Neue Schwämme braucht die Stadt

Seite 3: Gibt es einen Weg aus dem Umsetzungsdefizit?

In der Folge werden exemplarisch sechs Projekte aus den Räumen Leipzig und Berlin identifiziert, die für eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung im Sinne der Öko-Resilienz stehen. Dazu die Links.

Leipzig:

Lebendige Luppe: Revitalisierung eines Auwalds. Wiederanbindung an die Fließgewässer. Wiederhergestellt wird ein standorttypischer Gebietswasserhaushalt, um Trockenperioden zu überstehen. Relevant für die Frischluftzufuhr der Stadt.

Rietzschke-Aue: Auf einer ehemaligen Kleingartenanlage entstand ein naturnaher Park, der zugleich Retentionsraum ist. Geeignet für Überflutung, Versickerung und Verdunstung in die Atmosphäre.

Quartier 416 Eutritzscher Freiladebahnhof: Neuer Stadtteil, in Entwicklung seit 2017. Von wechselnden Investoren ausgehende Risiken. Ein Bebauungsplanentwurf liegt jetzt vor. Das zentrale Abwassersystem soll durch ein Starkregenmanagement und lokale Bewirtschaftung entlastet werden. Das ganze Programm von Retentionsmaßnahmen wird aufgezählt von Dachbegrünung bis Versickerungsanlagen unter den großen Plätzen. Erfolg bleibt abzuwarten.

Berlin:

"Vertikaler Garten": Wohnhaus in Berlin-Kreuzberg. Über Balkons wird die vertikale "Living Wall" bewohnbar gemacht. Bepflanzt mit winterharten Stauden, Blattpflanzen, Gräsern und Kräutern. Farblicher Eindruck rot und grün. Dachterrasse.

Potsdamer Platz: Im innerstädtischen Ensemble aus Hochhäusern und Blöcken sorgt ein 1,2 ha großes Regenwasserrückhaltebecken für eine klimaregulierende Wirkung. Die Dachbegrünung befördert die Verdunstung. Sammlung des Wassers auch in unterirdischen Zisternen. Nutzung für die Toilettenspülung und Bewässerung der Grünflächen. Eine Versickerung ist nicht möglich. Bei Starkregen wird das überlaufende Wasser verzögert in den benachbarten Landwehrkanal gepumpt. Trotz des ausgeklügelten Systems hat der Ort kaum Aufenthaltsqualität.

Schultheiss-Mälzerei: Die gründerzeitliche Fabrik wurde in einen Gewerbe- und Kulturstandort umgewandelt. Weitgehende Abkoppelung von der Kanalisation. Auf dem Freigelände entstanden ein "Freizeitbecken" und ein "Weiher", der die Niederschläge der Verkehrs- und teilweise begrünten Dachflächen sammelt. Der Überlauf geht in eine Rigole. Viel Grün, bepflanzte Uferzonen.

Freiraum- und Landschaftsplanung ziehen, wenn es darauf ankommt, meist den Kürzeren gegenüber Straßenbau und Immobilienentwicklung. Die expansive Bautätigkeit im Land geht mit fortschreitender Bodenversiegelung einher. In der Flächenkonkurrenz setzt sich immer noch Grau gegen Blau und Grün durch.

Das erweist sich in zahlreichen Details der schleppenden Implementierung von innovativen und integrativen Wasserbewirtschaftungsmaßnahmen. In der Straßenbauordnung gibt es jede Menge Regularien zu Materialien, Breiten, Aufbau etc. – aber die Ableitung von Regenwasser bleibt unberücksichtigt.

Bei gemeinschaftlich genutzten, grundstücksübergreifenden Retentionsflächen fehlen musterhafte vertragliche Regelungen, wie die Bewirtschaftung und Unterhaltung auszusehen hätte. Und selbst, wo Regelungen vorhanden sind, etwa bei der Berliner Einleitbeschränkung, fehlt es an Instanzen, die das rechtzeitig einfordern.

Dazu kommt ein strukturelles Problem. Grundstücksgrenzen gebieten Retentionsmaßnahmen, die natürlicherweise einen gewissen Flächenbedarf haben, Einhalt. Es kommt deshalb darauf an, kleinteilige Maßnahmen mit quartiersbezogenen und stadtweiten Planungen zu verzahnen.

Retentionsobjekte sind teils naturnahe, teils technische Bauwerke. Darüber sollte nicht der architektonische Anspruch über Bord gehen. Wo es nicht schon geschehen ist, sollten Techniker, Stadt- und Landschaftsplaner, Architekten sowie Grundstückseigentümer und politisch Verantwortliche zu großem Ratschlag zusammenkommen. Die Institutionalisierung der Zusammenarbeitet sollte mit verbindlichen Befugnissen ausgestattet werden.

Wird das Sein-Sollende ein Wünschenswertes bleiben? Sind Retentionsteiche, Rigolen und Hausbegrünungen hübsche harmlose Tupfer im Stadtdesign? Inzwischen sind sie in den Status des unausweichlich Notwendigen aufgerückt. Nachhaltig kann es werden, wenn Funktion und Ästhetik zusammenkommen. Hieß es einmal: Stadtluft macht frei, ist heute hinzuzufügen: Stadtwasser macht frei.1