NSU-Polizistenmord: Ermittlungssabotage in Süd-West

Seite 2: Erniedrigung für die Kriminalbeamten

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Eine Erniedrigung für die Kriminalbeamten, aber nicht nur von außen, sondern auch von innen.

Denn bei Tino Brandt, Gründer des Neonazi-Netzwerkes Thüringer Heimatschutz und zugleich V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, den die Baden-Württemberger ebenfalls befragen wollten, durften sie von Amts wegen nicht - als V-Mann war der Zeuge für sie tabu.

Noch mehr Leute würden die LKA-Ermittler interessieren, wenn sie könnten. Zum Beispiel Stefan A., der Cousin von Beate Zschäpe, der sich auch in Ludwigsburg aufhielt. Oder Jan Werner, zentraler Blood and Honour-Kader aus Chemnitz, der ebenfalls an den Neckar gezogen war und im selben Ort wohnte, wie zum Beispiel der Neonazi-Anführer Markus Frntic. Oder Thomas Starke, wie Werner aus dem unmittelbaren Umfeld des Trios in Chemnitz, außerdem V-Person des Landeskriminalamtes Berlin. Er war einmal mit Zschäpe liiert und hatte den dreien, als sie noch in Jena wohnten, Sprengstoff geliefert.

Starke war bis zum Jahr 2011 mehrmals in Baden-Württemberg. Er sei eine "ganz entscheidende" Figur, so Sabine Rieger. Sie habe keine Person gekannt, die solch interessante Angaben zu Baden-Württemberg gemacht habe, sagte die LKA-Beamtin, ohne das zu konkretisieren.

Lauter Tabus

Lauter Tabus. Die Vernehmungen zahlreicher Rechtsextremisten in Thüringen und Sachsen - sie wurden nicht nach BaWü übermittelt. Gibt es darin Aussagen zu ihren Kameraden in BaWü? Die Protokolle der Telefonüberwachung des Trios Ende 1997, Anfang 1998, als vor allem Mundlos und Zschäpe regen Besuchsverkehr mit ihren Ludwigsburgern pflegten - sie sind beim LKA Stuttgart nicht bekannt. Gab es Telefonate mit den Kameraden in BaWü?

Warum sind die Kontakte von Mundlos und Zschäpe nach Ludwigsburg 2001 abgebrochen? Nach Einschätzung der langjährigen Auswerterin Rieger muss weiterhin Ansprechpartner und Anlaufstellen in Baden-Württemberg gegeben haben.

Tabu ist seit der Kaltstellung der Süd-West-Ermittler außerdem der gesamte "Heilbronn-Komplex", sprich der Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter. Auf ihm sitzen seither Bundesanwaltschaft und ihr Hilfsorgan BKA.

Wer keine Kompetenzen hat, kann auch nicht viel herausfinden. Die angebliche Erkenntnisse der amputierten Ermittlungsgruppe Umfeld sind schwerlich ernst zu nehmen. Schon der Name "Ermittlungsgruppe" ist Etikettenschwindel. Als "Papiertiger" bezeichneten Bundestagsabgeordnete des NSU-Ausschusses sie. Ein "stumpfes Schwert" nannte jetzt im BaWü-Ausschuss der Obmann der Grünen die EG Umfeld - was die ehemalige Leiterin der EG, Heike Hißlinger, nicht so sehen wollte. Und auch manches Ausschussmitglied nicht, wie jenes der CDU, das der EG Umfeld gute Arbeit bescheinigte.

Das tat der Abgeordnete genauso schon vor drei Jahren, als im Februar 2014 der damalige Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) den Bericht der EG Umfeld öffentlich vorstellte. Alle Fraktionen im Landtag waren damals voll des Lobes. Besser könne es ein Untersuchungsausschuss (UA) nicht machen, hieß es unisono, man brauche keinen. Sie wollten keinen. In der Öffentlichkeit war damals bereits ein solcher Untersuchungsausschuss gefordert worden. Während der Vorstellung des Berichtes durch Gall standen die ganze Zeit drei Frauen im Raum mit Plakaten in den Händen, auf den zu lesen war: "Ja zum UA".

Keine Selbstkritik

Ein Jahr später gab es diesen UA dann doch, allerdings dauerte es weitere zwei Jahre, ehe nun auch er die Schwachpunkte dieser EG Umfeld bloßlegt. Selbstkritik wollen die Abgeordneten damit allerdings nicht verbinden.

Wenn sie jetzt Konsequenzen ziehen, kommt es darauf auch nicht an. Das hieße vor allem: Ladung all der Zeugen, die die EG Umfeld nicht befragen konnte oder die bisher weder im Prozess in München noch in einem Untersuchungsausschuss vernommen wurden. Erscheinen müssen sie, der Befragung im Parlament können sie nicht ausweichen. Ein Ausschuss hat mehr Kompetenzen als die EG Umfeld.

Allerdings übte sich dieser Ausschuss in seiner Sitzung erneut in Unterlassungen. Wichtige Fragen wurden den beiden Kriminalbeamtinnen Rieger und Hißlinger nicht gestellt: Was hat es beispielsweise mit den Vermerken über die Lagebesprechungen in der Polizeidirektion Gotha nach dem Auffliegen des NSU Anfang November 2011 auf sich und die die Unterschrift Sabine Riegers tragen? Darin ist vom Verdacht die Rede, das Trio oder Mitglieder des Trios hätten für den Verfassungsschutz gearbeitet.

Oder: Warum ist die Neonazi-Größe von BaWü Markus Frntic als geheim eingestuft?, wie Hißlinger den Abgeordneten im Bundestag gesagt hatte. Arbeitete er für den Staats- oder Verfassungsschutz und über wen hat er möglicherweise berichtet?

Oder: Im September 2013 verbrannte der Neonazi-Aussteiger Florian H. in seinem Auto, am Tag als er von der EG Umfeld vernommen werden sollte? Was wollte man von ihm wissen?