Neue Virusvariante sorgt für Turbulenzen
Die in Südafrika entdeckte Mutation des Coronavirus könnte ansteckender sein und Impfbarrieren leichter durchdringen. Unklar ist dagegen, ob sie auch sonst aggressiver ist
Die Schlagzeilen über die neu entdeckte Coronavirus-Variante B.1.1.529 klangen zunächst mehr als beängstigend: Von einer "Supermutante aus Südafrika" war im Tagesspiegel die Rede.
Die Nachrichtenagentur PA zitierte einen Experten der britischen Behörde für Sicherheit im Gesundheitswesen mit der Einschätzung, bei der Coronavirus-Variante B.1.1.529 handele es sich um "die schlimmste Variante", die bisher ausgemacht wurde. Bislang gibt es bestätigte Fälle in Südafrika, Botsuana und Hongkong. Die britische Regierung hat deshalb bereits den Flugverkehr aus Südafrika, Lesotho, Botsuana, Simbabwe, Eswatini und Namibia eingeschränkt.
Auch die Bundesregierung in Berlin verhängte an diesem Freitag Reisebeschränkungen, die in der Nacht zum Samstag in Kraft treten: Deutschland stufe Südafrika als "Virusvariantengebiet" ein. "In der Folge dürfen Fluggesellschaften nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern", informierte die Bundesregierung. Außerdem gilt nach der Einreise aus Südafrika eine 14-tägige Quarantänepflicht für alle Einreisenden, auch für Geimpfte und Kinder.
Allerdings ging aus den Berichten nicht hervor, dass das Virus durch die Mutation grundsätzlich aggressiver oder tödlicher geworden sei als die bisher bekannten Varianten. Es gibt demnach aber Hinweise darauf, dass B.1.1.529 ansteckender sein könnte als die Delta-Variante - und dass die neue Mutation den Schutzschild der bisher verfügbaren Impfstoffe leichter durchdringen könnte.
Unklar, was weitere Mutationen am Virus "biologisch bedeuten"
"Das ist eine Variante, die sehr viele Mutationen trägt, insbesondere in diesem Spike-Protein", sagte sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, an diesem Freitag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Mit dem Spike-Protein bindet sich das Virus an menschliche Zellen. Darauf basiert auch die Wirkung der Impfstoffe, deren Ziel es ist, das Immunsystem mit diesem "nachgebauten" Virusbestandteil vertraut machen, damit es Antikörper und "Gedächtniszellen" für den Fall einer Infektion mit dem echten Virus bildet. Was weitere Mutationen "biologisch bedeuten", sei aber noch unklar, so Wieler.
Mehr 100.000 Menschen sind seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 in Deutschland an oder im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. Die Zahl der Krankenhausaufnahmen und Todesfälle ist den letzten Wochen wieder gestiegen.
Spahn: Impfpflicht würde "akut nicht helfen"
Wieler und der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) riefen an diesem Freitag die Bevölkerung auf, ihre Kontakte zu reduzieren und sich - soweit noch nicht geschehen - gegen Covid-19 impfen zu lassen.
Spahn erklärte aber auch, dass eine zurzeit viel diskutierte allgemeine Impfpflicht "akut nicht helfen" würde. Den Grund kennen viele Geimpfte, die sich gerade um einen Termin für die "Booster"-Impfung bemühen: In den Hausarztpraxen gibt es zum Teil längere Wartezeiten. Wer schneller eine Auffrischungsimpfung erhalten will, muss damit rechnen, mehr als zwei Stunden vor einem Impfzentrum in der Schlange zu stehen.
Während auf den Intensivstationen Covid-19-Patienten im Alter zwischen 18 und 59 Jahren laut RKI zu fast 85 Prozent ungeimpft sind, werden in der Altersgruppe über 60 Jahre Impfdurchbrüche häufiger: Laut dem aktuellen Wochenbericht sind 46,4 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten dieser Altersgruppe gegen das Virus geimpft. Bei ihnen liegt die Impfung wegen der ursprünglichen Priorisierung nach Alters- und Risikogruppen allerdings auch im Durchschnitt länger zurück.
Insgesamt gelten momentan 68,3 Prozent der Bevölkerung als "vollständig geimpft", was aber nicht bedeutet, dass sie alle bereits die dritte, also die Auffrischungs- oder "Booster"-Impfung erhalten haben. 71 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten.
Spahn plädierte an dafür, zur Beratung über weitere politische Maßnahmen so schnell wie möglich eine Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bund abzuhalten, statt – wie bisher geplant – erst am 9. Dezember.
Börseneinbruch und Rezessionsangst
Die nun in Südafrika nachgewiesene Variante des Coronavirus Sars-CoV-2 könnte nach ersten Reaktionen die Weltwirtschaft erneut nach unten ziehen. Die Indices Dax und EuroStoxx50 sind am heutigen Freitag so stark eingebrochen wie zuletzt beim Börsen-Crash im März 2020. Damals war der Kursverfall an den Börsen unmittelbar auf die erste Pandemie-Welle zurückgeführt worden, Anleger befürchteten eine unkontrollierbare Rezession.
Nun fiel der Dax nach Börsenöffnung um bis zu vier Prozent auf 15.283 Punkte. Am Vormittag er noch 2,9 Prozent im Minus. Der EuroStoxx50 verlor bis zu 4,6 Prozent an Wert und lag bei 4.098.
Auf die Einstellung des Flugverkehrs nach Südafrika reagierte vorwiegend die Tourismusbranche, deren börsennotierte Unternehmen über sieben Prozent fielen. Dieser Trend betraf zunächst die Lufthansa, deren Aktien zeitweise knapp 16 Prozent Wert verloren
Angesichts einer zu erwartenden erneuten Rezession fielen auch die Rohstoffpreise. Sie hatten zuletzt stark angezogen, vor allem aufgrund der wieder boomenden Wirtschaft in China.
Unklar ist, inwieweit die deutsche Wirtschaft von den Auswirkungen der vierten Welle betroffen ist. In der gewerblichen Wirtschaft zumindest hatte der Umsatz im Oktober noch zugelegt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatten die Branchen im Vormonatsvergleich ein Plus von 0,8 Prozent verzeichnet.
Zur gewerblichen Wirtschaft wird die Industrie, die Energie- und Wasserwirtschaft, das Baugewerbe, die Gastronomie sowie Dienstleistungen und Handel gezählt. Die Statistiker veröffentlichten am Freitag
Zugleich stiegen laut dem Statistikamt die Importpreise erheblich an. Nach einem Bericht vom heutigen Freitag lagen sie im Oktober um 21,7 Prozent höher als vor einem Jahr. Eine vergleichbar hohe Differenz hatte es im Jahresvergleich zuletzt im Januar 1980 während der Ölpreiskrise gegeben.