Naturschutz oder Menschheitsschutz?

Seite 2: Was ist "Natur"?

"Natur" als Terminus hat also historisch eine starke Entwicklung durchlaufen. In den animistischen Glaubenssystemen archaischer Gesellschaften war die Natur ein organisches Gewebe von Geistkräften und Gottheiten, die verehrt oder gebannt werden mussten, um das eigene Leben und die eigene Gesundheit zu schützen.

Mit dem Sesshaftwerden nahmen existenzielle Bedrohungen konkrete Formen an, gegen die mit strukturellen Maßnahmen gewisse Vorkehrungen getroffen werden konnten: Seien es Flut, Brand, schlechtes Wetter oder Schädlingsbefall.

"Natur" wurde als Rohstoff- und Nahrungsquelle verstanden und schließlich zu einem romantisch kostbaren Objekt. Aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde "Natur" verstärkt als ganzheitlich zu schützende Voraussetzung für menschliches Leben begriffen. So wird Naturschutz beispielsweise definiert als "die Aktivitäten, die beabsichtigen, ein gutes Verhältnis des Menschen mit der Natur zu etablieren, aufrechtzuerhalten oder es zu verbessern".

Das klingt zunächst einmal nach einer Binse, die dem allgemeinen Verständnis entspricht. Aber trifft diese Definition wirklich zu? Denn: Was ist "Natur" eigentlich?

Natur ist unglaublich komplex, unglaublich vielfältig, unglaublich ästhetisch, ihre Kreationen voller Gefühle und Emotionen. Aber die Natur insgesamt folgt fern aller moralischen Kategorien den Naturgesetzen. Sie ist ein Mechanismus, der, poetisch formuliert, Seele gebiert, der selbst aber seelenlos ist.

Dementsprechend beurteilt die Natur das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten nicht. Die Hauptursache des galoppierenden Artensterbens ist heutzutage der Mensch. Daher ist das Verlangen verständlich, die Natur vor dem Eingriff des Menschen zu schützen.

Dabei wird aber übersehen, dass es gerade die Natur ist, die Ökosysteme en gros vernichtet, und zwar ganz ohne menschliche Mithilfe. Vor der kaum zu erfassenden Zeitspanne von etwa 66 Millionen Jahren wurde ein Ökosystem vernichtet, das sich in noch weniger greifbaren rund 250 Millionen Jahren entwickelt hatte, und zwar vermutlich nach einem vorangegangenen Massensterben – das seinerseits möglicherweise von einer Klimaerwärmung ausgelöst wurde.

Diese als Mesozoikum bezeichnete Epoche brachte immer neue Gattungen an Lebewesen hervor. Manche von ihnen konnten sich über Millionen Jahre behaupten.

Es genügte vermutlich ein Kometeneinschlag, vielleicht in Kombination mit anderen Naturkatastrophen, um dieser scheinbar ewig währenden Blüte ein abruptes Ende zu setzen. Fast die gesamten Errungenschaften der Evolution wurden mit einem Schlag vernichtet. Die Erde verwandelte sich zu einem nach erdgeschichtlichen Maßstäben kurzzeitig so unwirtlichen Ort, wie die Menschheit es (hoffentlich) niemals bewerkstelligen wird.

Doch selbst diese Katastrophe war nur eine leichte Fingerübung für die Natur. Ganz gleich, wie reichhaltig und vielfältig die Ökosphäre der Erde ist, sie wird in wenigen Milliarden Jahren den Hitzetod sterben – sogar die Erdkruste wird wohl schließlich schmelzen. Schuld daran wird unsere eigene Sonne sein, die sich zu einem Roten Riesen aufblähen wird.

Anschließend wird sie selbst jenen Tod erleiden, der jeden Tag Millionen Sterne im Universum ereilt. Sie wird in sich zusammenfallen und auskühlen. Von unserem Sonnensystem sind dann allenfalls noch Ruinen übrig. Wohlgemerkt: Keine Ruinen auf der Erde, keine Ruinen menschlicher Schöpfung, sondern Planetenruinen, gemessen in verglühten Himmelskörpern, Staubwolken und kosmischer Strahlung. Für die Natur sind derlei Katastrophen Alltag.

Damit wird deutlich, dass der Gedanke des "Naturschutzes" unzutreffend ist. Wir sind Teil der Natur und können diese Natur so wenig schützen, wie wir die Zeit zurückdrehen können, die im Übrigen ebenfalls Teil der Natur ist.

Und selbst, wenn wir unter der Natur das verstehen wollen, was uns tagtäglich an Gewachsenem umgibt: Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen; dieses zu schützen, gibt es aus der Perspektive der Natur keinen Grund.

Denn die Natur besitzt keine Moral. Die Menschheit ist für sie nicht mehr als ein weiterer evolutionärer Faktor, eine Konsequenz ihrer Mechanik.

Was dieser Faktor bewirkt, die Veränderung von Lebensräumen, die Vernichtung von Arten, bleibt Natur, nicht anders als die Folgen eines Meteoriteneinschlags oder des Auftretens einer den lokalen Arten überlegenen Tierart.

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