Nächste Konfrontation in der Ukraine?
Der Abzug der russischen JCCC-Offiziere hat zu verstärkten Kämpfen geführt. Wie üblich, beschuldigen sich beide Seiten gegenseitig, die OSZE versucht weiter, Informationen zu sammeln
Moskau hat unter Kritik an der ukrainischen Regierung und der Behandlung der russischen Offiziere die 75 Mitglieder des gemeinsamen Beobachtungsteams JCCC, das den im Minsker Abkommen vereinbarten Waffenstillstand beobachtet, am 19. Dezember ziemlich überraschend abgezogen. Im JCCC sind auch 75 ukrainische Offiziere sowie Repräsentanten der OSZE tätig. Kiew verurteilte den Abzug, bestritt die Vorwürfe und erklärte, in Folge auch die Beobachter aus den beiden "Volksrepubliken" abzuziehen, weil die Sicherheit nicht mehr gegeben sei.
Über die Motive des russischen Rückzugs gibt es natürlich Spekulationen, zumal damit die Beobachtung der Verletzungen des Waffenstillstands brüchig und die Möglichkeit geschaffen wird, dass eine der beiden Seite eine Offensive einleiten könnte. Möglicherweise spekuliert man in Moskau darauf, dass die Ukraine die "Chance" nutzen wird, um damit in eine Falle zu treten.
Sputniknews schürt in einem Artikel mit dem Titel Ukraine zur Donbass-Vernichtung durch Geschossregen bereit - Medien diese Vermutung, wenn mit Verweis auf eine russische Agentur gemeldet wird, dass die Ukraine Hunderte von Selbstfahrlafetten und Raketenwerfern gefechtsbereit gemacht habe. Am 18. Dezember habe es bereits einen verstärkten Beschuss gegeben, der allerdings, wie Sputniknews doch korrekt berichten muss, wechselseitig gewesen sei.
Der US-Sondergesandte für die Ukraine Kurt Volker gab seine Interpretation über Twitter kund, die auch klar macht, dass die Trump-Regierung, wie zuletzt deutlich in der vorgelegten Sicherheitsstrategie geworden, in den antirussischen Kurs der Vorgängerregierung eingeschwenkt ist. Seine Behauptung: "Russland zog seine Offiziere aus dem JCCC genau vor einer massiven Eskalation der Waffenstillstandsverletzungen zurück. Ukraine erlitt gerade die schlimmsten Kämpfe seit Februar 2017." Die Entscheidung für den Frieden liege allein bei Russland.
Aus dem US-Außenministerium heißt es, Russland und seine Proxies seien für die Gewalt in der Ostukraine verantwortlich. So wurde das Dorf Novoluhanske beschossen, viele Häuser beschädigt und 8 Zivilisten verletzt. Sprecherin Heater Nauert forderte Russland auf, die Angriffe zu beenden, die Streitkräfte zurückzuziehen und einer robusten UN-Friedensmission zuzustimmen. Der ukrainische Verteidigungsminister sagte, Russland wolle die Ukraine der Verletzung des Waffenstillstands beschuldigen.
Auf der Gegenseite wird von zahlreichen Angriffen auf die "Volksrepubliken" berichtet. Ein Russland-Donbass Integrationskomitee hat sich an die UNO gewandt und die Anerkennung gefordert, dass die Ukraine einen Völkermord an Zivilisten begeht.
Aber da gibt es auch noch die OSZE-Beobachtermission SMM, die meist kaum wahrgenommen wird. Sie notiert alle beobachteten und dokumentierten Waffenstillstandsverletzungen, einschließlich der Richtung, aus der die Angriffe erfolgten, ohne aber die vermutlich Schuldigen direkt zu benennen. Die gegnerischen Seiten übersehen in der Regel den Part, den sie selbst spielen, hier unterscheiden sich ukrainische und manche westlichen Medien und die russischen kaum. Die OSZE berichtete tatsächlich von zunehmenden Kämpfen in der Nacht vom 18. und 19. Dezember.
Um Donezk wurden beispielsweise 980 Explosionen gezählt. Zunächst soll ein Geschoss von Osten nach Westen geflogen sein. Darauf gab es 30 Explosionen, 305 Geschosse sollen vom Westen in den Osten abgeschossen worden sein, 190 in die Gegenrichtung. Am 19. Dezember scheint man vor allem aus der Volksrepublik Donezk geschossen zu haben. Es wird aber klar, dass beide Seiten sich an den Kämpfen beteiligen und meist nicht klar ist, wer begonnen hat. Deutlich wird aber, dass von einem Waffenstillstand kaum gesprochen werden kann, auch wenn es den Anschein macht, dass meist nur um sich mit allen möglichen Waffen geschossen wird. In Novoluhanske wurde bestätigt, dass Zivilisten durch Schrapnelle verletzt wurden, was aber etwa auch in von den Rebellen kontrolliertem Horlivka oder Kadiivka der Fall ist. In Kadiivka wurden mehrere neue Krater in Wohngebieten registriert.
Interessant ist, was die OSZE-Beobachtermission Über den Rückzug der russischen Offiziere berichtet. Am 19. Dezember verließen die russischen Offiziere danach ihren Posten und kehrten nach Russland zurück. In Horlivka sollen sich vier militärisch gekleidete Männer ohne Abzeichen den SMM-Mitarbeitern genähert und sich als die "neuen Repräsentanten des JCCC" bezeichnet haben. Sie würden die Aufgaben der vorhergehenden Repräsentanten übernehmen. Die vier Männer sollen mit dem Fahrzeug gekommen sein, das vorher von den russischen Offizieren in Horlivka benutzt wurde. In Dokuchaievsk sahen die SMM-Beobachter ein Mitglied der "Volksrepublik Donezk" in einem Büro, das dort zuvor von den russischen JCCC-Mitarbeitern genutzt worden war. Das könnte darauf hindeuten, dass Moskau mit dem Rückzug beabsichtigt, die Vertreter der "Volksrepubliken" zu den Verhandlungspartnern zu machen, während man sich eher weiter heraushalten will.
Schon von Anfang an drang Moskau allerdings auf direkten Gesprächen zwischen der Ukraine und den "Volksrepubliken", was die Ukraine aber abblockte. Gespräche erfolgen nur indirekt über die Kontaktgruppe in Minsk. Hier hat sich Russland angeblich bereit erklärt, die Mitwirkung am JCCC wieder unter bestimmten Bedingungen aufzunehmen. Inzwischen ist hier ein Waffenstillstand ab dem 23. Dezember vereinbart worden.