NSU: Der So-tun-als-ob-Untersuchungsausschuss

Seite 2: Sabotage der politischen Aufklärung

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Dass der Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg dieser Maßgabe des Generalbundesanwaltes (GBA) vom ersten bis zum letzten Tag ebenfalls kritiklos folgte und Verantwortliche des BKA nicht einmal mit ihrem widersprüchlichen Ergebnis konfrontierte, half ihm nichts. Trotzdem wurde auch er in seiner Arbeit behindert.

Einmal weigerte sich der GBA, für den Ausschuss Ermittlungen zu Handynummern möglicher Islamisten zu tätigen, die am Tattag in der Nähe des Tatortes registriert wurden. Dann schickte das BKA einen Zeugen nach Stuttgart, der zu einem bestimmten Sachverhalt so gut wie nichts beitragen konnte.

Schließlich mischte sich das LKA in die Agenda ein und vernahm einen Zeugen, bevor dieser vom Ausschuss befragt werden konnte. Dass der Mann vom Landtag geladen war, wusste die Polizei mutmaßlich von den Vertretern des Innenministeriums, die an den internen Beratungssitzungen der Abgeordneten teilnehmen durften.

Die Sabotage der politischen Aufklärung erstreckte sich also bis in den Landtag hinein. Gewehrt hat sich das Parlament dagegen nicht. Im Gegenteil: Obwohl einige Ausschussmitglieder das Verhalten des LKA in der öffentlichen Presserunde demonstrativ verurteilten (Drexler: "Das geht überhaupt nicht!", Jürgen Filius, Grüne: "Kann nicht hingenommen werden."), beschlossen sie in der daran anschließenden internen Sitzung, wie man jetzt im PUA-Bericht nachlesen kann, aus der Einmischung des LKA kurzerhand beschönigend ein "Kooperationsverhältnis" zwischen beiden zu machen.

Tatsächlich konnte von "Kooperation" keine Rede sein. Vielmehr degradierte sich der Ausschuss selber zum Gehilfen der Polizei. Deren Ermittlungen sollten "Vorrang" erhalten.

Was geschah am 25. April 2007 in Heilbronn? Warum waren die beiden Polizeibeamten auf der Theresienwiese in Heilbronn? Zufall oder gab es einen Hintergrund? Stand die Anwesenheit in Zusammenhang mit einer Terrorwarnung? Sollte ein Waffendeal stattfinden? Trafen zufälligerweise zwei Ereignisse auf dem Festplatz aufeinander? Der Knoten ist nicht entwirrt.

Aus einem offiziellen Schriftwechsel zwischen Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischem Abschirmdienst (MAD) und Generalbundesanwaltschaft (GBA) geht hervor, dass möglicherweise zwei FBI-Agenten an jenem Tag in Heilbronn waren und Zeugen des Vorfalles wurden. Telepolis hat den Schriftwechsel bereits vor einiger Zeit veröffentlicht (siehe hier und hier).

Die Arbeit des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses von Baden-Württemberg begann im Herbst 2016 mit diesem Komplex. Und schon nach dem ersten Zeugen stand für mehrere Abgeordnete das Ergebnis fest: An der FBI-Sache sei nichts dran, sie sei "zusammengefallen wie ein Kartenhaus", so der Obmann der CDU. Die These sei "ad acta gelegt" worden, assistierte der Obmann der SPD. Heute seien "gleich zwei Verschwörungstheorien ausgeräumt" worden, befand der Obmann der FDP.

Das war im Oktober 2016. Und doch mussten die Herren Abgeordneten noch zwei Jahre und eine lange Reihe von Zeugenvernehmungen, Nachermittlungen und Behördenzeugnissen abwarten, ehe sie erneut verkündeten: "Keine Observation durch US-Behörden, keine Anwesenheit des FBI auf der Theresienwiese." Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man sich den ganzen Ausschuss sparen können.

Manches ist nicht mehr zu klären

In dem ursprünglich vielfältigen Spurengeflecht ist manches nicht mehr zu klären: Zum Beispiel der Inhaber einer Telefonnummer, die am Tattag in Heilbronn in Tatortnähe eingeloggt war. Ihn umgeht der Ausschuss dezent. Oder: Ein Kontaktmann einer Anwältin, der von einem geplanten Waffendeal gesprochen haben soll, der aber 2013 in Syrien zu Tode gekommen sein soll. Hier urteilt der Ausschuss in denunziatorischer Weise, die Anwältin habe "eine vermeintlich neue Spur zu legen versucht".

Die Anwesenheit von Geheimdiensten sei "widerlegt", schreibt der Ausschuss in seinem Bericht, was man als mutig bezeichnen muss. Denn, um so etwas zu behaupten, müssten die Abgeordneten in der Lage sein, die Dienste zu kontrollieren. Das gelingt schon bei den einheimischen nicht. Bei fremden und vor allem bei US-amerikanischen aber erst recht nicht.

"Keine Observation durch US-Behörden!": Als ob die USA mitteilen würden, wenn sie irgendwo unterwegs sind oder nicht. Ihre Agenten haben Regierungen gestürzt, warum sollten sie sich bei einem einzelnen Mord an einer deutschen Polizeibeamtin gegenüber der Öffentlichkeit wahrhaftig erklären?

Wie auch immer es die Behörden und dieser Ausschuss wenden und drehen mögen: Was von der FBI-Spur bleibt, sind die vorliegenden schriftlichen Dokumente von BND, MAD, GBA, die bei Telepolis nachlesbar sind und die ursprünglich für den ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zusammengestellt worden sind - ein doppeltes amtliches Dokument sozusagen.

"Alles ist anders"?

Doch wie der Drexler-Ausschuss mit dem Dossier umgeht, das auch ihm seit langem vorliegt, ist abenteuerlich. Es sei alles anders, behauptet er. Wie, könne aber nicht dargestellt werden, weil die Sachverhalte als geheim eingestuft seien. Nur so viel: Die in dem Dossier zusammengestellten Mitteilungen gebe es nicht. Tatsächlich fänden sich in den Schriftwechseln Ungenauigkeiten, die aus den Entwürfen für die jeweiligen Briefe resultierten und in den Originalen dann korrigiert worden seien.

Beispielsweise habe es vom BND-Präsidenten Ernst Uhrlau keine Mitteilung an den Generalbundesanwalt (GBA) mit folgendem Inhalt gegeben: "Der US-Mitarbeiter ließ dabei erkennen, dass eine eigene Untersuchung der Ereignisse die Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI ergeben habe, und regte in diesem Zusammenhang ein offizielles Gespräch zu den Hintergründen an." Das habe der Ausschuss zweifelsfrei festgestellt.

Im vorliegenden Dokument findet sich unter der entsprechenden Passage keine Unterschrift. Dafür tragen andere Briefe jedoch Unterschriften. Warum, wenn es sich nur um Entwürfe gehandelt haben soll? Zum Beispiel der Brief des BND an den GBA, in dem sich folgender Satz findet: "Man hätte auf US-Seite Hinweise darauf, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden zwei Mitarbeiter nach Deutschland habe reisen lassen und diese nach dem Vorfall in Heilbronn wieder zurückbeordert habe. - gez. Uhrlau"

Worin besteht nun der inhaltliche Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen, einmal ohne Unterschrift Uhrlaus und einmal mit? Und warum trägt der vorliegende Schriftwechsel den Stempel "Geheim", wenn dessen Inhalt nicht stimmen sollte? Das hieße ja, dass dem Bundestag falsche Unterlagen geliefert worden wären. Obendrein welche, die die Rolle der US-Behörden aktiver und "belastender" beschreiben, als es tatsächlich der Fall gewesen wäre. Wenn da nichts war, warum soll es überhaupt ein Dokument geben, dass etwas war?

Eine Erzählung, die zwar unglaubwürdig ist, aber den Abgeordneten hilft, sich den Sicherheitsbehörden zu unterwerfen und sie nicht kritisch hinterfragen zu müssen.

Die Arbeit dieses U-Ausschusses ist das Gegenteil von Aufklärung - sie ist Verdunkelung, ist das Gegenteil von Rechtsstaat - nämlich Willkür.

Und es nährt den Verdacht: Wenn Behörden und Politiker zu solchen Winkelzügen greifen müssen, um Fakten zu beugen, muss sich eine gefährliche Wahrheit dahinter verbergen.

Doch zunächst weiter im Text, denn wir sind noch lange nicht am Ende des Manövers.