Nasenspray gegen Fremdenfeindlichkeit?
Seite 2: Utopie des besseren Menschen
- Nasenspray gegen Fremdenfeindlichkeit?
- Utopie des besseren Menschen
- Auf einer Seite lesen
Rene Hurlemann und Kollegen sind tatsächlich nicht die ersten, die die Hirnforschung in Stellung bringen, um einen neuen, besseren Menschen zu schaffen. Die Enhancement-Diskussion (Stichwort: Gehirndoping) ist ein anderes Beispiel (Gehirndoping und die süchtige Arbeitsgesellschaft). Die gesellschaftliche Diskussion hierum entschärften liberale bürgerliche Ethiker mit dem Hinweis, dass Menschen ja aus freien Stücken zu Psychopharmaka oder anderen Neuro-Technologien griffen. Sie kamen nicht darauf, dass immer mehr Menschen Angst vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung haben und daher zu diesen Mitteln greifen, die mehr Leistungsfähigkeit versprechen (Lieber Anpassung als Abstieg).
Ein besonders problematischer Vorschlag kommt von keiner geringeren als der schwedischen Bioethikerin Kathinka Evers von der Uppsala Universität: Sie machte den Vorschlag, neurowissenschaftliches Wissen derart zu verwenden, dass Intoleranz und Aggressivität biologisch-genetisch aus dem Menschengeschlecht verbannt werden. Tatsächlich hält sie dies sogar für eine moralische Pflicht (siehe hier meine Replik).
Man züchte sich ein Menschengeschlecht
Das Ziel dieser Intervention sind Kinder und Jugendliche, also gerade solche Menschen, die im Allgemeinen als nicht oder jedenfalls nicht voll einwilligungsfähig angesehen werden. Einen Begriff wie "Automonie" oder "Selbstbestimmung" sucht man im Denken der Ethikerin vergeblich. Dabei muss man wissen, dass Evers im Milliardenprojekt der EU, dem Human Brain Project, mit der Leitung des ethisch-sozialen Forschungsteils bedacht wurde. Ein Schelm, wer jetzt denkt, auf solche Ethik-Posten würde man bewusst Akademiker setzen, von denen man keine Querschüsse zu befürchten hat.
Man sollte jedoch auch mit der Kritik an Hurlemann und Kollegen nicht übers Ziel hinausschießen. Sie gehen nicht so weit, den Einsatz von Oxytocin-Spray auf der nächsten Versammlung von Rechtsradikalen zu empfehlen. Dennoch unterstreichen sie die soziale Relevanz ihrer Studie mit Blick auf gesellschaftspolitische Entwicklungen - und stellen sie konkrete Vermutungen dazu auf, unter welchen Umständen man das Hormon am effizientesten einsetzen könnte.
Generelle Kritik an Oxytocin-Forschung
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass man die ganze Oxytocin-Forschung nicht zu ernst nehmen sollte. Schon vor Jahren wurden Witze gemacht, dass etwa Gebrauchtwagenhändler ihren Kunden mit Oxytocin-Spray Vertrauen einflößen und so das Geld aus der Tasche ziehen könnten. Tatsächlich dürfte es sich hierbei genauso um einen Hype und Mythos der Hirnforschung handeln, wie schon bei den "Spiegelneuronen".
In letzter Zeit mehren sich dann auch kritische Berichte zu den Oxytocin-Studien (Zweifel an Aussagekraft von Oxytocin-Studien). Die Kritik ist sogar schon bei Kabarettisten wie John Oliver angekommen, die - völlig zu Recht - weitreichende Versprechen von Forschern wie Paul Zak, einer der Pioniere der Oxytocin-Studien, auf die Schippe nehmen.
Problemfälle der Psychiatriegeschichte
Doch würde man von deutschen Psychiatern etwas mehr historische Feinfühligkeit erwarten: Wie oft sind denn schon die Versuche schief gegangen, Menschen durch Pillen, Spritzen, Elektroschocks oder gar Gehirnoperationen an gesellschaftliche Normen anzupassen? Während der beiden Weltkriege waren es die "Kriegszitterer", noch bis in die 1970er Jahre die Schwulen.
Es ist die Aufgabe der Psychiatrie, psychisch kranken Menschen zu helfen, nicht politische Probleme zu lösen. Allein schon der Gedanke, soziale Probleme im Gehirn von Individuen zu behandeln, birgt politischen Zündstoff (Wenn Psychologie politisch wird: Milliarden zur Erforschung des Gehirns). Er dekontextualisiert und depolitisiert, um zwei Fachbegriffe aus der soziologischen Diskussion zu verwenden.
Mit anderen Worten: Er entfernt etwa das Problem Fremdenfeindlichkeit aus dem Kontext, in dem es entsteht, nämlich unserer Gesellschaft, und verschleiert damit auch die sozialen Ursachen solcher Gesinnungen. Gerade jemand, dem nach eigenem Bekunden die Lösung des Problems am Herzen liegt, sollte sich nicht an so einem Ablenkungsmanöver beteiligen.