Neue Erkenntnisse zu Covid-19 und Grippe im Vergleich
- Neue Erkenntnisse zu Covid-19 und Grippe im Vergleich
- Soziale Benachteiligung als Risikofaktor bei Patienten mit Covid-19?
- Auf einer Seite lesen
Studie aus Frankreich über klinische Befunde und Letalität mit alarmierenden Ergebnissen, vor allem in Bezug auf Kinder und Jugendliche
Kürzlich habe ich in Telepolis eine Mitte Dezember in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie aus des USA vorgestellt (Letalität bei Covid-19 fünfmal höher als bei saisonaler Grippe), in der bei stationären Patienten mit Covid-19 und saisonaler Influenza klinische Befunde und die Letalität beider Erkrankungen verglichen wurden. Dabei fand sich bei Covid-19 unter anderem ein fünffach höheres Sterberisiko, eine vierfach größere Häufigkeit des Einsatzes von mechanischem Beatmungsgerät und eine 2,4-fach häufigere Aufnahme der Patienten auf die Intensivstation als bei saisonaler Influenza.
Eine ähnlich angelegte landesweite Studie über klinische Befunde und Letalität bei stationären Patienten in Frankreich, die mit Covid-19 oder saisonaler Influenza ins Krankenhaus eingewiesen worden waren, wurde am 17.12.2020 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet - Respiratory Diseases veröffentlicht, über die ich in diesem Nachtrag berichten möchte.
Einige einleitende Bemerkungen
Im Dezember 2019 wurde eine neue Erkrankung, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht wird und als Covid-19 bekannt geworden ist, als eine große weltweite Bedrohung wahrgenommen. Angesichts seiner Infektiosität und der relativ niedrigen Fall-bezogenen Todesrate, die ursprünglich in China gemeldet wurde, nahm man zunächst an, dass SARS-CoV-2 der Influenza ähnlicher sei als SARS-CoV-1. Die präventiven Maßnahmen für diese neue Virusinfektion beruhten auf einem Vergleich mit dem Influenzavirus, da die Viren ähnliche Übertragungsmechanismen aufweisen und Atemwegserkrankungen verursachen.
Am 11. März 2020 wurde eine globale Pandemie ausgerufen, die mit erheblicher Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit verbunden war und die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem im Allgemeinen stark belastete. In Frankreich hatte Covid-19 Mitte Juli 2020 bereits mehr als 30.000 Todesfälle verursacht, von denen sich fast 20.000 im Krankenhaus ereignet hatten.
Die fallbezogene Sterberate bei Covid-19 schien höher zu sein als bei der saisonalen Grippe, obwohl beide Krankheiten hauptsächlich ältere Erwachsene (älter als 65 Jahre), die gebrechlich waren, betrafen. Diese zu beobachtende höhere Case Fatality Rate (CFR) von Covid-19 könnte auf Unterschiede in den bei den Patienten bestehenden Komorbiditäten zurückzuführen sein, aber auch auf die unterschiedliche Pathogenität der Viren, eine unterschiedliche auf die Viren bezogene Immunitätslage in der Bevölkerung oder die unterschiedlichen Reaktionen der Betroffenen auf die Infektionen.
Beispielsweise sind Impfstoffe und zugelassene medikamentöse Behandlungen für Influenza verfügbar, nicht jedoch für Covid-19, was sich zum Glück aber gerade ändert. Darüber hinaus führte die erhebliche Belastung der Krankenhäuser in Frankreich innerhalb kurzer Zeit zu Einschränkungen bei den verfügbaren Ressourcen zur Versorgung der am schwersten von der Infektion betroffenen Patienten.
Ziel der vorliegenden Studie war es, anhand der französischen landesweiten Daten die Patienten, die stationär wegen Covid-19 behandelt wurden, mit denjenigen, die in der Saison 2018/19 wegen Influenza ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, zu vergleichen. Es sollten eventuelle Unterschiede in Bezug auf Risikofaktoren, klinische Befunde und Behandlungsergebnisse festgestellt und bewertet werden.
Methodik und Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie
Die Grundlage dieser landesweiten retrospektiven Kohortenstudie waren die Entlassungsberichte für alle Krankenhauseinweisungen in Frankreich, die in der französischen nationalen Verwaltungsdatenbank (PMSI) verfügbar sind und auf die die Autoren Zugriff hatten.
Alle Patienten, die vom 1. März bis 30. April 2020 mit Covid-19 und alle Patienten, die zwischen dem 1. Dezember 2018 und dem 28. Februar 2019 wegen Influenza ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, wurden einbezogen. Risikofaktoren, klinische Befunde und Behandlungsergebnisse wurden bei diesen beiden Patientengruppen festgestellt und miteinander verglichen, wobei die Daten ebenfalls nach Altersgruppen stratifiziert wurden.
Während des angegebenen Studienzeitraums wurden 89.530 Patienten mit Covid-19 und 45.819 Patienten mit Influenza in Frankreich stationär behandelt. Im Falle von Covid-19 waren die Patienten häufiger männlich (im Verhältnis 53 zu 47 Prozent) und bei Influenza häufiger weiblich (im Verhältnis von 52 zu 48 Prozent). Das mittlere Alter der Patienten betrug 68 Jahre mit einem Interquartilabstand (IQR) von 52 bis 82 Jahren für Covid-19 und 71 Jahren (IQR 34 bis 84 Jahre) für Influenza.
Patienten mit Covid-19 waren häufiger fettleibig oder übergewichtig und hatten häufiger Diabetes, Bluthochdruck und Dyslipidämie als Patienten mit Influenza, während Patienten mit Influenza häufiger Herzinsuffizienz, chronische Atemwegserkrankungen, Leberzirrhose oder Mangelanämie aufwiesen.
Bei Patienten, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, entwickelte sich häufiger eine akute Ateminsuffizienz, eine Lungenembolie, ein septischer Schock oder ein hämorrhagischer Schlaganfall als bei Patienten mit Influenza. Jedoch entwickelten sie seltener einen Herzinfarkt oder Vorhofflimmern.
Die Sterblichkeit im Krankenhaus war bei Patienten mit Covid-19 höher als bei Patienten mit Influenza. Sie betrug 16,9 Prozent (15 104 von 89 530 Patienten) versus 5,8 Prozent (2640 von 45 819 Patienten), mit einem relativen Sterblichkeitsrisiko für Covid-19 von 2,9 und einem altersstandardisierten Sterblichkeitsverhältnis von 2,82.
Von den ins Krankenhaus eingelieferten Patienten war der Anteil der pädiatrischen Patienten (Alter unter 18 Jahre) bei Covid-19 mit 1,4 Prozent (1227 Personen) viel geringer als bei Influenza mit 19,5 Prozent (8942 Personen). Aber bei Covid-19 benötigte ein größerer Anteil der Patienten unter fünf Jahren eine Intensivbehandlung als bei Influenza (14 entsprechend 2,3 Prozent von 613 Patienten versus 65 entsprechend 0,9 Prozent von 6973 Patienten).
Bei Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren war die Sterblichkeit im Krankenhaus bei Covid-19 zehnmal höher als bei Influenza (fünf entsprechend 1,1 Prozent von 458 Patienten versus einem entsprechend 0,1 Prozent von 804 Patienten), und Patienten mit Covid-19 waren häufiger fettleibig oder übergewichtig.
Schlussfolgerungen: Die Befunde von Patienten mit Covid-19 und saisonaler Grippe, die stationär behandelt werden müssen, sind sehr unterschiedlich. Ein schweres akutes Atemwegssyndrom bei einer SARS-CoV-2-Infektion hat wahrscheinlich ein höheres Potenzial für die Schädigung der Atemwege als bei Influenza, was zu mehr Atemwegskomplikationen und einer höheren Sterblichkeit führt.
Bei Kindern und Jugendlichen scheint die Rate der Krankenhauseinweisungen für Covid-19 zwar niedriger zu sein als bei Influenza, aber die Sterblichkeit im Krankenhaus ist höher. Niedrige Patientenzahlen schränken die Aussagekraft dieses Befundes jedoch ein. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung geeigneter Präventionsmaßnahmen für Covid-19 sowie die Notwendigkeit eines spezifischen Impfstoffs und einer spezifischen Behandlung für diese Infektionskrankheit.
Diskussion der neuen Studienergebnisse aus Frankreich
In dieser landesweiten Kohortenstudie, in der die Covid-19 mit der saisonalen Grippe verglichen wurde, wurden fast doppelt so viele Patienten über einen Zeitraum von zwei Monaten mit Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesen als mit saisonaler Influenza über einen Zeitraum von drei Monaten. Das bedeutet, dass in einem Zeitraum von zwei Monaten 2020 bei Covid-19 dreimal so viel Patienten ins Krankenhaus eingewiesen wurden als bei Influenza 2018/2019.
Es besteht eine geringe Möglichkeit, dass einige Patienten, die 2020 im Krankenhaus aufgenommen worden waren, fälschlicherweise als Covid-19 eingestuft wurden, während sie tatsächlich an Influenza erkrankt waren. Das Risiko einer Fehlklassifizierung war jedoch gering, da der untersuchte Zeitraum im Jahr 2020 bei Covid-19 am Ende der Grippeepidemie in Frankreich lag.
Nach Angaben der Nationalen Gesundheitsbehörde bestand bei 29,7 Prozent der unter 65-Jährigen und bei 51 Prozent der über 65-Jährigen in Frankreich ein (gewisser) Impfschutz gegen die saisonale Grippe. Daher hat die Grippeimpfung wahrscheinlich zu weniger Krankenhauseinweisungen bei saisonaler Grippe und einer damit verbundenen niedrigeren Sterblichkeitsrate beigetragen.
Die genannten Faktoren deuten darauf hin, dass der Unterschied bei der Anzahl der ins Krankenhaus eingewiesenen Patienten mit Covid-19 und saisonaler Influenza unter anderen Bedingungen oder während anderer Zeiträume höher sein könnte, zum Beispiel, wenn die Immunitätslage in der Bevölkerung, die durch frühere Perioden der saisonalen Influenza erworben wurde, niedriger ist als üblich.
Weiterhin wurde in der Studie festgestellt, dass die Krankenhaussterblichkeit bei Covid-19 fast dreimal höher als bei der saisonalen Grippe war, mit einem altersstandardisierten Sterblichkeitsverhältnis von 2,8. Darüber hinaus mussten Patienten mit Covid-19 doppelt so häufig eine mechanische Beatmung auf der Intensivstation erhalten und blieben dort fast doppelt so lange wie Patienten mit saisonaler Influenza.
Bemerkenswert ist, dass der Zeitraum 2018/19 die höchste Zahl von Todesfällen bei saisonalen Influenza-Erkrankungen in Frankreich in den letzten fünf Jahren aufwies (12.300 Todesfälle, davon waren 8.100 direkt auf Influenza zurückzuführen). Daher war die auf Grund von Covid-19 beobachtete Übersterblichkeit nicht das Ergebnis einer Grippesaison, die 2020 weniger schwer als üblich verlaufen ist.
Eine andere mögliche Erklärung für die höhere Sterblichkeit von Patienten mit Covid-19 ist, dass der plötzliche und über einen kurzen Zeitraum erfolgte hohe Zustrom von Patienten mit dieser Diagnose eine Überlastung der Intensivstationen verursacht und Pflegeteams dazu verleitet hat, Patienten, basierend auf ihrem klinischen Status und ihrer Prognose im Sinne einer Triage zu priorisieren. Diese Hypothese wird durch die im Vergleich zur Influenza (etwas) niedrigere Aufnahmerate auf die Intensivstation von Patienten über 80 Jahren mit Covid-19 gestützt, was stark mit der höheren Sterblichkeit bei derselben Patientengruppe kontrastiert.