Nach Merkels Verzichtserklärung: Mehr Platz in der Mitte für die SPD?
SPD-Chefin Nahles will klarer machen, wofür die SPD steht. Dafür legt sie einen dicken Forderungskatalog vor
Es soll standing ovations im CDU-Parteivorstand gegeben haben, als Angela Merkel ihren Verzicht erklärte, noch einmal für den Vorsitz der Partei zu kandidieren. Erleichterung über diesen Schritt war dann auch am Lächeln des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Bouffier abzulesen, als er sich gemeinsam mit der Kanzlerin zur Pressekonferenz präsentierte.
Merkel erklärte darüber hinaus, dass sie nach dem Ende ihrer Amtszeit auch nicht mehr neu als Kanzlerkandidatin antreten werde. "Meine vierte Amtszeit ist die letzte". Mit diesem Schritt nach der verheerenden, jüngsten Schlappe der CDU hat sie ein paar Fenster und Türen geöffnet, Unzufriedenheiten geschickt kanalisiert und ihre gegenwärtige Machtposition gestärkt (vgl. CDU-Vorsitz: Merkel zieht die Notbremse).
In der CDU gibt es einen Stimmungsaufschwung
Resultat: In der CDU gibt es einen Stimmungsaufschwung. Die Energien, die Merkel hätten gefährlich werden können, konzentrieren sich nun um die Nachfolgefrage. Die Lager in der CDU haben zu tun (pro-AKK, pro-Spahn, pro-Laschet, pro-Merz). Der Politik-Beobachter Albrecht von Lucke (Blätter für deutsche und internationale Politik) äußerte bei einer Diskussion der Springer-Zeitung "Die Welt" den Gedanken, dass sich die CDU in der Nachfolge Merkels weiter nach rechts orientieren würde, was in der Regierungskoalition neuen Platz für die SPD schaffen könnte, in der gedrängten Mitte würde links neuer Raum frei.
Die Frage ist nun, ob die SPD dies tatsächlich nutzen kann. Auch die SPD-Chefin Nahles geriet nach der Wahlpleite der Partei in Hessen, wo wie bei der Bayernwahl ganze Scharen von Wählern abwanderten, ohne dass sie neue hinzugewann, gehörig unter Druck. Allerdings sieht der Möglichkeitsraum der SPD noch finsterer aus.
Weitermachen, allerdings unter Bedingungen
Es hat sich noch kein(e) Nachfolgekandidat(in) bei der SPD gezeigt, der oder dem zugetraut wird, dass sie oder er die SPD mit "frischen Glanz" aus der Existenzkrise führen könnte. Dazu kommt, dass sich die Verärgerung in der Partei und bei ihren Anhängern eher auf das für die SPD fatale Mitwirken in der Regierungskoalition kanalisiert.
Allerdings ist augenblicklich wahrscheinlicher, dass die SPD bei Neuwahlen das nächste miese Ergebnis erreichen würde als das Gegenteil. Auch eine Minderheitsregierung der CDU, bei der dann die Grünen assistieren würden, wäre nicht unbedingt eine hilfreiche Option für die SPD, um sich aus der Krise zu ziehen.
Daher setzte Nahles bei der Pressekonferenz der SPD zu den Landtagswahlen in Hessen auf Weitermachen, allerdings unter Bedingungen. Die Gründe für das schlechte Abschneiden suchte sie schon gestern hauptsächlich im Arbeitsmodus der Koalition. Der soll sich nun ändern.
Nahles setzt nun auf langen Atem und verkündete eine Frist. Zur Halbzeit der Regierung im nächsten Jahr wolle man überprüfen, ob Koalitionsvereinbarungen eingehalten werden und bestimmte Punkte, die für ihre Partei wichtig sind, erfüllt werden.
Aus der SPD-Pressekonferenz heute wurden Schlagworte von Nahles nach außen gespült "Fragen nach Sozialstaat, Klima und Europa müssen jetzt geklärt werden." Zugleich wurden der SZ der Fahrplan zugespielt, in dem die SPD-Ziele formuliert werden, die den "präzisen Arbeitsplan" der großen Koalition in Berlin ausmachen sollen. Im Herbst 2019 soll dann bei der vereinbarten Halbzeitbilanz geprüft werden, was umgesetzt wurde.
Dicker Katalog mit konkreten Zielen
Konkret werden in dem Papier mehrere Projekte aus der Sozial- und Familienpolitik benannt, berichtet die SZ und zählt auf: das Gute-Kita-Gesetz ("Mehr Qualität, weniger Gebühren"), das Familienentlastungsgesetz (Mehr Kindergeld, höhere Freibeträge), das Familienstärkungsgesetz ("Wir bekämpfen Kinderarmut"), das Qualifizierungschancengesetz (siehe: Weiterbildung für (fast alle) sowie: "Ein Gesetz zum Sozialen Arbeitsmarkt wollen wir noch 2019 in Kraft treten lassen, um neue Chancen für Menschen, die bereits lange ohne Beschäftigung waren, zu schaffen".
Bis zur Sommerpause soll die Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und von Kettenbefristungen beschlossen werden. Und: "Die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung im Berufsbildungsgesetz wollen wir bis zum 1. August 2019 beschließen."
Dazu kommt laut der Lektüre des Papiers durch die SZ noch die Forderung, "dass die Grundrente und das Pflegepersonalstärkungsgesetz bis zur Sommerpause 2019 im Kabinett beschlossen werden". Ergänzt wird der Katalog durch eher allgemeinere Forderungen "zum Thema Wohnen und Klimaschutz".
Es ist ein recht dicker Katalog. Man will damit zeigen, dass es an Vorschlägen nicht mangelt, dass es nicht stimmt, wenn von einer Erschöpfung der Partei die Rede ist (Gabor Steingart hielt der SPD heute Morgen vor, dass die Partei "lieber schläft als regiert"). Die Crux liegt nicht nur darin, ob die SPD diese Forderungen überhaupt durchsetzen kann - sollte die CDU unter einem neuen Vorsitz tatsächlich mehr nach rechts rücken, würde sich der Schwierigkeitsgrad erhöhen.
Zukunftsperspektive?
Falls dies gelänge, weil die SPD geschickt auf Koalitionsvereinbarungen besteht, so stellt sich die Frage, ob der SPD-Anteil offenkundig wird und der Erfolg nicht verwässert wird, so dass er der kritischen Basis und den Wählern als neue Glaubwürdigkeit vermittelt werden kann.
Dem steht entgegen, dass die Glaubwürdigkeit der SPD substantiell angegriffen ist und die Geduld für eine Sammlung von kleineren, nicht wirklich spektakulären Erfolgen, die sich erst später zeigen, nicht mehr da ist. Es soll "möglichst bald Klärungen geben", so Nahles. Dabei will die SPD-Chefin laut ZDF auch an das Hartz-IV-System. Ob das als Zukunftsperspektive reicht? Es muss wohl erstmal reichen.