Nach dem Fracking-Schock: Die Strategie der USA
Seite 2: Sehen wir einer Grand Strategy bei der Arbeit zu?
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Sehen wir in der gegenwärtigen, scheinbar so unsicheren Phase der Weltpolitik, einer Grand Strategy bei der Arbeit zu? Vieles spricht dafür. Anhand der energie- und sicherheitspolitischen Debatten verschiedener Eliten ab dem Jahr 2011 zeigte sich klar, dass wesentliche Akteure der US-Außenpolitik sich über die strategischen Möglichkeiten einer radikal steigenden inländischen Produktion im Klaren waren.
In diesem Zusammenhang bleibt festhalten, dass der Preissturz bei Rohöl, den Meghan O'Sullivan und andere Strategen der US-Außenpolitik vorhergesagt hatten, auf die schnell zunehmende Menge der Förderung in Nordamerika, speziell in den USA zurückging.
Im Juni 2014 wurde also ein langfristiger Trend wirksam, der in der energiepolitischen Fachöffentlichkeit lange bekannt war. Dieser Trend zur De-Konventionalisierung der Erdöl- und Erdgasförderung sorgt zum einen für tendenziell zurückgehende Förderzahlen in allen anderen Regionen, zweitens hatte er einen steigenden Rohölpreis zur Bedingung und drittens bringt er grundsätzlich diejenigen IOC und Staaten in eine stärkere Position, die einen gesicherten Kapital- und Know-How-Zugang aufweisen.
Die USA als vormals größter Importeur verfolgen eine Strategie der Importsubstitution und der Regionalisierung des Energiebezugs, die dazu führte, dass seit 2008 mehr als 4 Millionen Barrel am Tag zusätzlich auf den internationalen Märkten zur Verfügung stehen.
Nunmehr 20 Monate nach dem Verfall des Ölpreises stagnieren Förderung und Erschließungsvorhaben auf dem neuen Niveau. Im Februar 2016 werden nur in den wichtigsten sieben Fracking-Regionen der USA jeden Tag mehr als 4,8 Millionen Barrel Erdöl gefördert, d.h. in den letzten Monaten ging die Förderung leicht zurück auf das Niveau von August 2014. Beim Erdgas sind es täglich 1,3 Millionen Kubikmeter Erdgas (43,7 Mcf), genau so viel wie vor einem Jahr, im Februar 2015.
Mit einem Rückgang der Öl- und Gasförderung in Nordamerika ist in naher Zukunft ganz sicher nicht zu rechnen. Im Gegenteil, sollten die Weltmarktpreise wieder steigen, und das werden sie früher oder später, können die in der Fracking-Produktion aktiven Unternehmen ihre Förderquote beliebig ausweiten. Die USA haben sich den Status eines Swing-Producers erobert.
Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass das Element der technologischen Durchdringung, das beispielsweise in der Ukraine gescheitert ist, in anderen Ländern weiterverfolgt wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass das Monopol kanadischer und US-amerikanischer Unternehmen in der Gruppe der Ausrüster, Halliburton und Schlumberger, ein absolutes ist. Zuwächse in der Förderung sind zukünftig nur noch über höheren technischen Einsatz, über De-Konventionalisierung möglich. Das heißt, Kanada und die USA verfügen über ein entscheidendes strategisches Potential.
EU-Kommission: LNG-Strategie für Europa
Spätestens ab dem Jahr 2011 realisierte sich die zunehmende Förderung in einem außen- und sicherheitspolitischen Elitendiskurs, der darauf abzielt, diesen technologischen Vorteil in machtpolitische Kategorien zu übersetzen. Dabei wurden vor allem China und Russland als potentielle Gegner ausgemacht.
Europa und Teile Asiens stellen hingegen Regionen dar, in denen mithilfe einer neuen Energiepolitik engere Bündnisbeziehungen etabliert werden können. Europa ist gegenwärtig der Austragungsort einer neuen Konjunktur machtpolitischer Auseinandersetzungen, bei denen der Absatz von potentiellen Energieüberschüssen eine zentrale Rolle spielt. Hingegen geht die Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens aus globaler Perspektive zumindest mittelfristig zurück.
Spätestens mit dem Frühjahr 2015, als Barack Obama die Energieversorgung der Europäischen Union zur Frage der Nationalen Sicherheit erklärte, lässt sich die neue energiepolitische Strategie der EU nicht mehr unter rein ökonomischen Gesichtspunkten verstehen. Die aktuellen Initiativen aus der Europäischen Kommission zielen darauf ab, die Importe aus Russland durch Anbieter aus Nordamerika und Kanada zu ersetzen. Damit setzt sich eine seit fast 10 Jahren anhaltende Tendenz zur regionalen Desintegration des europäischen Energiebezugs fort.
Wie bereits diskutiert, stellen Infrastrukturen für Flüssiggasimporte (LNG) das zentrale Element der neuen European Energy Union dar. Die Europäische Kommission stellte ihre LNG-Strategie für Europa vor. Das Projekt besteht darin, in den kommenden Monaten fünf Milliarden Euro an Steuermitteln aus dem European Fund for Strategic Investments einzusetzen, um den Investoren ihre "langfristigen Risiken" abzunehmen. Diese Subventionen sollen verwendet werden, um an den Küsten Europas LNG-Terminals und gigantische Gastanks zu bauen. Sie sollen das Gas über neue Pipelines ins Inland transportieren.
Allerdings lässt ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, die das Projekt einer transatlantischen Energiekooperation zunächst maßgeblich vorangetrieben hatte, seit kurzem auf der EU-Ebene Widerstand erkennen.
Seit Sommer 2015 belebte der SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel das Projekt Nord Stream 2, mit dem die Erdgaslieferung aus der Russischen Föderation durch die Ostsee verdoppelt werden soll. Gemeinsam mit Firmen aus den Nicht-NATO-Staaten Österreich und Schweiz torpediert der SPD-Vorsitzende damit unmissverständlich die EU-Strategie zur transatlantischen Energiepartnerschaft. Die NZZ widmete dem Thema - Berlin provoziert Europa - gleich eine dreiteilige Serie.
Es ist nicht die einzige Initiative aus der Außen- und Sicherheitspolitik der SPD, die einen plötzlichen Umschwung hin zur kontinentalen Integration erkennen lässt. Im vergangenen Sommer trieb SPD-Außenminister Steinmeier die 5+1-Gespräche über ein Ende der Sanktionen gegen den Iran maßgeblich voran. Unmittelbar nach der Unterzeichnung besuchte Wirtschaftsminister Gabriel mit einer Wirtschaftsdelegation Teheran. Hier scheint das auf, was ich im Zusammenhang mit America's T-Strategy schrieb:
Wir erleben seit dem Jahr 2011 eine insgesamt aggressivere Außenpolitik, die etwa die Europäische Union in eine neue Ost-West-Konfrontation zwingt, wobei sich zwei Perspektiven gegenüberstehen: die einer intensiveren transatlantischen Integration in den angelsächsischen Machtblock, in das America Empire, oder eine Perspektive 'kontinentaler Integration' in Richtung Russland, China und anderer Länder, mit denen die Staaten der Europäischen Union immerhin auf dem Landweg verbunden sind.
Der Text ist der Publikation "Globale Umordnung. Geopolitische und geoökonomische Veränderungen im Umfeld der EU - Aktuelle Konjunkturen der Energiepolitik" des Autors entnommen. Die Studie erscheint in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.