Netzfragen zur Bundestagswahl: Facebook hat Fake News "absolut unterschätzt"
Seite 3: Fake News-Debatte
Fake News sind wahrscheinlich zum Thema des Jahres geworden. Immerhin haben die Falschmeldungen womöglich sogar eine Präsidentschaftswahl beeinflusst. Steht auch die Bundestagswahl im September vor dieser Gefahr?
Lars Klingbeil: Wir haben bei den Brexit-Entscheidungen und bei den Präsidentschaftswahlen in den USA und in Frankreich gesehen, wie gezielte Falschmeldungen, oft getarnt als vermeintlich seröser Journalismus, verbreitet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass es auch in Deutschland Versuche geben wird, mit entsprechend gezielten Falschmeldungen Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen.
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz der SPD sollen soziale Netzwerke für Fake News und Hate Speech mit Strafgeldern in die Mangel genommen werden, wenn diese entsprechenden Posts nicht binnen vorgegebener Zeiträume entfernen. Warum ist das nach Meinung Ihrer Partei der einzige Weg, um Fake News und Hate Speech zu bekämpfen?
Lars Klingbeil: Es ist nicht der einzige Weg, aber es ist ein wichtiger Baustein. Es geht nicht um ein Fake-News-Verbot oder um Zensur und auch nicht um Netzsperren. Es geht um die Durchsetzung des geltenden Rechts und um die Verfolgung von Rechtsverletzungen, auch in den sozialen Netzwerken. Die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht beginnt. Die Tatsache, dass Menschen im Internet Hass verbreiten, kann man nicht allein durch das Recht lösen. Notwendig ist darüber hinaus ein stärkeres zivilgesellschaftliches Engagement, um beispielsweise Betreiber auf entsprechende Inhalte hinzuweisen und Rechtsverletzungen anzuzeigen, da Löschung von strafbaren Inhalten allein keine Lösung ist.
Experten gehen davon aus, dass Ihr neues Gesetz die Meinungsfreiheit enorm gefährdet. Beispielsweise würden soziale Netzwerke fragwürdige Posts möglicherweise zu schnell löschen. Ist dies getreu dem Motto "Einen Tod muss man sterben" das kleinere Übel, das wir in Kauf nehmen müssen?
Lars Klingbeil: Die Meinungsfreiheit wird durch das Netz nicht in Frage gestellt und selbstverständlich müssen wir unseren demokratischen Diskurs schützen. Strafrechtlich relevante Inhalte müssen im Netz verfolgt werden. Kritisiert wird, dass es mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung und zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit kommen könnte. Dies insbesondere deswegen, weil die Betreiber der sozialen Netzwerke entscheiden sollen, ob Inhalte rechtswidrig sind und weil der Entwurf ausschließlich das Nicht-Löschen sanktioniert, nicht aber das Löschen von rechtmäßigen Inhalten.
Diese Argumentation übersieht, dass das Gesetz keine neuen Straftatbestände schafft, sondern lediglich die bereits bestehenden Pflichten konkretisiert. So haften Betreiber von sozialen Netzwerken bereits heute, wenn sie nicht tätig werden, wenn sie von Rechtsverletzungen ihrer Nutzer Kenntnis bekommen. Das Gesetz stellt lediglich klar, dass Betreiber sozialer Netzwerke ein effektives Beschwerdemanagement vorhalten müssen, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Wir prüfen im parlamentarischen Verfahren, ob es Klarstellungen zum Schutz vor Overblocking und einen stärkeren Rechtsschutz vor unberechtigter Löschung geben muss.
Sie scheinen sehr überzeugt von dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu sein. Ihre Partei wird demnach sicherlich nicht mit so viel Wirbel und Protest gerechnet haben.
Lars Klingbeil: Ja, also man muss sagen, es gab ja ein Fraktionspapier, über das Heiko Maas dann hinausgegangen ist. Ich glaube, wenn man sich strikt an dieses Papier gehalten hätte, wäre der Protest noch milder gewesen. Sagen wir's so: Auf Veranstaltungen gibt es immer eine Einigkeit darüber, dass Facebook mehr Verantwortung übernehmen muss.
In dem Gesetz sind aber Sachen drin, die wir in parlamentarischen Verfahren aushandeln wollen. Also es gab mal so eine Sieben-Tagesfrist für Dinge, die unklar sind. Die wird sehr kritisch gesehen, auch von uns. Wir haben auch nochmal darauf gedrungen, dass wir die regulierte Selbstregulierung stärken, die aus anderen Bereichen ja sehr kampferprobt ist und wo man auch sieht, es gibt gute Erfahrungen damit. Und was mir immer sehr wichtig war: die Frage Auskunftsanspruch. Also dass der Post wirklich auch reduziert wird auf Persönlichkeitsverletzung und dass es einen Richtervorbehalt gibt. Das sind so Punkte, die jetzt im parlamentarischen Verfahren diskutiert wurden, wo ich auch sehr optimistisch bin. Und dann ist das ein Gesetz, dem man auch noch zustimmen kann. Ich glaube, dass der Protest dann abgemildert wird.
Bislang haben wir nur über die Vorteile des neuen Gesetzes geredet. Aber worin liegt das Kleingedruckte?
Lars Klingbeil: Das ist schwierig zu bewerten. Also wir verändern natürlich schon ein Stück weit die Art und Weise, wie Facebook bisher agiert hat. Die haben sich ja die letzten zwei Jahre einfach in den runden Tischen immer zurückgelehnt und gesagt, das geht sie nichts an. Sie müssen dann Verantwortung tragen und die Angst, die viele haben, ist natürlich das Overblocking. Aber da wird auch durch eine Klarstellung nochmal am Gesetz gearbeitet, dass man ein Bußgeld nicht bekommt aufgrund eines einzelnen Posts, mit dem man falsch umgegangen ist, was vermutlich richtig gewesen wäre, sondern weil man einfach kein effektives Beschwerdemanagement hat. Und dann kann man erst mit einem Bußgeld versehen werden. Und das nimmt dann auch ein bisschen die Gefahr des Overblockings. Ansonsten können Sie mich momentan nicht nach Nachteilen fragen, wo ich gerade im parlamentarischen Verfahren dafür kämpfe, dass da noch viele Vorteile hineinkommen. Und die Gespräche, die ich führe, sind auch eher so, dass Leute sagen, mit den Änderungen ist es jetzt dann auch gut.
Können Sie die Kritiker, welche eine Zensur des Internets befürchten nachvollziehen?
Lars Klingbeil: Ich verstehe die Sorge, ich glaube aber, dass es mit dem Gesetz, wie es am Ende verabschiedet wird, nicht mehr gegeben ist. Und ich will auch sagen, ich habe mich schon gewundert, wer alles in einer Diskussion milliardenschwere Unternehmen unterstützt. Weil ich schon sehe, wir haben Entwicklungen im Netz gehabt, die man auch wirklich ernst nehmen muss und wo man sich als Staat auch drum kümmern muss.
Welche Maßnahmen sollten soziale Netzwerke abseits vom Gesetz und den bisherigen Methoden in Ihren Augen noch gegen Fake News einleiten?
Lars Klingbeil: Bei dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz geht es um offensichtliche Rechtsverletzungen und ich glaube, der Kampf gegen Fake News ist ein ganz anderer. Erstmal irritiert mich in unserer gesellschaftlichen Debatte, dass man so etwas bekämpfen oder verhindern könnte, aber es gehört dazu - eine andere Meinung muss man noch aushalten.
Das Problem entsteht, wenn Fake News massenhaft mit politischem oder kommerziellem Interesse produziert werden. Da kann Facebook natürlich viel tun, zum Beispiel dass diese Seiten keine Werbung mehr schalten können. Facebook kann auch prüfen, wo Bots sind, die das verbreiten. Ich glaube allerdings der grundsätzliche Ansatz muss sein, dass man auch Initiativen verstärkt die beispielsweise in Debatten einmischen. Es gibt hier positive Beispiele wie "#ichbinhier" und dann haben wir natürlich noch viel im Bereich digitale Bildung. Erkennen, wo Fake News verbreitet werden, nicht immer glauben, was im Netz verbreitet wird. Das wäre natürlich ein viel grundlegender und langfristiger Ansatz, aber in meinen Augen der erfolgreichere.
Facebook hat im April mit Tipps geworben, wie Fake News leichter erkannt werden sollen. Außerdem will das soziale Netzwerk aggressiver gegen Falschmeldungen vorgehen. Auch Google startete in Deutschland mit seinem eigenen Faktencheck. Sind diese Maßnahmen geeignet zur Entlarvung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema?
Lars Klingbeil: Diese Ankündigungen kommen zwar spät und insbesondere Facebook hat anfangs dieses Phänomen absolut unterschätzt. Ich begrüße aber, dass die Anbieter sozialer Netzwerke endlich Ihrer Verantwortung nachkommen. Die Anbieter von sozialen Netzwerken müssen sicherstellen, dass Geschäftsmodelle, die auf der Verbreitung von Fake News und den damit verbundenen Werbeerlösen basieren, nicht mehr möglich sind. Erste Maßnahmen hierzu haben die Anbieter mit Änderungen ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereits ergriffen.
Ist der Thematik Bots im Social Media-Bereich durch gesetzliche Maßnahmen zu begegnen und wie könnten diese aussehen?
Lars Klingbeil: Geprüft werden sollte aus meiner Sicht eine Kennzeichnungspflicht von social Bots. Social Bots können auch dazu genutzt werden, demokratische Diskurse zu vergiften und die öffentliche Willensbildung zu manipulieren. Eine solche Kennzeichnungspflicht automatisch generierter Nachrichten könnte einen Beitrag dazu leisten, diese als solche zu erkennen und entsprechend einordnen zu können.
Das Internet ist mehr noch als andere Medien ein Spiegel der Meinungs- und Redefreiheit in einer Gesellschaft. Können gesetzliche Maßnahmen zur Regulierung von Bots unter diesem Gesichtspunkt als legitime Schritte gesehen werden?
Lars Klingbeil: Transparenzvorgaben, ob man mit einer Maschine oder einem Menschen kommuniziert, sehe ich nicht als Eingriff in die Meinungs- und Redefreiheit an.