Nancy Faeser und die Clankriminalität – das Kreuz mit der Beweislast

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Foto: Sandro Halank / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

In Berlin galten zuletzt 303 Tatverdächtige als "Clankriminelle". 279 weitere Personen wurden "Verflechtungen und Strukturen der Clankriminalität" zugerechnet – ohne Tatverdacht.

Berlin gilt als Hotspot der sogenannten Clankriminialität in Deutschland. Gerade haben die Senatsverwaltung für Inneres und Sport sowie die Polizei des Stadtstaats das "Lagebild Clankriminalität Berlin 2022" veröffentlicht.

Im vergangenen Jahr wurden diesem Bereich 872 Straftaten mit 303 Tatverdächtigen zugeordnet. Zum Vergleich: Insgesamt wurden 2022 in der deutschen Hauptstadt 519.827 Straftaten und 136.570 mutmaßliche Delinquenten registriert. 0,2 Prozent dieser Tatverdächtigen gelten als Angehörige krimineller Clans.

"Bei den Taten handelte es sich schwerpunktmäßig um Betrugsdelikte, Verkehrsstraftaten, Betäubungs-, Gewalt- und Eigentumskriminalität sowie Geldwäsche", teilte die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport am Freitag mit. "Zudem werden 66 Verdächtigen 89 Ordnungswidrigkeiten vorgeworfen. Diese basieren vor allem auf festgestellten Verstößen im Straßenverkehr und gegen das Waffengesetz."

303 Personen tatverdächtig, fast doppelt so viele stigmatisiert?

Den "Verflechtungen und Strukturen der Clankriminalität" wurden Ende 2022 allerdings fast doppelt so viele Personen zugerechnet, wie Tatverdächtige in diesem Bereich erfasst wurden: 582 Personen gelten demnach als irgendwie in kriminelle Strukturen verwickelt, nur 303 von ihnen werden aber konkreter Straftaten verdächtigt. Auf 279 weiteren Personen lastet also ein nicht näher begründbarer Verdacht.

Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gibt sich kämpferisch: "Ein Kriminalitätsphänomen, das sich über 30 Jahre hinweg entfalten konnte, muss auf allen Ebenen kontinuierlich und konsequent bekämpft werden", erklärte sie am Freitag. "Es gilt, diese abgeschotteten Strukturen, die unser Rechtssystem ablehnen und versuchen sich unserer Rechtsordnung zu entziehen, aufzubrechen und letztlich aufzulösen."

Spranger und die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik sind sich allerdings einig, dass "ebenso präventive Ansätze" verfolgt werden müssten. "Neben dem hohen, repressiven Druck, der immer wieder Ermittlungserfolge nach sich zieht, auf der einen Seite, liegt unser weiterer Fokus auf den präventiven Aspekten", versicherte Slowik am Freitag.

Es gilt, kriminellen Karrieren vorzubeugen. Unser Ziel ist es daher, vor allem jungen Menschen zum einen unmissverständlich klarzumachen, dass ihr Verhalten Konsequenzen nach sich zieht, dass der Rechtsstaat Straftaten nicht duldet.

Und zum anderen geht es darum, ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, sich trotz der vorherrschenden patriarchalischen, strikten Hierarchien sowie des starken Drucks des Zusammenhalts gerade in den Strukturen der Clankriminalität von diesen zu lösen. Erforderlichenfalls beinhaltet dies auch Schutzmaßnahmen für die betroffene Person.


Dr. Barbara Slowik, Polizeipräsidentin Berlins

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigt allerdings ihren Vorstoß, auch "Angehörige von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität" abzuschieben, denen strafrechtlich keine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nachweisbar ist, sofern ihr Aufenthaltsstatus das möglich macht. Personen also, die beispielsweise in Berlin "Verflechtungen und Strukturen der Clankriminalität" zugerechnet werden, ohne selbst tatverdächtig zu sein?

Auf welcher Grundlage diese Zurechnung genau erfolgt, blieb bisher nebulös. Ein entsprechendes Diskussionspapier aus Faesers Ministerium wurde vergangene Woche nicht nur von Linken und Linksliberalen scharf kritisiert.

Kritik auch von ungewohnter Seite

Sogar der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der vielen seiner CDU-Parteifreunde inzwischen zu rechts ist, nutzte die Gelegenheit, um den Verfassungspatrioten zu geben: "Faesers Vorschlag, Familienmitglieder von kriminellen Clanmitgliedern abzuschieben, auch wenn sie sich nicht selbst strafbar gemacht haben, kommt einer Sippenhaft gleich", twitterte Maaßen am Dienstag vergangener Woche. Das sei verfassungswidrig und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, betonte er.

Faeser betonte jedoch zum Wochenende im Gespräch mit der Rheinischen Post, dass es nicht allein um Verwandtschaftsverhältnisse gehe:

Es geht dabei um kriminelles Handeln, nicht um Verwandtschaftsverhältnisse. Der Familienname sagt nichts darüber, ob jemand kriminell ist.


Nancy Faeser (SPD)

Im besagten "Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung" ist allerdings die Rede von einer "Tatbestandsalternative für Angehörige von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität", mit der faktisch die Beweislast ausgehebelt werden soll:

Diese knüpft über den Straftatbestand des § 129 StGB Bildung krimineller Vereinigungen an die Angehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft an und ist unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung, auch nach § 129 StGB, oder dem Vorliegen von Verstößen gegen Rechtsvorschriften ausgestaltet.


Bundesministerium des Inneren und für Heimat / Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung, 2. August 2023

Nach Bekanntwerden der Pläne empfahl der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) Faeser bereits das demnächst im Nautilus-Verlag erscheinende Buch "Generalverdacht – Wie mit dem Mythos Clankriminalität Politik gemacht wird".

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