Napster: das pausenlose Herunterladen

Wie so viele andere, die sich das Programm installiert haben, wurde auch ich süchtig nach Napster - zumindest für einen Moment

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Und so funktioniert das Programm: Die Audiodaten der CDs, die ich auf einer Stereoanlage abspiele, können ohne weiteres auf meinem Computer in einem Dateiformat namens MP3 gespeichert werden. Jeder Song ist eine andere Datei, die ich aufrufen kann, um sie direkt auf meinem Computer oder auf einem tragbaren MP3-Player abzuspielen, der einem Walkman ohne Kassette gleicht.

Dank Napster kann jeder, der MP3-Dateien auf seiner Festplatte hat, diese ohne Mühen über das Internet mit jedem anderen austauschen. Habe ich einmal das Programm installiert, so kann ich die MP3-Dateien, die sich auf dem Computer eines anderen befinden, auf dem ebenfalls Napster läuft, durchsuchen und kopieren, ebenso wie alle anderen meine MP3-Dateien durchsuchen und kopieren können. Schätzungen über die Zahl der Napster-Benutzer reichen von einigen Hunderttausend bis in die Millionen.

Ein Großteil der Auseinandersetzungen über Napster oder die vielen anderen "File Sharing"-Programme, die noch entstehen werden, dreht sich um Verletzungen des Copyright. Ist es legal oder gar fair, wenn Kunden perfekte Kopien weiter geben und die Künstler sowie die Plattenfirmen um ihren Anteil an den Gewinnen bringen? (Zufälligerweise kann ich als Autor von Büchern, die weltweit von Tausenden von Studenten fotokopiert werden, ehrlich sagen, dass dies zumindest mich nicht stört, allerdings sicherlich meine Verleger.)

Diejenigen, die jetzt Napster aufgrund von Copyrightverletzungen anklagen, haben behauptet, dass jemand in dem Augenblick, in dem er einen urheberrechtlich geschützten Song in das Netz stellt, gegen das Gesetz verstößt. Aber die Benutzer von Napster laden ihre Songs nicht aktiv in das Internet. Sie machen einfach nur Dateien auf den Festplatten ihrer eigenen Computer anderen zugänglich. Das ist keine triviale Unterscheidung. Die Benutzer von Napster schicken oder laden keine Dateien irgendwohin, sie ermöglichen nur anderen Menschen, die Dateien auf ihren Computern zu kopieren. Das ist so, also würde ich jemanden in meine Bibliothek mit einem tragbaren Fotokopierer unter dem Arm eintreten lassen.

Die Befürworter des Programms sagen, dass Napster die Musikindustrie demokratisiert und weniger bekannten Bands ein neues Mittel in die Hand gibt, um ihre Musik auf einem Marktplatz zu vertreiben, der lange von monopolistischen Plattenfirmen beherrscht wurde. Besonders Studenten, die nicht genug Geld haben, um ihre permanent wechselnde Lust auf neue Musik zu befriedigen, haben in Napster eine Möglichkeit gefunden, ihre Versorgung mit Musik täglich zu ändern. Viele Benutzer sammeln übrigens neue Musik online und ziehen dann los, um trotzdem die CDs der Musiker zu kaufen.

Ich bin noch immer davon überzeugt, dass die Popularität von Napster und das fast süchtige Verhalten der Benutzer weniger mit der Liebe zur Musik zu tun hat als mit dem Hass auf die Musikindustrie. Es ist eine Verbraucherrevolte. Wie bei jeder Revolte geht es nicht um das Vergnügen, sondern um die Rebellion. Und wie bei allem, was mit Konsumieren zu tun hat, geht es darum, etwas zu erhalten, einzig aus dem Grund, es zu krigen.

Nur um dies richtig zu stellen: die Musikbranche hat die Monster selbst geschaffen, die sie nun wieder totklagen will. Als die Plattenindustrie ihren historischen Schritt von den Vinylplatten zu den billiger herstellbaren CDs machte, ging der Preis nicht herunter, sondern er stieg noch an. Der daraus erzielte Gewinn ging nicht an die Künstler, sondern an die Distributoren. Inzwischen haben die Werbeagenturen der Musikindustrie einen Hunger auf immer mehr Musik geschaffen, den sie nicht stillen kann, unabhängig davon, wie schnell sie neue "cookie-cutter-five-boy"-Singgruppen mit lustigen Frisuren ausspuckt.

Wie jeder Computerhack gegen eine Regierung oder ein Unternehmen, geht auch ein Verbraucherhack auf dasselbe Gefühl von Frustration und Ärger zurück. Ich habe das erste Mal, als ich erkannte, wie viele Musikstücke für mich durch über Napster über einen Mausklick zugänglich sind, eine überwältigende Aufregung empfunden. Ich lud die erste Nacht über 50 Stücke herunter, bis mir keine Namen mehr von Musikern einfielen, nach denen ich suchen konnte, und dann zufällige Begriffe wie "John" oder "love" verwendete, um Stücke zu finden, die ich vielleicht vergessen hatte.

Doch diese Gier hatte weniger mit der Wertschätzung der Musik selbst zu tun als mit der Tatsache, dass ich sie kostenlos haben konnte. Die meisten Songs, die man in den Napster-Bibliotheken findet, erhält man allerdings ebenso von den Hitparaden im Radio. Seit dieser ersten Woche habe ich jedenfalls Napster nicht mehr benutzt.

Ganz tief unten spricht Napster diejenigen von uns an, die sich nicht vorstellen können, warum man sich in einer Warteschlange anstellen sollte, wenn man nicht an deren Beginn etwas erhält. Heutzutage bedeutet dies die Mehrzahl der Menschen - dank einer endlosen Folge von Verkaufstaktiken, die so inszeniert werden, dass wir uns selbst als Verbraucher verstehen. Manchmal befürchte ich, dass die vom Internet versprochene Befreiung sich nur auf eine Beschleunigung dieser Tendenz reduziert hat.

Internetbegeisterte wie Nicholas Butterworth, der Vorstand von MTVInteractive, weisen schnell darauf hin, dass das Internet den Kauf- und Selektionsprozess verschmilzt und den Verbrauchern ermöglicht, die von ihnen gewünschte Musik ohne ermüdende Suche und ohne erst ihren Freund fragen zu müssen, was gut ist, zu erhalten. Aber das ist hoffentlich nicht so, da ich nicht glaube, dass Musik oder, in diesem Fall, Musikaufnahmen, ein Selbstzweck sind. Ich denke, sie sind eine Entschuldigung für eben die Interaktionsformen, die Menschen wie Butterworth als Hindernisse für einen mühelosen Konsum betrachten. Die Musik ist der Grund, den wir haben müssen, um miteinander sprechen, den anderen in seiner Wohnung besuchen und mit ihm zusammen Musik anhören zu können.

Ich habe verschiedene "community chat rooms" von Napster besucht, aber niemanden gefunden, der sich mit mir unterhalten wollte, obgleich Tausende von Menschen online waren. Ich schrieb immer wieder "hello?" in das Chat-Fenster, bis endlich jemand antwortete: "Was willst du?!" Jeder war einfach zu sehr beschäftigt damit, sich gierig Musik von den Festplatten der anderen herunter zu saugen, um irgend etwas anderes machen zu können. Das könnte man "das pausenlose Herunterladen" nennen.

Das Zweck des Spiels sollte freilich nicht einfach sein, immer mehr Musikstücke auf der eigenen Festplatte anzusammeln. Dieses Ziel befriedigt nur einen geistlosen, von der Industrie gut trainierten Musikkonsumenten, wobei es nicht darauf ankommt, ob er die Musik kauft oder stiehlt. In diesem Sinn ist der Napstersüchtige weniger ein Rebell als ein Opfer.

Copyright 2000 by Douglas Rushkoff
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Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Rötzer