittlungsakten nicht angefordert. Dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages (PKGr), das die Geheimdienste kontrollieren soll, liegt der Corelli-Bericht von Jerzy Montag vor. Er ist als geheim eingestuft. Dem NSU-Ausschuss von Ba-Wü ist er verweigert worden. Mit Clemens Binninger, Armin Schuster (beide CDU) und Uli Grötsch (SPD) sind gleich drei Abgeordnete des Bundestags-Ausschusses zum NSU auch Mitglied im PKGr.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.