Nachträgliche Zulassung

Die US-Behörden machen es Bayer in der Affäre um den Gentech-Reis LL601 leicht, der in einen Großteil der US-Reisernte gelangt ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erst vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass erhebliche Teile der US-Reisernte mit Gentech-Reis LL601 von Bayer Crop Science verunreinigt waren. Der genmanipulierte Reis stammt aus einem Feldversuch, eine Kommerzialisierung wurde ursprünglich nicht angestrebt. Wie er sich dennoch derart massiv ausbreiten konnte, ist noch unklar. Jetzt haben die US-Behörden aber dem Antrag Bayers auf nachträgliche Zulassung stattgegeben. Dabei haben die US-Farmer wenig mit Genreis am Hut und fürchten weitere Einbrüche im Exportgeschäft. Kritik regt sich auch in Europa, zumal in derart kurzer Zeit keine ausreichende wissenschaftliche Prüfung möglich sei. Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses des EU-Parlaments, wirft wiederum Bayer blanken Zynismus gegenüber den geschädigten Landwirten vor.

“So schnell kann aus einem Gen-GAU ein beschleunigtes Zulassungsverfahren werden“, empört sich Jan Pehrke, Vorstandsmitglied des Vereins Coordination gegen BAYER-Gefahren über die nachträgliche Zulassung des Gentech-Reises LL601 in den USA. Der Reis wurde ursprünglich zu Testzwecken bis 2001 angebaut. Angeblich war die Leistung nicht berauschend, so dass man von einer Kommerzialisierung Abstand nahm. Erst vor wenigen Monaten war allerdings entdeckt worden, dass die Gensaat offensichtlich „entwischte“. Untersuchungen zeigten, dass beinahe die gesamte US-Langkornreis-Ernte kontaminiert ist, was den Landwirten empfindliche wirtschaftliche Einbußen – insbesondere im Exportgeschäft – bescherte. Die Empörung über den Konzern ist unter den US-Farmern groß. Sammelklagen laufen.

Bayer brachte umgehend einen Antrag auf nachträgliche Zulassung in den USA ein. Die amerikanischen Behörden gaben dem Ansinnen nach nur wenigen Monaten statt. LL601 ist ab sofort zugelassen. Der Reis sei unbedenklich und dürfe ohne behördl?che Aufsicht angebaut werden. Was Bayer freuen dürfte, sorgt in Europa für einige Kritik. So hatte der EU-Abgeordnete der Grünen, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, gleich nach Aufkommen der Affäre vom Konzern volle Verantwortung eingefordert:

Eltern haften für ihre Kinder. Das gilt auch für die Gentech-Industrie. Die Firma Bayer muss nun dafür haftbar gemacht werden, dass ein von ihnen entwickelter, nicht zugelassener Gentech-Reis die Felder von Bäuerinnen und Bauern in den USA kontaminiert hat. Eine Firma, die sich aus der Verantwortung stiehlt, indem sie im Nachhinein eine Vermarktungsgenehmigung für die USA erwirken will, zeigt blanken Zynismus gegenüber den Bäuerinnen und Bauern, die sie geschädigt hat, weil in Folge des Kontaminierungs-Skandals die Reispreise fallen. Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher wurden hinters Licht geführt. Sie wollen wissen, was sie essen.

Die rasche Zulassung des Gentech-Reises ist aber nicht nur aus ethischer Sicht umstritten. Sie ging selbst für amerikanische Verhältnisse erstaunlich rasch über die Bühne. Und die Reisfarmer sind nicht sonderlich begeistert darüber. Vielmehr wird in einzelnen Staaten ein Anbauverbot der von der Kontamination besonders stark betroffenen Sorte Cheniere angedacht. Man will schließlich nicht große Exportmärkte wie die EU oder Kanada verlieren. Außerdem sollte man den Verbraucherwunsch nach Gentechnik-freier Ware respektieren, raten Experten den Farmern (Schuld ist der liebe Gott ...).

Synthetische Gene bergen Risiken

Über die schnelle Zulassung ärgert sich auch der österre?chische Risikoforscher und Berater der Umweltschutzorganisation Global 2000, Werner Müller. Gegenüber Telepolis warnt er davor, dass dieses Vorgehen Schule machen könnte:

Diese Praxis führt dazu, dass alles, was nicht mehr kontrollierbar ist, einfach bewilligt wird. Man geht offenbar sehendes Auge in ein genetisches Chaos, mit tolerierten Verschmutzungen durch mehrere synthetische Gene.

Nach Ansicht Müllers würde man die Menschen über die grundsätzliche Problematik transgener Pflanzen allzu leichtfertig hinwegtäuschen.

Es muss klar werden, dass bei gentechnisch veränderten Pflanzen - meist mittels Schrotschussverfahren - synthetische, im Labor erzeugte Gen-Konstrukte in das Pflanzengenom hineinmanipuliert werden. Daraus ergeben sich zwei Gefahrenquellen. Zum einen sind solche synthetischen Konstrukte in dieser Zusammensetzung noch nie natürlich in einer Pflanze vorgekommen. Zum anderen ist die Methode unpräzise und man weiß nie genau wo das neue Material im Genom auftrifft und was es im System Pflanze auslöst. Es könnten etwa schlafende Allergene aktiviert worden sein oder auch toxische, also giftige, Substanzen.

Deshalb werde in der EU auch jedes einzelne Ereignis geprüft. Die Prüfverfahren werden derzeit überarbeitet und sollen noch strenger werden. Dazu Werner Müller:

Wir brauchen für alle Gentech-Pflanzen neue nachvollziehbare Bewertungsstandards. So muss der gesamte Bereich der Allergierisiko-Beurteilung neu aufgerollt werden. Bei der Toxizität müsste man korrekter Weise Langzeitversuche über 24 Monate durchführen.

Nachdem die US-Behörden keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch manipulierte Lebensmittel vorsehen, wird es dem amerikanischen Konsumenten kaum auffallen, was er isst. Und im Gegensatz zu den bisher in relevanten Mengen kommerzialisierten Gentech-Sorten, wie Mais und Soja, die überwiegend ihren Weg in d?e Futtertröge der Intensiv-Tiermast fanden, landet nun erstmals ein Grundnahrungsmittel in der Gentech-Variante direkt auf (nicht nur!) amerikanischen Tellern.

Bayer hat allerdings bereits angekündigt, den Gentech-Re?s LL 601 ebensowenig wie die beiden anderen – bereits zugelassenen – Sorten nicht zu kommerzialisieren. Offenbar g?ng es Bayer bei der nachträglichen Zulassung primär um Schadensbegrenzung für das Unternehmen in den USA. Allfällige Rückholaktionen hätten sicher eine schöne Stange Geld gekostet. Ob die US-Behörden mit derartigen Schnellverfahren auf lange Sicht der US-Bevölkerung und der Umwelt Gutes tun, darf in Frage gestellt werden. Und natürlich wird es auch für das kritische Europa enger, wenn sich immer mehr schlecht geprüfte Gentech-Varianten schleichend ausbreiten.