Netzfragen zur Bundestagswahl: Facebook hat Fake News "absolut unterschätzt"

Seite 4: Datenschutz und Privatsphäre

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Die SPD schreibt auf ihrer Website, die Weitergabe von Daten "an die vorherige Einwilligung der Betroffenen zu knüpfen". Trotzdem hat die SPD die Vorratsdatenspeicherung nicht verhindert, weshalb?

Lars Klingbeil: Es gab einen Beschluss des SPD-Konvents zum Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten und die Mehrheit hat sich für diesen Gesetzentwurf ausgesprochen. An die Entscheidung sind wir gebunden. An meiner Position zur Vorratsdatenspeicherung hat sich nichts geändert. Ich halte die Vorratsdatenspeicherung weiterhin für falsch und setze mich auch in Zukunft dafür ein und werbe dafür, dass wir auf deutscher und auf europäischer Ebene auf dieses Instrument verzichten.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde Ende Juni als europarechtswidrig eingestuft. Für Sie persönlich dürfte dies ein Erfolg darstellen, doch wie steht die SPD dem Gerichtsurteil gegenüber?

Lars Klingbeil: Ich sehe das als absoluten Erfolg. Ich gehöre ja zu denen, die einen Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung innerhalb der SPD-Fraktion angeführt haben. Und ich sehe das auch als sozusagen späte Bestätigung meiner Position. Wir müssen jetzt natürlich noch schauen was für Auswirkungen das hat, aber in meinen Augen ist damit das Ende der Vorratsdatenspeicherung mal wieder eingeleitet.

Wie sehen Sie die Position Ihrer Partei, wenn die Vorratsdatenspeicherung weiterhin festgehalten werden sollte, auf politischer Ebene?

Lars Klingbeil: Ich würde meiner Partei dringend raten, von der Positionierung, dass man für die Vorratsdatenspeicherung ist, abzuweichen. Ich muss allerdings zur Kenntnis nehmen, dass es beim letzten Mal, als wir darüber abgestimmt haben, eine 60-prozentige Mehrheit gab. Also das Abstimmungsverhalten auf dem Parteikonvent war 60 Prozent dafür, 40 Prozent dagegen. Trotzdem muss die Partei es auch zur Kenntnis nehmen, dass es schon wieder erste Gerichtsurteile gibt, die das ganze grundlegend in Frage stellen.

Ich bin mir sicher, weitere Entscheidungen werden folgen und deshalb macht es Sinn die Positionierung für die Vorratsdatenspeicherung aufzugeben. Zumal ich sozusagen neben dem juristischen den konkreten Nutzen auch nach wie vor in Frage stelle.

Wollen Sie Verschlüsselungsverfahren, die nach derzeitigem Sachstand nicht oder nur mit extremem technischen Aufwand überwunden werden können, in ihrer Anwendung beschränken?

Lars Klingbeil: Nein, im Gegenteil. Wir wollen den Einsatz von vertrauenswürdigen Verschlüsselungsverfahren fördern.

Beschreiben Sie Ihre Position zur Forderung nach staatlichen Hintertüren in den Verschlüsselungen von Messengern und anderen Kommunikationsdiensten. Hilft eine staatlich verordnete Schwächung von Verschlüsselungsverfahren dabei den (inter)nationalen Terrorismus zu bekämpfen? Beschreiben Sie Ihre Einschätzung.

Lars Klingbeil: Die SPD lehnt die Forderung nach staatlichen Hintertüren grundsätzlich ab. Eine solche Schwächung von Verschlüsselungsverfahren würde auch keinen Beitrag zur Bekämpfung von Straftaten bedeuten, sondern die Sicherheit unsrer IT-Systeme insgesamt gefährden.

Obwohl Sie für Verschlüsselung sind, hat Ihre Partei kurz vor der Sommerpause die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen eingeführt, staatliches Hacken. Widerspricht das nicht Ihrem eigenen Prinzip, immer zuerst die Betroffenen einwilligen zu lassen?

Lars Klingbeil: Also es gibt ja heute schon das BKA-Gesetz. Wenn ich zum Beispiel einen konkreten Terrorverdacht habe, konnten auch schon vor der Quellen-TKÜ Instrumente davon angewandt werden. Also ich habe das heute schon für den Moment, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, gerade im Bereich Terrorabwehr. Das Problem ist nur, dass die Behörden das nicht anwenden, weil sie keine technischen Lösungen dafür haben.

Ich bin auch gar nicht dagegen, dass die Sicherheitsbehörden das anwenden können, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, nur dass das mit der Quellen-TKÜ und der der Online-Durchsuchung im Parlament beschlossen wurde, geht weit über das hinaus, weswegen ich ja auch zu den zwei Abgeordneten aus der SPD-Fraktion gehört habe, die dagegen gestimmt haben im Plenum. Ja, weil ich glaube, dass das verfassungsrechtlich bedenklich ist, dass das technisch bedenklich ist und mir bisher sozusagen niemand die Sorge nehmen konnte, dass es manipulierbar ist an vielen Stellen. Aber dass man natürlich, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, auch Möglichkeiten braucht, um Kommunikationen abzufangen, da habe ich kein Problem mit. Ich will nur, dass das verfassungsrechtlich auf einem sauberen Boden steht.

Anstatt Messenger zu Backdoors zu zwingen, wollen Sie künftig also in jedes System eindringen und sämtliche Inhalte mitlesen. Ähnlich geht es auch bei der NSA zu: Die NSA verwendet Sicherheitslücken, um in das Betriebssystem einzudringen. Die Folge war weltweit mit WannaCry zu spüren. Ist es nicht sinnvoller, entdeckte Zero-Exploits den Softwareherstellern zu melden, anstatt diese für die Überwachung zu verwenden?

Lars Klingbeil: Genau, also diese Position habe ich schon häufig geäußert. Ich halte es für grundfalsch, wenn der Staat Sicherheitslücken einkauft und wenn er sozusagen auf diesem Markt mitmacht. Ziel muss es sein, dass Sicherheitslücken geschlossen werden, so sollte der Staat handeln. Ich kann immer nachvollziehen, dass Geheimdienste das gerne wollen, aber ich halte das für eine falsche Position, WannaCry ist ein gutes Beispiel dafür. Da muss man sich später nicht beschweren, wenn ich als Staat solche Prozesse gewähre.

Und wie wollen Sie dann in die vermeintlich sicheren Systemen von Microsoft, Google, Apple und Co. eindringen? Schließlich nutzt auch die NSA Zero-Exploits aus.

Lars Klingbeil: Das kann ich technisch nicht sagen. Da weiß ich nicht, welche Möglichkeiten es da gibt. Aber wir haben in dieser Legislatur so viele Sicherheitsgesetze beschlossen, dass ich davon ausgehe, in dem Moment, wenn es einen konkreten Verdacht gibt, habe ich schon Möglichkeiten, Menschen zu kontrollieren und Kommunikation abzufangen.

Ist die SPD der Meinung, dass mit der Quellen-TKÜ die Gefahr von Terroranschlägen weiter gebannt werden kann? Wäre das Gesetz ohne die aktuelle Gefährdungslage jemals zum Vorschein gekommen?

Lars Klingbeil: Quellen-TKÜ bei Terror ist ja schon mit dem BKA-Gesetz beschlossen worden. Das, was neu beschlossen wurde, hatte mit Terror ja nichts zu tun, sondern wir haben eine massive Ausweitung auf andere Straftatbestände wie Einbruch und sonst was gehabt. Deswegen habe ich auch dagegen gestimmt. Die SPD ist der Meinung, dass es hilft, der netzpolitische Sprecher allerdings nicht. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir gerade in Zeiten von Terror und Bedrohung keine politische Situation haben, die es Gegnern von Überwachung einfach macht. Das muss man leider so feststellen. Das ist auch nichts, was gerade zu meiner Freude beiträgt. Wenn man da alleine sitzt in so einer Fraktion und dagegen stimmt, beziehungsweise wir waren dann zu zweit, dann ist das kein schönes Gefühl.

Ist das EU-US Abkommen Privacy-Shield aufgrund Trumps Amtszeit bedroht?

Lars Klingbeil: Es gibt zumindest Aussagen, die dahingehend verstanden werden können, dass das EU-US-Privacy-Shield in Frage gestellt wird. Die EU-Kommission ist derzeit mit der amerikanischen Regierung im Gespräch, um sicherzustellen, dass sich in Bezug auf den Schutz der europäischen Bürger nichts ändern wird. Wir werden sorgsam beobachten, ob die vereinbarten Vorgaben eingehalten werden.

Sollte es doch zu einem unvorhergesehenen Platzen des Abkommens kommen: Hat die SPD einen Plan B in der Tasche und wie könnte dieser grob aussehen?

Lars Klingbeil: Es gibt klare Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes und der Datenschutz-Grundverordnung, die den Schutz der personenbezogenen Daten bei der Verarbeitung in nicht-europäischen Ländern sicherstellen sollen.