Neue Erkenntnisse zu Covid-19 und Grippe im Vergleich
Seite 2: Soziale Benachteiligung als Risikofaktor bei Patienten mit Covid-19?
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- Soziale Benachteiligung als Risikofaktor bei Patienten mit Covid-19?
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Die französischen Mediziner haben keine starken Korrelationen zwischen Behandlungsergebnissen und sozialer Benachteiligung festgestellt. Wenn man bedenkt, dass das nationale Krankenversicherungssystem Frankreichs nicht verlangt, dass Einzelpersonen im Voraus für die Gesundheitsversorgung zahlen müssen, dürfte der (etwas) geringere Anteil der Patienten, die mit Covid-19 auf die Intensivstation aufgenommen wurden als bei saisonaler Grippe, eher mit den schlechteren Prognosen bei dieser Patientengruppe als mit sozioökonomischen Erwägungen zusammenhängen.
Dennoch können die Autoren nicht ausschließen, dass soziale Benachteiligung bei jüngeren Erwachsenen ein Risikofaktor ist, da die Benachteiligungs-Score bei Patienten mit Covid-19 im Alter von 18 bis 40 Jahren deutlich höher ausfiel als bei einer stationären Vergleichsgruppe mit Influenza.
Die höhere Sterblichkeit im Krankenhaus, die bei jüngeren Covid-19-Patienten beobachtet wurde, legt nahe, dass Covid-19 an sich schwerer verläuft als die Grippe.
Obwohl Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren) anscheinend ein geringes Risiko haben, mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert zu werden (siehe, wie oben ausgeführt, die niedrige Rate der Krankenhauseinweisungen für Covid-19 im Vergleich zur saisonalen Grippe bei Patienten unter 18 Jahren) war die Sterblichkeit dieser Altersgruppe im Krankenhaus mehr als viermal höher als die bei Kindern und Jugendlichen mit Grippe.
Dies steht im Gegensatz zu jüngeren Berichten, nach denen die klinischen Erscheinungen von Covid-19 bei Kindern oft sehr oft mild verlaufen. Diese scheinen milder als die bei der Influenza bei Kindern unter fünf Jahren zu sein und bei Kindern unter einem Jahr nicht schwerer als andere Coronavirus- oder Influenza-Infektionen.
In der französischen Studie könnte die im Vergleich zur Grippe bestehende Übersterblichkeit im Krankenhaus bei Kindern unter fünf Jahren mit Covid-19 teilweise durch einen verstärkten Einsatz von Behandlungen auf der Intensivstation abgemildert worden sein. Die höhere Sterblichkeitsrate an Covid-19 bei Patienten im Alter von elf bis 17 Jahren könnte darauf hindeuten, dass man bei jungen Menschen mit Übergewicht oder Adipositas besonders wachsam sein muss.
Die gesteigerte Sterblichkeit bei Kindern könnte zum Teil auch mit einer mysteriösen pädiatrischen Erkrankung, bekannt geworden als Kawasaki-ähnliches Syndrom, zusammenhängen. Tatsächlich wurde eine unerwartet hohe Inzidenz dieses Syndroms beobachtet, auch bei Jugendlichen mit Covid-19, aber es tritt selten auf und erklärt wahrscheinlich nicht das erhöhte Risiko der Sterblichkeit. Obwohl dieses Syndrom manchmal zum Tod führen kann, wurde darüber hinaus bisher kein Zusammenhang mit Übergewicht festgestellt.
Die Bedeutung der Komorbiditäten
Die Ergebnisse der französischen Studie deuten darauf hin, dass die Schwere der Krankheit mit den Komorbiditäten wie bei jeder Viruserkrankung zusammenhängen könnte. Das mittlere Alter der Patienten, die in Frankreich für Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, lag in einem Bereich, der auch in anderen großen internationalen Studien berichtet wurde. Der Gesamt-Score für Komorbiditäten war bei Patienten mit Covid-19 tendenziell niedriger als bei Patienten mit saisonaler Grippe, und die Patienten, die mit Covid-19 aufgenommen wurden, waren häufiger männlich mit weniger Komorbiditäten als bisher beobachtet wurde.
Während Diabetes mellitus und Übergewicht besondere Risikofaktoren für die Krankenhauseinweisung von Covid-19-Patienten zu sein scheinen, werden schwere Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz, chronische Atemwegserkrankungen und Leberzirrhose, die auch häufig mit Covid-19 in Verbindung gebracht wurden, häufiger bei der saisonalen Influenzagruppe beobachtet.
Die schweren kurzfristigen Auswirkungen der zuletzt genannten drei Erkrankungen im Vergleich zu Diabetes und Adipositas ist ein weiteres Argument für eine höhere intrinsische Schwere von Covid-19 im Vergleich zur Grippe. Obwohl Unterschiede bei den Komorbiditäten die unterschiedliche Schwere beider Erkrankungen erklären könnten, könnte dieser Unterschied aber auch auf eine gesteigerte Immunantwort bei Covid-19 zurückzuführen sein oder durch die Verschlimmerung von Komorbiditäten bei Influenza-Infektionen beeinflusst werden.
Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass Menschen, die in der hier diskutierten Studie mit dem HI-Virus leben, nicht stärker von Covid-19 betroffen zu sein scheinen als durch die saisonale Grippe. Dies unterstützt die Hypothese, dass virologisch kontrollierte (d. h. antiretroviral behandelte) HIV-Patienten kein wesentlich höheres Risiko aufweisen, einen schweren Verlauf einer Covid-19 zu entwickeln, wie es in Ländern mit niedrigen antiretroviralen Behandlungsraten beobachtet wurde. Angemerkt sei hier jedoch, dass bei HIV-Infizierten auf Grund einer möglichen präventiven Wirkung einer antiretroviralen Therapie nicht von einem geringeren Risiko für Covid-19 ausgegangen werden sollte.
Wenn man die Ergebnisse von Untersuchungen bei hospitalisierten Patienten betrachtet, treten Atemwegskomplikationen bei Covid-19-Patienten häufiger auf als bei saisonaler Influenza. Ähnlich wie in anderen Studien wurde auch in dieser Untersuchung festgestellt, dass bakterielle Co-Infektionen der Lunge bei Covid-19 weniger häufig waren, im Gegensatz zu dem, was bei Grippeepidemien gemeldet wurde. In dieser Studie war jedoch die Häufigkeit von pulmonalen bakteriellen Ko-Infektionen bei Covid-19 und Influenza ähnlich groß.
Es scheint daher so, dass SARS-CoV-2 ein gesteigertes Potenzial für pathogene Wirkungen im Bereich Respirationstraktes besitzt, möglicherweise dadurch, dass es eine Upregulation einer Anzahl von Entzündungsmediatoren induziert und dass dadurch bedingte Atemwegskomplikationen in erster Linie für die bei Covid-19 beobachtete erhöhte Sterblichkeitsrate verantwortlich sind.
Wie bereits berichtet, haben Patienten mit Covid-19 ein höheres Risiko für Lungenembolien. Ein höheres Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle (aber nicht ischämische Schlaganfälle, wie häufiger beobachtet wurde) fand sich ebenfalls in unserer Studie, nicht nur wegen einer spezifischen Covid-19-induzierten zerebralen Vaskulitis, sondern auch wegen der hohen Dosen von Antikoagulanzien, die bei Covid-19 verwendet werden, um das Risiko von Thromboembolien zu reduzieren.
Bemerkenswert ist, dass Patienten mit Covid-19, bei denen häufig angenommen wird, dass bei ihnen ein höheres Herzrisiko besteht (hier sind das akute Koronarsyndrom, Myokarditis, Arrhythmien und kardiogener Schock zu nennen), tatsächlich ein geringeres Risiko für Myokardinfarkt und Vorhofflimmern aufweisen als Patienten mit saisonaler Influenza. Patienten mit Influenza hatten zu Beginn des Krankenhausaufenthalts häufiger eine chronische Herzinsuffizienz, aber die Frage, ob Inzidenz und Auswirkungen der saisonalen Influenza-bedingten Myokarditis unterschätzt werden, erfordert weitere Untersuchungen.
Schlussbetrachtung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es erhebliche Unterschiede zwischen Patienten mit Covid-19 und saisonaler Grippe gibt, die stationär behandelt werden müssen. SARS-CoV-2 scheint ein höheres Potenzial für eine Schädigung des Respirationstraktes zu besitzen, was zu mehr Atemwegskomplikationen bei Patienten mit insgesamt weniger Komorbiditäten führt, und es ist mit einem höheren Sterblichkeitsrisiko verbunden, insbesondere bei Jugendlichen, obwohl alle Schlussfolgerungen für diese Altersgruppe angesichts der geringen Anzahl von in dieser Studie festgestellten Todesfällen mit Vorsicht behandelt werden müssen.
Diese Ergebnisse wurden auch bestätigt, nachdem die Überlastungen in den Krankenhäusern im Zusammenhang mit dem plötzlichen Zustrom von Patienten während der ersten Welle der Covid-19-Epidemie berücksichtigt worden waren.
In Zukunft wird die Möglichkeit von sich überlappenden Influenza- und Covid-19-Epidemien sicherlich auch die Komplexität des Patientenmanagements erhöhen. In einer Zeit, in der sich gezeigt hat, dass es noch keine effektive Behandlung von Covid-19 gibt, unterstreicht diese Studie die Bedeutung der nicht-pharmakologischen Maßnahmen zur Prävention, der Notwendigkeit des Einsatzes eines spezifischen Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 und der Entwicklung einer effektiven medikamentösen Behandlung von Covid-19.
Fazit
- Wie auch eine kürzlich veröffentlichte vergleichbare Untersuchung an stationären Patienten mit Covid-19 und saisonaler Influenza in den USA gezeigt hat, hat auch diese Studie aus Frankreich ergeben, dass die Letalität bei Covid-19 wesentlich höher ist als bei saisonaler Influenza. Die Ergebnisse dieser Studie unterstützen die Einschätzung, dass Covid-19 viel gefährlicher ist als die saisonale Grippe.
- Neu ist der Befund, dass diese Aussage wahrscheinlich auch für Kinder und Jugendliche zutrifft. Obwohl nur sehr wenige Angehörige dieser Altersgruppe an Covid-19 schwer erkranken, scheint die Sterblichkeitsrate hier ebenfalls wesentlich höher zu sein als bei Kindern und Jugendlichen mit saisonaler Grippe.
- Der Artikel weist darauf hin, dass es in Frankreich (wie auch in einigen anderen europäischen Ländern und in den USA) zeitweise im Rahmen der ersten Welle der Corona-Pandemie zu Überlastungen der Krankenhäuser gekommen war, sodass nicht mehr alle Patienten behandelt werden konnten. Das hatte dazu geführt, dass die Behandlungsteams auf den Intensivstationen eine Zeitlang Priorisierungen im Sinne einer Triage durchführen mussten, basierend auf dem klinischen Status und der Prognose der Patienten. Ein Kriterium für die Triage war wohl ein hohes Lebensalter (Alter über 80 Jahre).
- Diese bedauerliche Situation ist nicht allein dem Virus anzulasten. Sie hat ihre Ursache in einer neoliberalen Gesundheitspolitik, die in ganz Europa und den USA in den letzten Jahrzehnten aus Profitgründen zu Klinikschließungen und einem erheblichen Betten- und Personalabbau in den Krankenhäusern geführt hat, der offenbar in Frankreich besonders stark betrieben wurde (Covid-19: Ein gefährliches Virus).
- Das wirft die Frage auf, ob nicht die Corona-Krise für uns auch eine Chance für eine gründlichen Revision unseres Gesundheitssystems sein könnte. In einem am 18.12.2020 in Telepolis erschienenen Artikel spricht sich in diesem Zusammenhang der Philosoph Dieter Birnbacher dafür aus, dass der Prävention bei der Gesundheitsversorgung ein höherer Stellenwert eingeräumt werden sollte (Die Corona-Krise ist nur der erste Schritt zu einer gründlichen Revision unseres Gesundheitssystems)
- Aus meiner Sicht als Rehabilitationsmediziner kann ich das nur unterstützen. Aber ein zentraler Aspekt einer derartigen Revision muss auch sein, dass die Einsicht gestärkt wird, dass die Gesundheitsversorgung ein unabdingbarer Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist und nicht dem privaten Renditestreben ausgesetzt werden darf.
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. Email: klaus-dieter.kolenda@gmx.de