Netz-Journalismus wird anders - oder er wird nicht sein

Seite 3: Teil-Müdigkeit, Vernetzungsmuffel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Leider unterhält der Autor dieser Zeilen keinen eigenen Think Tank mit angeschlossener Statistik-Abteilung. Was Medien-Mogule und Marketing-Abteilungen wissen, aber ihren Lesern nie sagen würden: wie es wirklich mit ihren Interessen und Gewohnheiten steht.

Wohl nur relativ wenige sammeln und ordnen großflächig Browser-Lesezeichen für interessante Websites abseits des Mainstreams - und gehen diese dann ständig aufs Neue durch. RSS-Feed-Reader fristen seit ihrer Erfindung eine Randexistenz. Mail-Abonnements neuer Blog-Beiträge werden wg. Informationsflut eher gemieden. Man hat eh schon genug Spam im Posteingang.

Was eigentlich gefragt ist, sind offensichtlich grafisch attraktive Übersichten mit ständig neuen Inhalten, wie nur große Plattformen sie bieten. Und dann sind da noch Facebook und Twitter - in Deutschland weitaus mehr das Produkt aus dem Hause Zuckerberg. Auf Facebook hängen die Inhalte ab von den eigenen "Freunden", die Beiträge auf der Startseite teilen ("Filterblase"). Es gibt außerdem Gruppen - doch jene zu politischen Themen beschränken sich im Höchstfall meist auf wenige Tausend Mitglieder, die überdies mehrheitlich Karteileichen sind. Sie schauen relativ selten proaktiv auf die Gruppenseite und bekommen das meiste nicht mit.

Und dann ist da noch dieses Political-Correctness- und Überwachungs-Ding. Das Internet fördert zwar den Pluralismus, die Opposition bis zur Radikalität. Doch zumal in Zeiten der verstärkten Beobachtung bis Zensur von Facebook & Co. beginnt dieses zarte Pflänzchen schon wieder zu darben. Viele Beruftstätige scheuen sich, unter Klarnamen "politisch verdächtige" Internet-Seiten auch nur zu teilen, d.h. einen Link an ihre Freunde und Follower zu übermitteln und ggf. selbst zu kommentieren.

Selbst das, was in den dezidiert medienkritischen Gruppen auf Facebook geteilt wird, stammt dann nicht selten wieder aus Mainstream-Quellen. Das ist oft inhaltlich auch nicht verkehrt - bestätigt doch auch ein kleinerer Teil der großen Menge von Neuigkeiten aus großen Redaktionen das, was man nur noch schärfer zu akzentuieren und zu kommentieren braucht, um daraus eine gegenkulturelle, oppositionelle Äußerung zu machen. Und man kann sich dann überdies auf eine angeblich ‚vertrauenswürdige‘, jedenfalls allgemein akzeptierte Quelle berufen.

Der Effekt ist, dass zwar viele eine ganze Bandbreite unabhängiger Seiten schonmal besucht haben. Zur selbstständigen Weiterverbreitung fühlen sie sich jedoch kaum verpflichtet. Sie schimpfen auf die real exisitierende Lügenpresse - aber eine Graswurzel-Revolution ist mit ihnen bisher nicht zu machen. Mit einem Hut in der Fußgängerzone ist mehr Geld zu verdienen als mit einem Spenden-Button neben aufwändig erstellten unabhängigen Website-Inhalten.

Noch schlimmer verhält es sich mit der Asymmetrie von Verlinkungen in Beiträgen: Neben jenen, die eine Netzkultur mit flachen Hierarchien ernstnehmen und nicht zuletzt Quellen ihrer eigenen Texte durch direkte Verlinkung sichtbar machen, vermeiden die etablierten großen Seiten dies weitgehend - obwohl sie meist selbst ungenannt auf den Äußerungen anderer aufbauen.

Schon Leser-Kommentare mit Links zu anderen Seiten werden mehrheitlich erst gar nicht freigeschaltet. (Hinzu kommt für die Spezialisten noch das Thema link juice, also schlechtere Google-Position bei vielen Links im Beitrag.) - Was große Pressehäuser hier praktizieren, ist ebenso das feudale Gebaren derer, die nehmen, aber nicht geben - das Internet als unerschöpfliche Quelle der kostenlosen Themenfindung, die eigene Seite als scheinbar nur auf eigenem Mist gewachsenes angebliches Edel-Produkt, das gleichwohl von gut gemachten Blogs etc. immer ununterscheidbarer wird und diese klammheimlich als Ideen-Steinbruch und Hintergrund-Information nutzen kann.

An Zynismus gewöhnte Medienmacher skandieren beim Lesen dieses Artikels schon seit Minuten: "Heul doch!" Dass ihre Bastionen schon bröckeln, wissen sie allerdings meistens selbst. Die Kritiker von Rundfunk-Gebühren etwa werden sie wohl so schnell nicht wieder los.

Doch nicht zuletzt die bodenlose Gratis-Kultur des Internets zeigt, dass mit einer Abschaffung von Gebühren allein die wesentlichen Probleme noch nicht gelöst sind. Es gäbe v.a. noch mehr Arbeitslose und Einschränkungen geordneter und solider Arbeitsformen. Die Marktführerschaft übernähme endgültig ein privater Anbieter, der es sich leisten kann, auf breiter Basis defizitär zu wirtschaften.

Eine der wenigen Gegenmaßnahmen wäre die Bildung größerer unabhängiger Portale. Eine Initiative wie Net-News-Express ist eine der wenigen langlebigen wichtigen Alternativen (leider mit proportional zu vielen Links der großen Nachrichten-Seiten). Doch je geringer die ökonomische Basis, desto kleiner der Zusammenhalt und auch die praktische Umsetzbarkeit gemeinschaftlicher Projekte, die anspruchsvolle Organisation, Wartung und Aufmerksamkeit erfordern sowie im Impressum einen Verantwortlichen aufführen. Man müsste ihn erstmal dafür bezahlen, dass er diese Verantwortung übernimmt.