Neue Verfassungsbeschwerde gegen BND-Gesetz
Gesellschaft für Freiheitsrechte und Reporter ohne Grenzen beanstanden auch reformierte Fassung. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts werde darin missachtet. Gefahr für Medienschaffende im Exil.
Ihr Ziel sei es, "die Arbeit der Geheimdienste auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen und damit die Pressefreiheit weltweit zu schützen" – das erklärten am Donnerstag die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und die Organisation Reporter ohne Grenzen zur Einreichung einer neuen Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Nach einer ersten Beschwerde beider Organisationen hatte das Gericht im Mai 2020 weite Teile der Auslandsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) für grundrechtswidrig erklärt.
Allerdings werde auch das reformierte BND-Gesetz den Anforderungen aus Karlsruhe nicht gerecht, sagen die Beschwerdeführenden heute. Es seien sogar neue verfassungswidrige Regelungen in das Gesetz aufgenommen worden.
"Seit den ersten Enthüllungen, die das Ausmaß der weltweiten Überwachung durch Geheimdienste offenlegten, sind bald zehn Jahre vergangen. An der Überwachungspraxis änderte sich wenig. Wir kämpfen noch immer um ein Minimum an Schutz für Journalistinnen und Journalisten vor unrechtmäßigen Abhöraktionen – auch bei deutschen Behörden wie dem BND", sagte Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei Reportern ohne Grenzen.
"Der Massenüberwachung und schrankenlosen Ausweitung der Befugnisse der Nachrichtendienste muss ein Ende gesetzt werden." Journalistinnen und Journalisten sind nach Einschätzung der Organisation nach wie vor nicht ausreichend vor Überwachung durch den BND geschützt. Das betreffe vor allem die vertrauliche Kommunikation mit Quellen. Zudem sind journalistische Recherche-Ergebnisse für den BND nicht eindeutig tabu.
Eine ignorierte Klarstellung des höchsten deutschen Gerichts
Das im Mai 2020 verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthält eine bedeutende Klarstellung: Die Bindung der Bundesregierung an das Grundgesetz sei "nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt", heißt es darin. Grundrechte wie das Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 GG) und die Pressefreiheit (Artikel 5 GG) sind demnach von deutschen Behörden auch im Ausland zu respektieren.
Dementsprechend sollte es verboten sein, ausländische Medienschaffende nach Belieben zu überwachen. Auch die Weitergabe von Recherche-Ergebnissen an ausländische Geheimdienste sollte an strenge Voraussetzungen geknüpft werden. Die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten sollte gesetzlich geschützt werden. Die Reporter ohne Grenzen bezeichneten daher das damalige Urteil als "Meilenstein zum Schutz der Pressefreiheit".
Bei der anschließenden Reform des BND-Gesetzes setzten sich die politisch Verantwortlichen der ehemals Großen Koalition jedoch über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweg.
Beanstandet werden in der Verfassungsbeschwerde mehrere Aspekte – sie betreffen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den Gleichbehandlungsgrundsatz und "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das umgangssprachlich auch als IT-Grundrecht oder "Grundrecht auf digitale Intimsphäre" bezeichnet wird.
Nach dem BND-Gesetz darf die Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten mit einer Quelle nicht überwacht werden, wohl aber die Kommunikation über diese Quelle. Damit würden Inhalte beispielsweise von E-Mails nicht erfasst, Verkehrsdaten – die Erkenntnisse darüber geben, wer mit wem wann wie und wie lange kommuniziert – sind jedoch nicht geschützt.
Gerade die Menge und Verknüpfung solcher Metadaten könne aber tiefe Einblicke in die Tätigkeiten und Vorlieben einer Person geben, argumentieren die Beschwerdeführenden – und der Schutz der Vertraulichkeitsbeziehung erstrecke sich nur auf den eigentlichen Kommunikationsvorgang. Recherche-Ergebnisse seien damit nicht geschützt und könnten dem BND Einsicht in Publikationsabsichten geben.
Ein weiter Kritikpunkt ist die grundrechtliche Ungleichbehandlung abhängig von Nationalität und Wohnort der Betroffenen. Kommunikation von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern darf der Auslandsgeheimdienst eigentlich nicht abfangen. Allerdings enthält das BND-Gesetz eine neue Befugnis – die "Maschine-Maschine-Kommunikation".
Diese Erfassung der Verkehrsdaten zwischen Geräten und Diensten, etwa beim Online-Banking, bei Hotelbuchungen oder der Navigation, die Einblicke in Lebensrealität und Sozialverhalten geben, sind an keine Voraussetzungen geknüpft. Hiervon können auch deutsche Staatsangehörige jederzeit betroffen sein.
EU-Institutionen und Angehörige von EU-Staaten können unterdessen fast schrankenlos durch den BND überwacht werden – wenn als Sinn und Zweck "Gefahrenfrüherkennung" angegeben wird, sogar unbefristet.
Pressefreiheit im Exil nach politischer Großwetterlage
Nicht-EU-Staatsangehörige mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland sind gemäß BND-Gesetz nur solange vor Überwachung geschützt, wie sie sich in der Bundesrepublik aufhalten. Wenn Medienschaffende im Exil für Recherchen auch nur für eine kurze Zeit Deutschland verlassen, werden sie für den BND zu potenziellen Überwachungszielen.
Menschen ohne EU-Pass mit Wohnsitz im Ausland – etwa in der Türkei oder in den USA – darf der BND mittels "Staatstrojaner" überwachen, soweit die Bundesregierung dies zur "Gefahrenfrüherkennung" oder zur politischen Informationsgewinnung für nötig hält. Sie sind durch das Gesetz am wenigsten geschützt.
Medienschaffende, die wegen regierungskritischer Berichte in autoritären Staaten besonders bedrängt, verfolgt und eingeschüchtert werden, könne, je nach politischer Großwetterlage, auch zusätzlich ins Visier deutscher Behörden geraten.
Dass deutsche Behörden aktuell russischen Oppositionsmedien schaden wollen, ist zwar nicht anzunehmen – unklar ist aber zum Beispiel, worauf kritische Journalistinnen und Journalisten aus dem nicht weniger autoritär regierten Nato-Partnerstaat Türkei sich einstellen müssen.
Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen ist völlig unverständlich, warum die deutsche Bundesregierung ausländischen Journalistinnen und Journalisten den Schutz vor Überwachung verweigert. "Das Problem wird in Zukunft noch gravierender, weil der BND seine Erkenntnisse auch an ausländische Geheimdienste weiterleiten darf", warnen sie.
Autor der Verfassungsbeschwerde ist Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu den insgesamt 20 Beschwerdeführenden gehören Journalistinnen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten aus dem Nicht-EU-Ausland, der EU und Deutschland, darunter Can Dündar (Türkei), Awil Abdi Mohamud (Somalia), Dragana Pećo (Serbien), Goran Lefkov (Nordmazedonien), Szabolcs Panyi (Ungarn), Meron Estefanos (Schweden), Peter Verlinden (Belgien) und Sara Creta (Italien). Drei Personen unterstützen die Beschwerde anonym.