Nahost-Konflikt: Schwierigste Phase seit Jahrzehnten

Seite 2: Die neue Regierung in Jerusalem

Das unter dem Namen "Religiöser Zionismus" agierende Bündnis aus drei recht kleinen Parteien errang bei der Parlamentswahl Anfang November 14 der 120 Sitze und ist für Netanjahu der einzige Weg, Regierungschef zu bleiben – wegen seines laufenden Korruptionsprozesses haben alle außer jenen Parteien, die in der Regierung sitzen, eine Koalition unter seiner Führung ausgeschlossen.

Und die Beteiligung der Rechtsextremen hat ihren Preis: Sie forderten und bekamen, einen erheblichen Einfluss auf das Bildungssystem, Militär und Polizei, die Zivilverwaltung im israelisch besetzten Westjordanland. Außerdem rangen sie Netanjahu das Versprechen ab, den Siedlungsbau massiv voran zu treiben, ohne Genehmigung gebaute Siedlungen nach israelischem Recht zu legalisieren.

Auch nach dem Anschlag am Wochenende erfüllte Netanjahu nahezu jede Forderung der Religösen Zionisten: Israelis sollen nun leichter einen Waffenschein erhalten dürfen, den Familien von Attentätern der Zugang zu Sozialleistungen und sozialer Sicherung erschwert werden.

Dass Letzteres nach israelischem Recht gar nicht möglich ist, wischte Itamar Ben Gvir, ein mehr als 50 mal wegen Hassverbrechen angeklagter Anwalt, der heute Minister für innere Sicherheit ist, einfach weg: Man werde die Gesetze entsprechend ändern.

Normalerweise würde ein solches Gesetz umgehend vom Obersten Gerichtshof einkassiert werden, denn die arabischen Einwohner Ost-Jerusalems haben zwar überwiegend nicht die israelische Staatsbürgerschaft, sind ihnen aber seit der einseitigen, völkerrechtlich nicht anerkannten Annexion Ost-Jerusalems im Jahr 1980 in sozialrechtlichen Belangen gleich gestellt.

Doch die Regierung möchte auch durchsetzen, dass künftig eine einfache Parlamentsmehrheit Urteile des höchsten Gerichtshofes des Landes überstimmen kann.

Auch die Ausweitung des Rechts auf das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit bereitet israelischen Bürgerrechtsorganisationen Sorge: Sie befürchten, dass es verstärkt zu Selbstjustiz kommen könnte, denn es dürften vor allem rechte Israelis aus dem Umfeld der Siedlerbewegung sein, die sich um Waffenscheine bemühen.

Schon jetzt sind bewaffnete Siedler im Westjordanland ein alltägliches Bild; allerdings sind die Prüfungen vor Erteilung eines Waffenscheins strikt. So gut wie alle der rund 200 Palästinenser, die im vergangenen Jahr getötet wurden, starben in Konfrontationen mit dem israelischen Militär.

Nach dem Anschlag auf die Synagoge griffen Siedler aus dem Umfeld der Religiösen Zionisten unbeteiligte Palästinenser mit Steinwürfen an. Zwar mahnte Netanjahu zur Ruhe, doch ausgerechnet von Ben Gvir, nun wie gesagt Minister für innere Sicherheit, war kein einziges Wort zu hören. Stattdessen tun er und Bezalel Smotrich, der andere Führungspolitiker der Rechtsextremen, schon seit Wochen alles, um die Palästinenser zu provozieren und zu demütigen.

So erfuhr der palästinensische Außenminister Riad al-Maliki bei seiner Rückkehr von einer Reise nach Brasilien, dass Israels Regierung seine Erlaubnis zum freien Grenzübertritt widerrufen hatte. Die Grenzen ins Westjordanland werden von Israel kontrolliert; bislang war es jedoch Usus, dass palästinensische Regierungsmitglieder die Grenze uneingeschränkt überqueren dürfen.

Israels Regierung ließ keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Maßnahme um die "Strafe" dafür handele, dass die palästinensische Regierung im Dezember ein UN-Votum für eine Untersuchung durch den Internationalen Strafgerichtshof durchgesetzt hatte.

Kurz nach seiner Amtseinführung besuchte Ben Gvir zudem den Jerusalemer Tempelberg, der Standort der drittheiligsten Stätte des Islam und ehemaliger Standort des von den Römern zerstörten jüdischen Tempels ist. Smotrich indes zog mit mehreren Unterstützern durch Hebron, in dessen Zentrum sich auch eine der radikalsten israelischen Siedlungen im Westjordanland befindet. Die Israelis durchbrachen die Militärabsperrungen; nur mit Mühe konnten die Soldaten beide Seiten davon abhalten, aufeinander loszugehen.